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Restaurant-Test

«Helvetia» Luzern: Eine ganze Lammkeule am Mittag?

  • Bewertung★★★★★★★★★★
  • Preiskategorie●●●●●●
  • Küche Schweizerisch
  • Ambiente Traditionell
Seit 125 Jahren wird am Luzerner Helvetiagärtli ununterbrochen gewirtet, heute sind in den ehemaligen Hotelzimmern über dem Restaurant Wohnungen zu finden. (Bild: hch)

Vor mehr als einem Jahrhundert erbaut, gilt das Restaurant «Helvetia» heute als Luzerner Institution mit einer gehobenen, bürgerlichen Küche. Wir haben das «Helfti» getestet. Glücklicherweise bedurfte unser Besuch nicht vieler Worte.

Es mag kurios erscheinen. Wurde das «Hevetia» im Jahr 1900 als «alkoholfreies Volkshaus» eröffnet, so gehört es seit 2017 zur selben Luzerner Gastrogruppe wie die «Rathaus-Brauerei». Und ist damit mitnichten alkoholfrei, wenn es hier auch durchaus gepflegt zu- und hergeht. Dafür sorgt nur schon der lauschige Aussenbereich, den viele zu Recht als eine der schönsten Gartenbeizen der Stadt bezeichnen.

Unser Testbesuch findet an einem Mittag statt – nicht ohne Grund: Bei der Übernahme von Beizer Ueli Vollenweider, der das Lokal 26 Jahre lange geführt hat, kündigte die heutige Besitzerin Gambrinus Gastronomie AG an, man wolle an Wochentagen weiterhin zwei preisgünstige Tagesmenüs anbieten.

Das ganze Tier

Machen wir also die Probe aufs Exempel, wenn auch mit sieben Jahren Verspätung. Eines der beiden Tagesgerichte ist immer vegetarisch, an diesem Mittag sind es die Linguine mit Spargeln (für 21.70 Franken). Ich entscheide mich für das Menü 2, eine glasierte Lammkeule an Thymianjus mit Beilagen (24.70 Franken).

Aufwendiger zubereitete Schmorgerichte sind eine perfekt Verwertung für jene Stücke, die nicht so häufig wie Kurzgebratenes über die Ladentheke gehen. Und da um die Osterzeit herum am meisten Lammfleisch konsumiert wird, dürften neben dem beliebten Rückenfilet oder Nierstück jetzt entsprechend viele andere Stücke anfallen. «From the nose to the lambtail», sozusagen.

Bis der Teller auf dem Tisch ankommt, gilt es jedoch noch eine kommunikative Hürde zu nehmen – oder besser gesagt: ein Hürdchen. «Formuliere einen ganzen Satz», hiess es bei uns jeweils in der Primarschule, wenn sich die Schützlinge für einmal wortkarg gaben. Ob dies heute noch so ist, ist zumindest fraglich. Dem Zeitgeist entsprechend liess sich die Bedienung denn auch kein unnötiges Wort entlocken. Das «Grüezi» kam ihr noch ganz flott über die Lippen, der darauf folgende fragende Blick war denn auch schon die wortlose Aufforderung an uns, unsere Wünsche zu formulieren.

Und so war es auf dem Teller

Das Menü lässt die Wahl zwischen Linsencremesuppe und Salat. Die Vitamine zur Einstimmung kommen flott auf den Tisch, so frisch, wie er serviert wird, war auch die Zeit zwischen Ernte und Küche nicht viel länger. Unter den Blättern befinden sich Rucola, Eichblatt, Eisberg und junger Spinat, dazu gibt es einige Maiskörner. Die Küche macht den Salat wahlweise mit einem italienischen oder französischen Dressing an, beide sind schön ausgewogen im Geschmack, ohne dass sich ein einzelnes Gewürz in den Vordergrund zu drängen versuchte. Und auch das frische Brot dazu gefiel; ein «chüschtiges» Ruchbrot. Ganzs so, wie man es sich anno dazumal bei der Eröffnung des Lokals vorstellt.

Doch zurück zur Lammkeule. Da eine ganze Keule auf meinem Teller nur schwerlich Platz gefunden hätte, handelt es sich glücklicherweise doch nur um eine Lammhaxe. Drapiert war das gute – da schön mürbe gekochte – Stück mit einer feinen Brunoise.

Da hat sich jemand viel Zeit genommen, das Gemüse in klitzekleine, gleichmässige Würfelchen zu schnipseln. Schön, dass dies in der Küche von Saenthen Thayaparan, der zuvor im «Stadtkeller» als Chef wirkte, noch möglich ist. Die Sauce blieb erneut schön dezent und und harmonisch, fast nur das Thymianzweiglein wies auf das verwendete Kraut hin. Dasselbe beim perfekt passenden Begleiter, den jungen Rosmarinkartoffeln. Einzig anstelle der Peperonata hätte man sich ein saisongerechteres Gemüse wünschen können.

Eine junge Felche?

Mein Mitesser hat den Balchen bestellt, der gebraten auf Kartoffel-Lauch-Gemüse als Wochenhit angeboten wird. Aber ganz offensichtlich weiss er selber nicht genau, was er da geordert hat. Denn der Balchen ist – so ergibt es eine schnelle Suche auf dem Handy – keineswegs eine junge Felche. Knapp daneben ist auch vorbei, immerhin ist der Balchen ein Verwandter der wohl eher bekannten Felche – und auch der berühmten Albeli.

Eine genauere Recherche nach dem Essen fördert Erstaunliches zu Tage: Der Coregonus, lernt man da, ist kein römischer General, der sich die Germanen untertan gemacht hat, sondern der Name der Fischfamilie, zu der die Felchen, die Albeli und eben auch die Balchen gehören. Insgesamt gebe es mindestens 26 verschiedene Felchenarten in der Schweiz.

Es scheint nicht nötig zu sein, so in die Tiefe zu gehen, um den Fisch geniessen zu können. Der Teller sieht appetitlich aus und der Fisch ist frisch. Es steht zwar nicht auf der Karte, aber es ist anzunehmen, dass der Balchen aus dem Vierwaldstättersee kommt. Denn der Balchen sei die am schnellsten wachsende Felchenart im See, die bis zu 45 Zentimeter lang werden könne. 

Ohnmacht im «Helvetia»-Garten

Mein Begleiter hat den Teller schon halb verspeist, als er sich daran erinnert, dass sein letzter Besuch im «Helvetia» nicht ganz so glimpflich ausgegangen sei. Damals sei er im schönen Park draussen an einem Tisch gesessen – ganz am Rand, als ihn der kleine Zielball der Petanquespieler hart am Hinterkopf getroffen habe: Eine schwere Petanquekugel hat den Ball weggespickt. Einen kurzen Augenblick sei alles schwarz geworden – und der Appetit vergangen. 

Der Appetit ist heute wieder da. Der Teller ist leer geputzt. Ja, der Fisch sei ausgezeichnet gewesen. Und das Kartoffel-Lauch-Gemüse auch. Trotz der positiven Traumaverarbeitung: Im «Helvetia»-Gärtli sei es ihm nach wie vor zu gefährlich. In der schönen Gaststube fühle er sich auch bei frühlingshaften Temperaturen deutlich wohler. 

Bewertung

Preis-Leistung
**** von *****
Die Lammkeule kostete mit Salat 24.70, das Balchenfilet mit Kartoffel-Lauch-Gemüse als Wochenangebot 29.50 Franken. Beides wurde mit einem Menüsalat serviert. Die Portionen der Tagesmenüs sind ausreichend, die Qualität rechtfertigt das gehobene Preisniveau.

Auch abends bleibt es bei einer ambitionierten bürgerlichen Küche. Die Karte entspricht dem Charakter eines Quartierlokals und erfüllt die verschiedenen Ansprüche, ohne überladen zu sein. Zahlreiche Lieferanten und Spezialitäten stammen aus der Region. Ein grüner Salat kostet 11.70 Franken, Hauptgerichte gibt es ab 29 Franken. So werden etwa für die beliebten Hacktätschli 31 Franken, für das Cordon bleu vom Kalb mit Beilagen 45 Franken verlangt. Die sechs unterschiedlichen Flammkuchen kosten zwischen 25 und 28 Franken, ausserdem sind rund zehn Saisonangebote erhältlich, darunter wiederum auch Fleischlose.

Ambiente
***** von *****
Eine schöne gepflegte Beiz aus der Gründerzeit: massiver Eichenboden und -tische, Holzstühle, Jugendstilsäulen und alte Holländer an den Wänden: Die Tischdekoration ist stilvoll mit frischen Blumen, man wähnt sich in einer anderen Epoche.

Ein privates Baugeschäft hat das «Helfti» im Jahr 1900 auf eigene Kosten erbaut. Geplant hat man das massive Eckhaus zwar als Wohnhaus mit Restaurant, man nutzte es aber schon bei der Eröffnung als Hotel. Ab 1917 diente es zwischenzeitlich als Notunterkunft für Obdachlose. Heute bietet das Lokal bietet Platz für 90 Personen, dazu kommt die grosse Gartenterrasse im «Helvetiagärtli» unter alten Kastanienbäumen. Angeschlossen ist ausserdem die «Helvetia-Bar», wo dieselben Gerichte serviert werden und geraucht werden darf.

Service
*** von *****
«Wortkarge Effizienz» würde die Bedienung bei unserem Testbesuch am treffendsten beschreiben. Ein Lächeln oder mehr als rudimentäre Informationen liess sie sich zwar nur schwer entlocken, dafür klappte sonst alles wie am Schnürchen. Den für uns vorgesehenen Tisch konnten wir zwecks einer diskreteren Örtlichkeit problemlos wechseln, Wartezeiten gab es kaum, die Gerichte kamen rasch und es wurde nachgefragt, ob alles zu unserer Zufriedenheit sei. Obwohl die Öffnungszeiten auch schon mal zur Disposition standen, ist das Restaurant weiterhin durchgehend geöffnet, also auch an Sonn- und Montagen.

Online-Faktor
**** von *****
Die Seite bietet stimmungsvolle Bilder und Informationen zu Lieferanten und deren Produkten. Alle Karten inklusive saisonalen Spezialitäten und Wochenenangeboten sind vorhanden. Online-Reservationen sind nicht vorgesehen, wir haben es daher E-Mail versucht. Unsere Anfrage hat funktioniert und wurde umgehend beantwortet.

Die Rechnung gibt es auch im «Helvetia» ganz zum Schluss.
Die Rechnung gibt es auch im «Helvetia» ganz zum Schluss.
Verwendete Quellen
  • Testbesuch
  • Webseite Quartierverein-Neustadt

Helvetia

Adresse:
Waldstätterstrasse 9
6003 Luzern

Telefon:
041 210 44 50

E-Mailadresse:
[email protected]

Öffnungszeiten:
Montag bis Samstag 8.00 – 24.00 Uhr, Sonntag 10.00 – 23.00 Uhr
Karte
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So isst zentralplus – Vom Gourmet bis zum Fast-Food – der eat’n drink-Blog befasst sich mit alltäglichen und besonderen gastronomischen Erlebnissen aus den Kantonen Zug und Luzern.
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