Gewalt in Krienser «Drogenhaus»

Angeklagter über Ex: «Sie will mich zerstören»

Die Polizei musste 2015 an die Luzernerstrasse in Kriens ausrücken, weil angeblich ein Schuss fiel. (Bild: Screenshot Google Maps)

Ein 39-jähriger Kosovare soll mehrere Frauen geschlagen und genötigt haben. Vor dem Luzerner Kriminalgericht erzählte er am Donnerstag eine ganz andere Geschichte: die eines Komplotts, den seine Ex und mehrere Drogensüchtige gegen ihn ausgeheckt hätten.

Am 1. August 2015, an seinem Geburtstag, feuerte er zur Feier des Tages vom Balkon seines Zuhauses in Kriens Schüsse ab. Das war einer der wenigen Punkte, die der Beschuldigte am Donnerstag vor dem Luzerner Kriminalgericht einräumte.

Der 39-jährige Kosovare musste sich wegen zahlreicher Vorwürfe vor Gericht verantworten, von Gefährdung des Lebens über Nötigung, Körperverletzung bis hin zu versuchter Entführung. Ihm wird vorgeworfen, seine ehemalige Partnerin geschlagen, bedroht und eingesperrt zu haben. Einmal soll er sie mit einer Pistole gezwungen haben, ihm auf Knien eine Liebeserklärung zu machen.

Zudem soll er im August 2015 an zwei Tagen nacheinander in einem Wohnhaus in Kriens zwei Frauen geschlagen haben. Wobei er am zweiten Tag laut Staatsanwaltschaft an die Zimmerdecke schoss und damit das Leben der im Raum anwesenden Personen gefährdete (zentralplus berichtete).

Frauenproblem oder Klischee?

Vor Gericht erschien am Donnerstag ein grosser, kräftiger Mann in Jeans, Turnschuhen und schwarzem Shirt. Doch irgendetwas an seiner Erscheinung schien nicht so richtig ins Bild des frauenfeindlichen Schlägers zu passen: Es war sein schüchterner Blick und seine unsichere Körpersprache. Dabei ist der Mann alles andere als ein unbeschriebenes Blatt: Mehrfach bekam er es schon mit der Justiz zu tun und bereits in der Vergangenheit wurde er verurteilt, weil er eine Frau geschlagen und gewürgt hatte.

«Haben Sie ein Frauenproblem?», fragte die Richterin. «Niemals», antwortete der Beschuldigte. «Ich bin sicher nicht frauenfeindlich.» Auch sein Verteidiger sprach in seinem Plädoyer von einem Klischee, sein Mandant sei kein Macho.

Die Geschichte hat sich laut dem Angeklagten ganz anders zugetragen. Es habe zwar Streitigkeiten gegeben mit seiner Ex-Freundin. Die Anschuldigungen, er habe ihr einen Faustschlag verpasst, einen Gasbrenner vors Gesicht gehalten, sie mit einer Pistole bedroht oder im schwangeren Zustand an die Wand gedrückt, wies er aber vehement zurück.

«Schuld an der Sache tragen alle, nur nicht er selbst.»

Staatsanwältin

«Es ist ihr Wunsch, mich zu zerstören, es ist eine Fantasie von ihr», sagte er in gutem Deutsch mit Akzent. Wobei er trotz der gemeinsamen Tochter bestritt, dass sie überhaupt eine Beziehung geführt hätten. Vielmehr zeichnete er das Bild einer Schicksalgemeinschaft: beide hatten ihren Job verloren, mit Suchtproblemen zu kämpfen, Betreibungen am Hals. Sie hätten zwar eine gemeinsame Wohnung gehabt, aber mit je einem eigenen Zimmer. Gelegentlich hätten sie Geschlechtsverkehr gehabt, sagte er. Die Frau sei sexsüchtig gewesen – einer der Auslöser für die vielen Streitigkeiten.

Im «Drogenhaus» in Kriens

Immer wieder seufzte er, wenn die Richterin ihm die zahlreichen Vorwürfe vorlas, und schüttelte den Kopf. Er sagte sogar, es habe eine Zeit gegeben, in der er das Opfer seiner Ex gewesen sei.

Auch den Vorfall, als er seine Exfreundin angeblich bei ihr zuhause einschloss und später in ein Auto zwingen wollte, lief gemäss dem Beschuldigten ganz anders ab. Er sei nur zu ihr gegangen, um sein Geld abzuholen, das er bei ihr deponiert hatte. Und der Kollege im Auto habe sie nur nach Hause fahren wollen und keinesfalls irgendwo anders hin.

Auch bei den Ereignissen im August 2015 in Kriens sah sich der Beschuldigte als Opfer eines Komplotts. Er wohnte damals mit mehreren anderen Personen in einem – inzwischen abgerissenen – «Drogenhaus», wie es der Verteidiger nannte. Dort habe es eine klare Hierarchie gegeben. Die zwei Bosse hätten mehrere Frauen, die im Gebäude wohnten, zur Prostitution und zu Diebstählen gezwungen. «Solange sich mein Mandant dem Regime unterwarf, ging es gut.» Das habe sich aber geändert, als er kritisierte, dass die Frauen anschaffen gehen müssen. Danach hätten die zwei Männer ihn unbedingt loswerden wollen. Etwa, indem sie ihm die zwei Frauen ins Zimmer schickten, die ihn beklauen sollten.

Widersprüchliche Aussagen

In den Details offenbarten sich indes einige Widersprüche, wie das Richtergremium bemerkte. Der Beschuldigte stritt zum Beispiel ab, dass er mit der Pistole in die Decke geschossen habe. Die Waffe habe er gar nicht mit sich getragen, sie sei im Zimmer der beiden Bosse gewesen. Wie erklärt sich dann das Projektil, das unter seinem Bett gefunden wurde, und die Schussspuren an der Wand? Und wieso sollte er sie dort lagern, wenn er ihnen so nicht traut?

«Man kann keiner einzigen Person in diesem Haus glauben.»

Verteidiger

Der Beschuldigte äusserte die Vermutung, dass die zwei Männer tags zuvor den Schuss in seinem Zimmer abgegeben hätten. Der Verteidiger wies darauf hin, dass die Schmauchspuren als einziges objektives Beweismittel dem Mann nicht eindeutig nachgewiesen werden konnten. Die Pistole wurde später in einem Versteck im Obergeschoss des Hauses gefunden.

So unklar der Hergang rund um den Schuss, klar wurde: Der Mann hatte in jener Zeit grosse Mengen an Drogen konsumiert. Er selber sprach von einem «Absturz», der ihm auch hätte das Leben kosten können. Auch sein Verteidiger bezeichnete die damalige Verhaftung als «Glücksfall».

Lehren aus dem Gefängnis

«Schuld an der Sache tragen alle, nur nicht er selbst», bilanzierte hingegen die Staatsanwältin. Er habe auch nur immer gerade das gestanden, was ihm nachgewiesen werden konnte. In der Drogenszene gelte er als gefährlicher Typ, hielt sie fest und zeichnete damit ein ganz anderes Bild des Mannes. «Er mochte es, als König angesehen zu werden.» Seine Opfer seien meist Frauen gewesen, die ihm körperlich unterlegen und schutzlos ausgeliefert waren.

Die Staatsanwaltschaft fordert eine Freiheitsstrafe von sechs Jahren und erhöhte damit das Strafmass im Vergleich zur Anklageschrift sogar um ein Jahr.

Der Verteidiger seinerseits fordert in den meisten Punkten einen Freispruch. Bei den Beziehungsdelikten mit seiner Expartnerin stehe Aussage gegen Aussage. Da die Frau selber psychische Probleme habe, stellte er ihre Glaubwürdigkeit in Frage. Noch deutlicher äusserte er sich zu den Vorfällen in Kriens. «Man kann keiner einzigen Person in diesem Haus glauben», sagte er und verwies auf die allgegenwärtige Drogensucht und die gegenseitigen Abhängigkeiten.

«Das Leben im Knast ist wirklich hart.»

Angeklagter

Sein Mandant sei lediglich wegen Drohung und Nötigung sowie Widerhandlungen gegen das Waffen- und Betäubungsmittelgesetz zu verurteilen – mit einer Strafe von maximal 24 Monaten. Darüber hinaus verlangt der Verteidiger eine Entschädigung für die Überhaft: Der Mann befindet sich seit knapp vier Jahren im Gefängnis, zuerst in Untersuchungshaft, seit 2017 im vorzeitigen Strafvollzug in Lenzburg. Seither habe er den Drogen abgeschworen, mit dem Rauchen aufgehört und sich laut Verteidiger zu einem Mustergefangenen entwickelt. «Das Leben im Knast ist wirklich hart», sagte der 39-Jährige. Und räumte ein, dass die bisherigen Vorstrafen ihn womöglich zu wenig beeindruckt hätten. Die lange Haft habe ihm die Augen geöffnet.

Wie lang er im Gefängnis bleiben muss, wird sich zeigen. Das Kriminalgericht gibt sein Urteil zu einem späteren Zeitpunkt schriftlich bekannt. Klar ist, dass er ohnehin noch zwei Vorstrafen von insgesamt 15 Monaten absitzen muss.

Seinen 40. Geburtstag, am 1. August 2019, dürfte der Beschuldigte also vermutlich in Haft verbringen. Und ganz bestimmt wird er dann nicht in die Luft schiessen.

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1 Kommentar
  • Profilfoto von Eduard Steinlin
    Eduard Steinlin, 26.07.2019, 14:00 Uhr

    Mich interessiert nur eines, wird er nach Verbüssung der Strafe dauerhaft ausgeschafft ?

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