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Villa Moosmatt im Obergrundquartier

Das traurige Ende einer jahrhundertealten Luzerner Villa

Anfang des neuen Jahrtausends: Die Villa Moosmatt in ihren letzten Zügen. Der orange Bauzaun versperrt die ehemalige Hofeinfahrt. (Bild: Stadtarchiv Luzern)

In Luzern wird gerne mal gegen den Abriss von Gebäuden protestiert. Nicht so um die Villa Moosmatt im Obergrundquartier. Sie wurde vor 20 Jahren trotz bewegender Geschichte widerstandslos abgerissen. UntergRundgänger Michael Weber erinnert sich an seine Kindheit und grub im Archiv nach den spannenden Hintergründen der Villa.

«Adios Carmen» stand auf dem Kiosk an der Moosmattstrasse 27 als letzter Gruss aus dem Quartier an die ehemalige Besitzerin, bevor am 30. November 2023 die Bagger das Häuschen definitiv dem Erdboden gleichgemacht haben (zentralplus berichtete). Damit endete die Geschichte eines für viele Menschen wichtigen Treffpunkts im Quartier. Dass genau dort im Jahr 1932 von einem gewissen Anton Blum ein Kiosk gebaut wurde, war eventuell nicht so zufällig, wie es heute scheint.

Einzige direkte Verbindung nach Horw

Die Kurve Moosmattstrasse–Hubelrain war bereits im 17. Jahrhundert ein wichtiger (Kirch)Weg für viele Menschen. Der heute noch sehr urtümlich anmutende Hubelrain war zusammen mit dem Zihlmattweg die damals einzige direkte Verbindung von der Stadt nach Horw. In dieser Kurve – die übrigen Wege gab es noch nicht – stand ein Bauernhaus. Der 1645 zum ersten Mal erwähnte Moosmatthof hiess damals noch Grosslehenmatt oder Grosslachenmatt. Er grenzte an den Steghof, den Böshüslihof (Ober Breitenlachen), den Eichmatthof und den Käppelihof.

Ein Plan des Moosmatt-Gebiets um 1840. Das Bauernhaus (mit violettem Kreuz markiert) steht an der Kreuzung Moosmattstrasse–Hubelrain.
Ein Plan des Moosmatt-Gebiets um 1840. Das Bauernhaus (mit violettem Kreuz markiert) steht an der Kreuzung Moosmattstrasse–Hubelrain. (Bild: Stadtarchiv Luzern)

Ein Künstler funktioniert das Haus zur Villa um

In den folgenden 200 Jahren wechselte der Moosmatthof immer wieder die Besitzer. Wer im Bauernhaus lebte und das Land jeweils gepachtet hatte, ist nicht überliefert. Spannend wurde es, als im Jahr 1861 Jost Schnyder von Wartensee (1822–1894) das Grundstück von seiner Mutter erbte. Der Kunstmaler liess noch im selben Jahr das Bauernhaus um eine weitere Etage aufstocken und nannte das Holzhaus fortan Villa Moosmatt.

Er selbst bezog den obersten Stock und ging einige Monate beim angesehenen Kunstmaler Robert Zünd (1827–1909), der ebenfalls an der Moosmattstrasse lebte, in die Lehre. Die beiden Landschaftsmaler liessen sich von der näheren Umgebung inspirieren. Zünds Bilder des Eichwäldlis oder der Allmend sind national bekannt. Jost Schnyder von Wartensee malte auch den «Hohlweg», wie der Hubelrain damals im Volksmund hiess, der direkt neben seinem Haus lag.

Links: «Hohlweg bei Moosmatt» von Jost Schnyder-von Wartensee, undatiert. Rechts: Aufnahme Hubelrain vom 03.03.2024. (Bild: Artnet | Michael Weber)

Auch Robert Zünd malte den Hubelrain, jedoch zeigt sein Bild die Stelle etwas weiter oben, wo der historische Weg zum Steghof hinunter abgeht.

Links: «Spaziergänger auf einem Waldweg bei Luzern» von Robert Zünd, undatiert. Rechts: Aufnahme Hubelrain vom 03.03.2024. (Bild: Artnet | Michael Weber)

Nach Jost Schnyder von Wartensees Tod erbten seine beiden Söhne Ludwig (1858–1927) und Wilhelm (1859–1894) die Villa. Die Gebrüder Schnyder waren bedeutende Kunstschmiede. Sie fertigten beispielsweise die Aushängeschilder für die Gasthäuser Wilder Mann und «Goldener Löwen» in Luzern. Immer noch unter dem Namen Gebrüder Schnyder fertigte Ludwig den prachtvollen schmiedeeisernen Kronleuchter in der Pauluskirche.

Er war es auch, der 1895 die neue Scheune auf der Liegenschaft bauen liess, nachdem die alte, die direkt an der Moosmattstrasse stand, im selben Jahr abgebrannt war. Das Land des Moosmatthofs wurde in den folgenden Jahrzehnten verkauft. Auf einem Teil entstand das Moosmattschulhaus (1914 eröffnet). Weiter zogen kleine Handwerksbetriebe in einfach erstellte Bauten ein. Privatpersonen aus dem Quartier zimmerten sich in den 1950er-Jahren Einzelgaragen für ihre Automobile, ausserdem zogen unterhalb der grossen Scheune Automechaniker und ein Autospritzwerk ein. Zu diesem Kleingewerbe passte der Kiosk von Herrn Blum perfekt.

Aus dem Jahr 1980: Blick vom Hubelrain auf die ehemalige Scheune des Moosmatthofs. Im Vordergrund sind Autogaragen, hinter der Scheune sieht man die Wiese des Moosmatt-Schulhauses. (Bild: Stadtarchiv Luzern)

Kiosk als Kindermagnet

Für ein Kind wie mich, das Ende der 1980er, Anfang der 1990er ins Moosmatt-Schulhaus ging, war der Moosmatt-Kiosk jedoch der Kiosk von Josef «Seppi» Bieri (1931–2020). Direkt neben der Bushaltestelle Breitenlachen war sein Holzhäuschen mit den herausfahrbaren Zeitschriftenständern eine feste Grösse. Unzählige Mickey-Maus-Hefte, Kaugummis und Fussball-Bildli haben wir dort gekauft.

Dabei war es eigentlich verboten, während der grossen Pause zum Kiosk zu gehen. Jedoch gab es beim Spielplatz hinter einer Böschung ein Loch im Holzzaun. So kam man auf die Privatstrasse der Kleinunternehmer (Moosmattstrasse 27a) und konnte über den Hof der Villa ungesehen zum Kiosk schleichen. Dabei kamen wir auch immer am imposanten Brunnen vorbei, der zu jeder Jahreszeit lief.

Aufnahme des Brunnens, der im Hof der Villa Moosmatt stand. (Bild: Stadtarchiv Luzern)

Hinter dem Brunnen stand ein Miniaturhäuschen mit einem falschen Fenster aus Holz, das regelmässig gewechselt wurde. Mal war eine alte lachende Frau am Fenster, dann ein winkender älterer Herr oder man sah in einen vermeintlichen Hühnerstall.

Auf dem Hof fuhr zudem von Zeit zu Zeit eine grosse Modelleisenbahn wie von Geisterhand. Bewohner waren nie zu sehen. Darum ist auch unklar, wer sich so liebevoll um diese Details gekümmert hat. 1990 lebten laut dem Luzerner Adressbuch noch vier Personen in zwei Parteien in der vierstöckigen Villa. In den Jahrzehnten zuvor war das Gebäude immer als Mehrfamilienhaus genutzt worden – und bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs wohl auch noch landwirtschaftlich. Der Hof war auf Viehwirtschaft ausgelegt.

Klassenfoto aus dem Besitz von Michael Weber: Der Brunnen auf dem Hof der Villa. Hinter der Lehrerin in der Mitte ist ein Ausschnitt des «Hühnerstalls» zu sehen. (Bild: Michael Weber)

SBB lässt alles abreissen

2001 verlauteten die SBB, denen das Gebiet schon lange gehörte, dass für 40 Millionen Franken eine Überbauung mit über 100 Wohnungen sowie 3000 Quadratmetern Gewerbefläche entstehen sollten. «Hightech statt Handwerk», fasste die «Neue Luzerner Zeitung» am 7. März 2001 den Kahlschlag zusammen und zählte auf, was alles verschwinden sollte: «Eine Automalerei, eine Zimmerei, eine Firma für Papier- und Altmetallhandel, ein Stukkaturbetrieb, ein Atelier für Schriftenmalerei und weitere Kleinstbetriebe. Ein Brockenhaus hat bereits früher den Platz geräumt.» Entstanden sind am Ende zahlreiche Wohnungen (Sternmattstrasse 14–14L), die angekündigten Hightech-Betriebe haben sich aber nie angesiedelt. Die Gewerbefläche wird vor allem von der Sprachenschule ECAP Zentralschweiz genutzt.

Was jedoch in der Aufzählung der «NLZ» fehlte, waren die Villa und der Kiosk. Erstere liess man in ihrem letzten Jahrzehnt leider komplett verlottern. Als zu Beginn des neuen Jahrtausends die Bagger auffuhren, war das historische Holzhaus in einem desolaten Zustand. Obwohl Luzerner gerne um alte Gebäude kämpfen, etwa die Bodum-Villen, machte sich für die Moosmatt-Villa niemand stark.

Schulkinder erweichen das Herz des Stadtrats

Etwas anders sah es beim Kiosk aus. Dieser sollte ebenfalls weichen, da dort ein Velounterstand für den Nachfolgebau geplant war. Carmen San José, die sieben Jahre zuvor den Kiosk von Josef Bieri abgekauft hatte, war die Leidtragende.

Schülerinnen und Schüler des Moosmatt-Schulhauses empfanden die «Vertreibung» von Carmen als unfair und starteten sogleich eine Petition an den Stadtrat mit dem Titel «Carmen muss bleiben». Carmen San José kaufte indes – kaum erhielt sie den Abrissbescheid – den neu leerstehenden Kiosk an der Bushaltestelle Steghof.

Der Stadtrat liess sich von der Petition berühren und sagte zu, dass der Moosmatt-Kiosk neu auf städtischem Grund stehen dürfe. Nach Fertigstellung des Neubaus Moosmattstrasse 27 wurde der Kiosk dort errichtet, wo zuvor eine hölzerne Schotterkiste stand.

Der weisse Grundierungssockel erinnert an den ehemaligen Moosmatt-Kiosk, der ursprünglich auf der anderen Seite der Hofeinfahrt (dahinter leicht abfallend noch sichtbar) stand. Im Hintergrund: das neue Gebäude Moosmattstrasse 27. (Bild: Michael Weber)

Nach eineinhalb Jahren im Steghofer Exil eröffnete Carmen San José ihren Kiosk am 20. Juli 2004 wieder, um ihn dann noch 19 Jahre an derselben Stelle zu betreiben. Heute erinnert nur noch ein weisser Sockel neben der angedeuteten Einfahrt daran, dass hier mal ein Treffpunkt eines lebendigen Quartiers war.

Hinweis: Anlässlich des 150. Geburtstags des Quartiervereins Obergrund konzipiert der Verein UntergRundgang einen ObergRundgang. Dieser Beitrag ist im Rahmen der Recherchen zu diesem Spezialrundgang entstanden.

Verwendete Quellen
  • Hafner, Hans: Obergrund Luzern. Kleine Geschichte des Quartiervereins und des Quartiers (1987)
  • Schweizerisches Künstler-Lexikon: Dictionnaire des Artistes Suisses Vol. 3 (1913)
  • «Neue Luzerner Zeitung» vom 07.03.2001, 22.01.2003 und 20.07.2004
  • Besuch im Stadtarchiv Luzern
  • Begehung des Gebietes
  • Persönliche Erinnerungen und Quellen von Michael Weber
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Ob Hintergründe zu alten Gebäuden, Geschichten zu Plätzen, stadtbekannte Personen, bedeutende Ereignisse oder der Wandel von Stadtteilen – im «Damals»-Blog werden historische Veränderungen und Gegebenheiten thematisiert.
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