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Schockdiagnose Brustkrebs

«Aber Mamas dürfen nicht sterben!»

Der leuchtende Regenbogen als Zeichen der Verbindung zwischen Himmel und Erde. (Bild: nsl)

Vier von fünf Brustkrebspatientinnen werden heute geheilt. Ein beachtlicher Erfolg. Meine Freundin Hanna gehörte nicht zu diesen vier.

Die Diagnose vor zweieinhalb Jahren war ein Schock für uns alle. Hanna stand mitten im Leben, Ehefrau, Mutter, Berufsfrau und neuerdings Krebspatientin. Wir trösteten uns gegenseitig. Brustkrebs hat man mittlerweile gut im Griff. Die Behandlung wird kein Sprint, sondern ein Langstreckenlauf, das wussten wir alle, aber die Chancen auf eine vollständige Heilung standen gut.

Hanna informierte von Beginn an alle sehr offen, zögerte nicht, Unterstützung anzunehmen in der Kinderbetreuung und zog in den Kampf. Chemotherapie, Bestrahlungen, Operationen würden folgen. Sie entwickelte eine Stärke, welche ich zutiefst bewunderte.

Natürlich fragte sie sich «Warum ich?», «Warum jetzt?», «Werde ich wieder gesund?». Aber diese Fragen liess sie nur ganz kurz zu. Hanna haderte nicht und kämpfte. Denn als Mutter von zwei Kindern (Vorschulalter und Primarschule) war Aufgeben keine Option. Nie.

Mit Kindern über Krebs reden

Ich klärte meine Fröleins über Hannas Krebserkrankung auf. Sie reagierten feinfühlig und stellten viele Fragen. Oftmals hörten sie sich die Antwort an und fragten im Anschluss gleich, was es zum Znacht geben werde. Das Leben eben. Nichts steht still. Vor dem Einschlafen kamen dann wieder Fragen auf.

Hannas Offenheit und ihr Humor im Umgang mit ihrer Krankheit half uns allen. Die Kinder durften sie alles fragen, auch die Glatze während der Chemotherapie sehen oder gar ihre Perücke aufsetzen. Sie hatten Verständnis, wenn ich zu meiner Freundin fuhr, um sie für einen Chemo-Tag oder beim Aufwachen nach einer Operation zu begleiten.

Ärzte stellten sich auf Kinder ein

Hannas eigene Kinder reagierten mal mit Wutausbrüchen, mal mit Rückzug in der stürmischen Zeit. Auf die Frage «Wirst du wieder ganz gesund?» konnten wir alle ihnen immer nur mit einem «Wir hoffen es ganz fest» antworten. Das Ärzteteam auf der Onkologie nahm sich gerne bewusst Zeit für sie und ihre Fragen. Je mehr die Kinder wüssten, desto geringer sei die Gefahr realitätsverzerrender Fantasien von Schuld und Bedrohung. Sie wählten eine altersgerechte Sprache und machten auch mal Spässe mit ihnen. 

Mit einer grossen Stärke und Demut ging Hanna durch die ganze Behandlungszeit. Immer wieder erreichte sie Etappenziele. Sie war voller Hoffnung und erlitt immer wieder Rückschläge. Die Behandlungen forderten ihr, aber auch ihrer gesamten Familie alles ab. Alles an Kraft, Energie, Mut, Wut und Trauer.

Sie selbst beschrieb es, als sässe sie seit der Diagnose auf einer Achterbahn. Ungewollt. Und immer wieder, wenn sie dachte, es sei nun alles gut, sauste sie wieder ins Leere. Dieses Auf und Ab. Natürlich gab es auch ruhigere Zeiten.

Die letzten Familienferien

Einmal kämpfte sie so sehr dafür, dass sie mit ihrer Familie nach Korsika reisen dürfe. Dorthin, wo sie die letzten Jahre gemeinsam mit weiteren Familien glückliche und unbeschwerte Sommerferien verbracht hatte. Aus den geplanten zwei Wochen wurde eine, für die sie nachfliegen konnte. Es sollten ihre letzten Familienferien sein.

In meinem Leben hatte ich immer wieder mit dem Tod zu tun. Alte Menschen starben oder Kinder mit einer schweren Mehrfachbehinderung, mit deren Tod ich in meinem Beruf konfrontiert werde. Aber eine Mama mitten im Leben, meine Freundin. Dies war nochmal eine ganz andere Kiste, welche es zu verdauen galt. Undenkbar. Sie musste leben. Hanna glaubte an Gott, betete oft. Ich zweifelte. Wie kann Gott zulassen, dass Kinder ihre Mutter viel zu früh verlieren werden? Wer denkt sich denn bitte so was aus?

Rückfall und schwere Entscheidung

Eher per Zufall stellten die Ärzte letzten Oktober Metastasen fest. Erst an Wirbelsäule, Hüfte, Steissbein, später auch in der Leber und dann auf der Lunge. Aber für all das hatte man einen Therapieplan. Vor Ostern dann war klar, dass Hannas gesamter Bauchraum voll mit Tumoren war. Es gäbe noch immer Möglichkeiten zu diesem oder jenem, oder aber sie geniesse die Osterferien zu Hause bei ihrem Mann und ihren Kindern.

Hanna wägte ab, innerlich im Klaren. Nahm ganz bewusst Abschied, immer wieder ein Stück. Liess ihre Kinder noch bei sich im Bett schlafen, genoss jeden Augenblick mit dem Bewusstsein, dass das Leben nicht unendlich ist. Als es zu Hause nicht mehr ging, begab sich Hanna auf die Palliativstation des Spitals, in dem sie unzählige Einheiten an Chemotherapie, Bestrahlung und auch operative Eingriffe über sich hatte ergehen lassen müssen.

Diesmal war es ein ruhiges, freundliches Zimmer, in dezenten Farben gestrichen. Dort verbrachte sie noch drei Wochen. Immer an ihrer Seite eine Person, welche ihr die Hand hielt, redete, schwieg, weinte, aber auch lachte. Dies stets im Wechsel zwischen ganz schönen Momenten und ganz schweren. Wir alle hatten Zeit für den Abschied, ganz bewusst, und dies erachte ich als Geschenk.

Das Unfassbare mitteilen müssen

Ich sagte meinen Kindern, dass Hanna sterben würde. «Aber Mamas dürfen nicht sterben!», so ihre Reaktion unter Tränen und Wut. Es kam ihnen als das Gemeinste auf der ganzen Welt vor. Und genau so fühlte es sich auch für mich an.

Abends war die Trauer und die Ungewissheit am grössten, dann, wenn sich die Nacht über unser Haus legte. Wir zündeten jeden Abend gemeinsam eine Kerze auf der Terrasse an. Dies, um Hanna Licht zu schenken, es möge ihr gut gehen auf ihrer letzten, so schweren Reise.

«Gell Mama, uns kann das nicht passieren. Dass du stirbst. Versprich mir das!» Solche Bitten brachen mir das Herz. Wie gerne würde ich so was versprechen, versichern, dass wir ein langes Leben lang zusammen sein werden. «Ich kann dir das nicht versprechen. Es kann uns alle treffen. Aber ich kann dir versprechen, dass wir jeden Tag, den wir zusammen haben, ganz fest geniessen!»

Abschied von der Familie

Das Allerschwerste für Hanna war, ihren Mann und ihre Kinder loszulassen. Sie nicht mehr beim Aufwachsen zu begleiten. Nicht da zu sein in wichtigen Momenten in ihrem Leben. Ihre grosse Liebe loszulassen und ihn nicht mehr unterstützen zu können.

Hanna starb im Juni, im Alter von 45 Jahren, im Beisein ihrer Schwester auf der Palliativstation. Sie schickte mitten in den dunkelsten Wolken einen leuchtenden Regenbogen, als Zeichen unserer Verbindung zwischen Himmel und Erde. Sie liebte das Leben, Lavendelfelder, Hochzeiten, Deko und Tiere. Sie hatte so ein grosses Herz. Nein, Mamas sollten nicht sterben. Papas auch nicht.

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Kinder: Neun Monate sehnt man sie herbei und dann machen sie einen Haufen Arbeit. Und bestimmen ab sofort Mamis und Papis Leben. Fünf Mütter und ein Vater schreiben über ihren Alltag mit dem Familienzuwachs. Von Herausforderungen, Veränderungen, Ängsten und Freuden.
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3 Kommentare
  • Profilfoto von Edith Meier
    Edith Meier, 11.08.2020, 23:41 Uhr

    @Andrea Stahl. Eben nicht.
    Es ist doch immer traurig. Leider höre ich den zitierten Dialog und die zentrale Frage im Alltag sehr oft.
    Hatte sie Kinder?
    Es scheint, als wäre es weniger schlimm.

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  • Profilfoto von Edith Meier
    Edith Meier, 10.08.2020, 18:59 Uhr

    Ein berührender Artikel. Sehr schön. Bekannte Situation: Sie ist gestorben, mit 43. – Tragisch. Hatte sie Kinder? – Nein – Ahaaaaa.

    Ehm.

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    • Profilfoto von Andrea Stahl
      Andrea Stahl, 10.08.2020, 23:28 Uhr

      Was genau möchten Sie uns sagen? Im Artikel steht, dass sie Mutter von zwei Kindern war, eines im Vorschulalter, das andere in der Primarschule. Und selbst wenn dem nicht so wäre: Wäre es dann weniger tragisch, mit 43 an Krebs zu sterben?

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