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Ausflug in die Zwischenwelt von Kunst und Kommerz

Simon den Otter: «Musiker wollen und brauchen keine Sonderbehandlung»

Musikmanager Simon den Otter wünscht sich mehr Anerkennung für das Schaffen und die Leidenschaft der Musiker. (Bild: Sandro Dietrich)

Seit zwölf Jahren bestreite ich meinen Lebensunterhalt nun schon mit Musik. Nicht mit meiner eigenen, versteht sich. Als Musikmanager heissen meine Instrumente Computer, Kopfhörer und Handy. Früher bei einer grossen Plattenfirma, heute selbständig, durfte ich schon mit allen möglichen Künstlerinnen zusammenarbeiten. Vom unbekannten Newcomer bis zu umjubelten Weltstars, und fast alles dazwischen.

Im Prinzip sehe ich mich nicht als Kulturschaffenden, sondern eher als eine Art Vermittler zwischen Kreativität und Kapitalismus. Gleichzeitig stehe ich aber als Verfechter der Musikergilde am Spielfeldrand eines unfairen Duells: gesellschaftliche Unabdingbarkeit vs. «Systemrelevanz». Musik vs. Wirtschaft.

Wenn ich gefragt werde, wie es dazu kam, bezeichne ich mich als Quereinsteiger. Eigentlich liest sich mein Weg in die Branche aber eher wie der Fiebertraum eines Berufsberaters.

Werdegang (wie in «wird schon gehen»)

In meiner Lehre als Kaminfeger lernte ich die Aussicht von den Zuger Dächern kennen und machte mir in den Heizungskellern der Stadt meine Hände (und noch viel mehr) schmutzig.

Danach habe ich in einer kleinen Gemeinde Strassen gereinigt, Unkraut gejätet, bin hinten auf dem Müllwagen gestanden und habe den örtlichen Friedhof gepflegt. In diesem Rahmen habe ich dann auch einmal geholfen, eine verstorbene Person zu beerdigen. Eindrücklich auf mehreren Ebenen.

Richtig bunt wurde es dann als temporär vermittelte Arbeitskraft. Am einen Tag durfte ich Blumen überbringen, am nächsten galt es wieder schwere Steinplatten und Säcke zu schleppen. Ich habe in einem Kopiergeschäft Abschlussarbeiten gebunden und riesige Baupläne für Architekten in Röhren gepackt. Ich durfte bei eisigen Temperaturen Lebensmittel verpacken und LKWs beladen. Mal habe ich Tickets verkauft, mal Messestände aufgebaut, mal Möbel demontiert. Es wurden Böden verlegt, Material gewartet, Kleinteile sortiert, Waren verkauft, Stapler und Transporter gefahren. An Fassaden und auf Dächern wurde gehämmert, geschraubt, gefräst und auf Baugerüsten wahlweise der Allerwerteste abgefroren oder sämtliche Kleider durchgeschwitzt.

Ich mache hier mal einen Punkt, aber die Liste könnte tatsächlich noch ein Stückchen weitergehen.

Kulturschaffend (wie in «Kultur? Schaff doch mal öppis»)

Manchmal verliess ich einen Job, weil ich etwas Besseres finden wollte. Oft gab es keine Arbeit mehr für «den Temporären» und leider musste ich auch schon aus gesundheitlichen Gründen das Handtuch werfen. Egal weshalb, immer wieder kriegte ich danach den folgenden Satz zu hören:

«Kopf hoch! Du findest bestimmt bald eine neue Stelle.»

Irgendwann folgte der Abschluss an einer Handelsschule und ein mit viel Glück ergattertes Praktikum, durch welches ich schlussendlich ins Musikbusiness gelangte.

Und dann kam sie: die Pandemie mit C. Die gesamte Event-Branche erlitt von einem Tag auf den anderen Schiffbruch, darunter natürlich auch die Gesamtheit der auftretenden Musiker. Viele von ihnen kriegen seither immer wieder einen ähnlichen – und doch so anderen – Satz zu hören wie ich damals:

«Kopf hoch! Du findest bestimmt bald eine richtige Stelle.»

Fast noch mehr als die Aussage an sich nervt mich jeweils, dass viele Leute sie nicht mal wirklich böse meinen.

Leidenschaft (wie in: «Es schaffen», «geschafft sein»)

Ich gebe es hier gerne schriftlich: Die meisten Musikerinnen, mit denen ich beruflich zu tun hatte, sind mit einer Leidenschaft am Werk, die ich in allen vorher erwähnten Jobs nur selten angetroffen habe. Und das in der Regel auch unter ziemlich abenteuerlichen Bedingungen. Stichwort soziale Absicherung, Arbeitsverträge, Lohn, Arbeitszeiten… Gerade jetzt in der Krise sieht man, wie haarsträubend die Situation für viele freischaffende Künstlerinnen eigentlich immer schon war.

Gibt es objektiv betrachtet strengere Berufe? Natürlich. Wurden andere Branchen nicht auch mit voller Wucht von der Pandemie getroffen? Absolut. Und sie alle verdienen unsere Solidarität und Respekt.

Und genau hier liegt mein Punkt: Musiker wollen und brauchen keine Sonderbehandlung. Sie sind auch keine Helden, nur weil sie die freie Entscheidung getroffen haben, alles auf die (riskante) Karte Kunst zu setzen.

Was wir ihnen als Gesellschaft aber unbedingt geben müssten, ist die Anerkennung ihres Schaffens. Und einen grundlegenden Respekt vor ihrer Leidenschaft, die unseren geliebten, passiven Musikgenuss überhaupt erst möglich macht. Es wäre ein wichtiger Anfang. Und nichts als fair.

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