Wir sind so viel mehr als eine Kleidergrösse
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Bei mir hängen mehr Röcke und Kleider im Schrank. Jedoch gibt es Momente, die nach einer Hose schreien. Meine letzte gut sitzende Jeans war durch, durchgescheuert, fix und fertig mit der Welt nach jahrelanger Treue.
Ich fuhr nach Luzern, hatte zwei Stunden Zeit, um eine Jeans zu finden. Meine Kriterien: Gut sitzend und nachhaltig produziert. Wer hätte gedacht, dass dies alles andere als ein leichtes Unterfangen würde. In einem kleinen, feinen Laden meiner Wahl, der faire und nachhaltige Mode verkauft, begann meine Odyssee. Die Verkäuferin war freundlich und gab mir das Gefühl, mein Wunsch sei einer der einfachsten überhaupt. Sie erzählte mir, dass Mom-Jeans gerade top aktuell sind und brachte mit sogleich eine söttige in die Umkleide.
Mom-Jeans
Ich weiss nicht, wer Mom-Jeans tragen kann. Aber ich weiss mit Sicherheit, dass man dafür mit Vorteil keine Mom ist. Zumindest besser keine, bei der dieses Mom-Sein am Körper seine Spuren hinterlassen hat. Mom-Jeans betonen die Hüfte, den Po und den Bauch enormst. Eigentlich genau diese Zonen, von denen ich elegant ablenken möchte. Warum um alles in der Welt heisst diese Hose so, wenn sie doch eher nicht für Mütter gedacht ist. Ich recherchiere und entdecke folgende zwei Gründe:
Weil die Jeans in den Vereinigten Staaten ihren Ursprung haben, sind auch die Bezeichnungen in englischer Sprache. Mom ist das englische Wort für Mama. Die Trendhose hat ihren Namen aus zwei verschiedenen Gründen erhalten.
- Weil sie schon von unseren Müttern in den 1980er- und den 1990er-Jahren getragen wurde. Es ist also eine Jeanshose, die aus dem Kleiderschrank der Mama stammt.
- Weil ihr Schnitt so gestaltet ist, dass sie den Frauen, die gerade Mama geworden sind und noch ein kleines Bäuchlein aufweisen, sehr gut ansteht.
Bäuchlein? Ich schaue an meinem Bauch herunter und fühle mich gerade wie Obelix. Sitzen möchte ich mit dieser Hose schon gar nicht. Okay, weiter geht’s. Ein schlicht geschnittenes Hosenmodell muss her. Die Verkäuferin bringt mir meine übliche Kaufgrösse 40. Ich bringe diese Hose gerade mal knapp bis über meine Knie. Die Grösse 42 nehme ich mit einem Schulterzucken, nebst leichtem Schweiss auf der Stirn, alles gut. Jedoch, auch diese Hose bringe ich unmöglich zu.
Ich habe das Gefühl, mich bei der Verkäuferin entschuldigen zu müssen. Und zwar für meinen Körper, der sich doch als fülliger entpuppt, als im Vorgespräch genannt. Wie absurd ist das denn? Die Grösse 44 werde ich mir ganz sicher wegschneiden, sollte ich mich für diese Jeans entscheiden. Ich will mich nicht jedesmal beim Anziehen an dieses unsägliche Gefühl in dieser überbelichteten Umkleidekabine erinnern. Diese Jeans passt, sieht jedoch unmöglich aus. Ich möchte Schuhe kaufen. Die passen immer. Tun der Seele gut. Aber solche habe ich zuhauf und Himmelherrgottnochmal, ich muss echt ne Hose finden heute.
Nicht mit meinem Körper stimmt etwas nicht, sondern mit der Mode-Industrie
Beim Verlassen dieses Geschäfts frage ich mich, was da eigentlich schiefläuft. Warum habe ich das Gefühl, mein Körper sei nicht okay? Die Durchschnittsschweizerin trägt Gr. 40/42. Jedoch gibt uns die Mode-Industrie das Gefühl, alles über Gr. 36/38 sei übergewichtig, nicht der Norm entsprechend. Size Zero von Zara und Co. Entspricht dem Taillenumfang meiner 9-jährigen Tochter. Ich bitte dich! Wenn bereits Gr. 40 als Übergrösse verkauft wird, ergibt sich doch ein völlig verzerrtes Bild der Wirklichkeit.
Wie inklusiv und mehrheitsfähig sollte Mode sein? Und würde es uns nicht das viel bessere Gefühl geben, wenn frau in eine kleinere Grösse passte, als gedacht, anstatt immer nur in eine grössere? Ich muss keine Grösse-36-Frau sein. Dieses Ziel hatte ich nie und habe echt das Gefühl mit meinem Körper – mit Ausnahme von ganz wenigen Momenten (meist in PMS, hormongesteuert oder im Badeanzug) – im Reinen zu sein. Dieses Gefühl sollte von der Mode doch bestärkt und nicht geschmälert werden. Mode sollte uns umarmen, uns schmeicheln, unserer Seele wohltun. Aber zurzeit tut sie grad alles andere. Ich frage mich, was mit Menschen ist, deren Körper noch viel mehr von der Norm abweichen. Frauen mit einer körperlichen Behinderung, Frauen mit Grössen, die nicht ab Stange zu finden sind, Frauen mit Narben, Krampfadern und Dehnungsstreifen. Wie müssen die sich fühlen, wenn ihnen ständig gespiegelt wird «mit deinem Körper ist etwas falsch»?
Warum denken wir, wir sollten uns der Mode anpassen? Statt die Mode unseren Körpern? All jene, die keine genormte Körpermasse haben, passen schlichtweg nicht rein in die Kleidung und auch nicht in das normative Schönheitsbild, das die Mode-Industrie diktiert und Instagram eins zu eins übernimmt.
Der Körper einer Mutter
Warum ist uns der «Mutter-Körper» nicht mehr wert? Wir sollten ihn feiern. Jeden Tag. Es sind gute Körper, die zu Unfassbarem bereit sind. Was ein «Mutter-Körper» alles kann. Der hält so viel aus. Der kann einen anderen Körper aus sich rauspressen oder rausschneiden lassen. Der kann ein anderes Leben ernähren mit Milch, die zum rechten Moment aus ihm rausläuft. Das sollte man sich mal vorstellen. Geburt hinterlässt Spuren und alle haben Erwartungen an dich und deinen Körper. Wir sollten unseren Körper würdigen und dankbar sein. Die Geburt unserer Kinder sollte uns doch stärken und nicht kleinmachen.
Wir sollten liebevoll auf den Körper schauen, ihm die nötige Wertschätzung entgegenbringen. Wir sollten dankbar sein, für alles, was er leistet. Und dies nicht erst dann, wenn ein Körperteil nicht so funktioniert, wie es sollte.
Es wäre so viel einfacher Mode zu ändern anstatt die Menschen, die sie tragen. Wieso passiert das nicht, so frage ich mich. Es sind nur Kleidergrössen und sagen nichts über uns aus. Wir sollen Sachen tragen, in denen wir uns wohl, selbstbewusst und im besten Fall geschützt fühlen. Wir sind so viel mehr als eine Grösse. Und unsere allergrösste Aufgabe wird sein, dies unseren Töchtern und Söhnen zu vermitteln. Unseren Kindern, die bereits ab Geburt in Grösse und Gewicht gemessen und verglichen werden. Die in eine Schablone der sogenannten Perzentile passen müssen und dem ständigen Vergleichen ausgesetzt sind. Es wird eine Herkulesaufgabe. Dessen bin ich mir bewusst.