Zuger über Altersdiskriminierung

Über 60 Jahre alt, 1000 Bewerbungen – immer noch joblos

Verlieren ältere Menschen ihren Job, ist es für viele nicht einfach, einen neuen zu finden. (Bild: Symbolbild: Adobe Stock)

1000 Bewerbungen in fünf Jahren – und noch immer keinen Job in Sicht. So geht es einem IT-Experten aus dem Kanton Zug. Ein Einzelfall? Bei Weitem nicht.

«Ihr Dossier hat uns gut gefallen – wir haben jedoch Bewerbungen erhalten, die noch genauer unseren Vorstellungen entsprechen.»

«Aufgrund der bestehenden Altersstruktur möchten wir einer jüngeren Person die Chance geben.»

Jede Absage sitzt. Und von diesen hat Ruedi* Hunderte abbekommen. Seit Sommer 2018 hat der Zuger gut 1000 Bewerbungen geschrieben und verschickt – nirgendwo hat es für den gelernten IT-Experten gereicht. Ruedi ist gelernter Informatiker mit eidgenössischem Fachausweis und hat die Berufsprüfung abgeschlossen. Er hat über 30 Jahre Erfahrungen im Finanzsektor, sich immer weitergebildet und arbeitete auch für grosse Kunden. Vor seinem 60. Geburtstag kriegte er die Kündigung – nach Reibereien innerhalb der Firma und einem Burnout. Nun ist er seit fünf Jahren arbeitslos.

Ü60: Die Arbeitslosenquote ist überdurchschnittlich hoch

Dem Schweizer Arbeitsmarkt geht es gut. Theoretisch. Die Zahl der Arbeitslosen ist im April schweizweit gesunken. Laut des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) verharrt die Arbeitslosenquote derzeit bei 2,0 Prozent. Zwar ist die Arbeitslosenquote bei der Altersgruppe zwischen 50 und 64 Jahren gesunken. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich jedoch, dass sie bei den 60- bis 64-Jährigen höher liegt und mit 2,8 Prozent klar über dem Durchschnitt liegt.

«In den letzten zehn Jahren habe ich einige Mal aufgeatmet, sobald die Erwerbslosenquote sank – doch sie stieg immer wieder an.»

Heidi Joos, Avenir50plus

Dass Ruedi kein Einzelfall ist, weiss auch Heidi Joos. Sie ist Geschäftsführerin des Verbands «Avenir50plus Schweiz». Der Verband setzt sich seit mehr als zehn Jahren für Menschen ein, die in der Öffentlichkeit wenig Gehör finden (zentralplus berichtete).

Seien das Menschen über 50 Jahre, die ihren Job verloren haben. Menschen, die ausgesteuert sind, die auf Leistungen der Invalidenversicherung oder des Sozialamts warten. Joos und ihr Team beraten schweizweit kostenlos Menschen, führen Job-Coachings durch und organisieren Selbsthilfegruppen. Zudem vertritt der Verband deren Interessen gegenüber Politik, Behörden und Arbeitgebern.

Umfrage bei HR-Fachleuten zeigt: Ü60 sind uninteressant

Für Joos sind die Erwerbslosenzahlen vom April kein Grund, sich entspannt zurückzulehnen. Sie fragt sich, wie nachhaltig die Entwicklung ist. «In den letzten zehn Jahren habe ich einige Mal aufgeatmet, sobald die Erwerbslosenquote sank – doch sie stieg immer wieder an.»

Auch Umfragen untermauern, dass Ältere auf dem Arbeitsmarkt diskriminiert werden. Personen, die über 60 Jahre alt sind, werden bei der Rekrutierung lediglich von rund 9 Prozent in Erwägung gezogen. Das zeigte eine Umfrage der Outplacement-Firma «Von Rundstedt» in Zusammenarbeit mit dem HR-Medium «HR Today». Vergangenes Jahr haben diese knapp 1000 HR-Fachleute aus der ganzen Schweiz zum Fachkräftemangel befragt. Rund 40 Prozent gaben an, im Ausland zu rekrutieren. Und fast die Hälfte zeigte – trotz Arbeitskräftemangel – Vorbehalte gegenüber Bewerbenden ab 58 Jahren.

Ältere kosten Unternehmen mehr

Joos zeigt sich besorgt über diese Zahlen. Zumal kennt sie viele ältere Erwerbslose, die nach Hunderten von Absagen wieder eine Stelle fanden, jedoch in prekären Arbeitsverhältnissen gelandet seien.

Sie nennt gleich mehrere Probleme, weswegen ältere Menschen bei der Jobsuche scheitern und auf Altersdiskriminierung stossen. «Im Hintergrund geht es in den meisten Fällen ums Geld», sagt Heidi Joos. «Die Pensionskassenbeiträge sind für Ältere höher als für Jüngere.» Habe ein Unternehmen die Wahl, so entscheide es sich eher für eine jüngere Person, die weniger kostet – weil die Sozialnebenkosten tiefer sind.

«Zudem ist der Arbeitsmarkt sehr Zertifikats-fixiert», so Joos weiter. Ältere, die sich ihr Know-how über jahrelange Arbeitserfahrung angeeignet haben und nicht mit einem universitären Abschluss untermauern können, hätten das Nachsehen. «Trotz Fachkräftemangel haben auch Quereinsteiger immer noch keine Chancen, wie die jüngste Befragung von HR-Fachleuten zeigt.»

Heidi Joos gründete vor zehn Jahren den Verein «Avenir 50 plus». (Bild: ida)

BVG-Reform: Kaum eine Lösung

Jüngst hat sich auch die Politik mit den Pensionskassenbeiträge auseinandergesetzt. Mitte März haben National- und Ständerat die Reform der beruflichen Vorsorge verabschiedet. Unter anderem sollen neu die Altersgutschriften angepasst werden.

«Ich muss meine Familie ernähren und die Miete meiner Wohnung bezahlen – langsam weiss ich nicht mehr, woher ich das Geld nehmen soll.»

Ruedi

Im Alter 25 bis 44 Jahre sollen sie neu 9 Prozent und im Alter 45 bis 65 noch 14 Prozent betragen. Heute ist dies anders: Bis 34 Jahre zahlen Arbeitnehmer und Arbeitgeber je 7 Prozent. Diese Beiträge steigen kontinuierlich und liegen ab 55-Jährigen bei 18 Prozent.

Für Heidi Joos sind die neuen Altersgutschriften nicht zufriedenstellend. «Der Unterschied zwischen den jüngeren und älteren Arbeitnehmern ist immer noch gross, nur weil die Altersguillotine nun früher angesetzt wird. Wünschenswert wäre, wenn für alle dieselben Beiträge gelten – unabhängig des Alters.» Früher haben diesem Anliegen auch bürgerliche Parteien zugestimmt, vor allem vor den Wahlen, heute ist es für sie kein Thema mehr.

Für Ruedi wird es finanziell eng

Für Ruedi ist die Situation sehr belastend. Meistens kriegt er auf Rückfrage bei den Absagen zu hören, er sei «fachlich nicht qualifiziert», oder bei den vielen Bewerbungen seien andere «schlichtweg qualifizierter».

Ruedi betitelt das als «0815-Standardabsagen». Er schüttelt enttäuscht den Kopf. Schliesslich ist er seit über 30 Jahren im Job, er habe viele Jüngere mit seinem IT-Wissen ausgebildet, die wohl bessere Chancen auf die Jobs hätten als er selbst. Vor drei Jahren musste er sich während der Corona-Pandemie selbständig machen, um die Aussteuerung zu verhindern. Somit konnte er eigene Aufträge übernehmen. Aktuell ist er wieder beim RAV gemeldet.

«Ich will einfach nur arbeiten.»

Ruedi

Die Situation ist für Ruedi darum so hart, weil er eine Familie über die Runde bringen muss. Ruedi hat eine Tochter im Teenageralter. «Ich muss meine Familie ernähren und die Miete meiner Wohnung bezahlen – langsam weiss ich nicht mehr, woher ich das Geld nehmen soll. Dabei möchte ich auf niemanden angewiesen sein.»

Deswegen hat er sich im Jahr 2021 sein Vorsorgekapital frühzeitig ausbezahlen lassen, nachdem das Arbeitslosengeld ausgelaufen ist. Doch davon sind nur noch wenige Tausend Franken übrig – und die ausgerechnete Rente, die ihm zugute steht, reiche bei Weitem nicht.

Dennoch lässt er sich nicht unterkriegen. Ein paar Bewerbungen und Vorstellungsgespräche hat Ruedi noch offen. «Ich will einfach nur arbeiten», sagt Ruedi. «Am liebsten die nächsten zehn Jahre, ich fühle mich fit genug.»

*Hinweis: Der Name des Betroffenen wurde auf dessen Wunsch abgeändert. Es handelt sich um einen zufällig gewählten Vornamen.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit Ruedi
  • Lebenslauf und mehrere schriftliche Absagen auf Bewerbungen von Ruedi
  • Telefonat und schriftlicher Austausch mit Heidi Joos
  • Website von Avenir50plus
  • Arbeitslosenzahlen vom April vom Seco – Staatssekretariat für Wirtschaft
  • Umfrage von «Von Rundstedt» zum Fachkräftemangel (2022)
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9 Kommentare
  • Profilfoto von Simon Wyss
    Simon Wyss, 01.11.2023, 13:30 Uhr

    Ich werde im Dezember 62 Jahre alt. Mit einem gewissermassen verkehrten Lebenslauf, ich habe ein abgeschlossenes Hochschulgrundstudium phil. I, bin ich in der Industrie chancenlos. Mit 49 habe ich die Lehre zum Polymechaniker mit EFZ abgeschlossen. Ein akademischer Mech, nein, danke.

    In dieser Branche, für andere kann ich nicht sprechen, fehlt es überall an Geist. Selbständiges Denken ist sogar unerwünscht, es ist alles durchgeplant. Ich bin wiederholt angeeckt, wie ich mein Berufswissen und -können abringen wollte. Ganz schlimm die Décolletage, da hast du zu gehorchen. Teamfähigkeit und Flexibilität sind Decknamen für Gehorsam.

    Wir haben keinen Fachkräftemangel, das ist eine Lüge. Die Industriellen automatisieren seit Jahrzehnten, so weit es nur geht. Der Beruf ist kaputt. Ich verstehe die Jungen: Wozu sich in einer Arbeitswelt anstrengen, wo allein körperliche Arbeit Wert hat? Kein Geistesleben in diesem Geldland. Hätte man mich gefragt, wie man den Eisenbahnverkehr sicherer machen kann, wäre meine Auskunft ohne Nachdenken gewesen: Das Rad darf beim Bremsen nicht warm werden. Leider musste es erst zünftig krachen im Gotthardtunnel, damit ein bisschen etwas geschieht. Das Wissen um spannungsgeladene, eines Tages berstende Radscheiben ist etwa 200 Jahre alt. Warum immer noch mit Gussbacken aufs Rad gedrückt wird, wissen nur die Gierhälse. Leider sind es heute mit mir Gleichaltrige, meine Generation, die sich selbst am meisten im Wege steht. In 14 Monaten werde ich zwangsfrühpensioniert, komme dann wenigstens von der widersprüchlichen Sozialhilfe weg.

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    Franz, 10.06.2023, 16:27 Uhr

    Die Gerechtigkeit ist die, dass die heutigen 35ig jährigen in 15 Jahren auch bereits an den Abgang denken müssen . Nur ist bis dahin die Pensionierung bei 70 Jahren. Es wird nicht einfacher

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    Peter Joe, 09.06.2023, 02:29 Uhr

    Es gibt keine Vollbeschaeftigung, das muessen die Alten zur Kenntnis nehmen. Jung und Alt passen in der Arbeitswelt mit grossem Alters Unterschied nicht zusammen, das war schon immer so und bleibt auch so. Die Jungen sind die Zukunft und die Alten muessen Platz machen. Klar es gibt Firmen sogenannte Budeli wo gekrampft wird da duerfen die Alten sich den Ruggen schon noch krum machen so lang es geht. Meistens ist aber um die 60zig rum Feierabend, also Saecke ablegen fuer die Mannen. 1000 Bewerbungen schreiben ist doch fuer die Fuechs, besser waere 100 Telefon Gespraeche gewesen oder SMS direkt an den Chef senden.

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    Think Deeper, 08.06.2023, 21:25 Uhr

    Tja, das ganze hat System. Ab 50 sind sie MLC gefährdet, erwarten einen hohen Lohn, sind nicht mehr formbar und machen nicht alles mit was der 35 jährige Chef will. Als Mann zudem «Glüsteler und potenzielle Pädos». «Zudem sind sie krankheitsgefährdet und investition in Weiterbildung lohnt sich bei diesen nicht mehr. Weiter haben sie bereits «genügend PK Kapital» bekommen. Die Prozentsatz ist nur Vorwand und auch ein Einheitssatz , was zu begrüssen wäre, würde nichts ändern.
    Diese kranke und entwürdigende Denkweise ist weit verbreitet, ja selbst die SP Führung macht offen die «Älteren Generationen» für alles Verantwortlich.
    Erfahrene Fachkräfte werden nicht mehr gefördert und systematisch abgebaut und anschliessend über Fachkräftemangel gejammert und im Ausland rekrutiert und/oder das ganze zu Lasten der anderen Mitarbeiter ausgesessen. Die gleiche Stelle wird wiederholt ausgeschrieben, und manchmal wird klar ein EU Lohn thematisiert. Wenn man solange auf dem Markt ist, stellt man fest, dass viele Stellen nach 1.5 Jahren wieder neu besetzt werden.
    Bin 62, ehemaliger CEO auch über 1000 Bewerbungen geschrieben und muss mich heute auf Abruf im Stundenlohn für unverschämte Angebote zu 36-54 pro Std. verdingen und Anreise und Vorbereitung selber tragen. BVG gibt es dabei keines.
    Innert 3 Jahren landet man so in der Sozialhilfe und Altersarmut und ist auch fachlich abgehängt.
    Säule 3a und Frezügigkeitsleistungen gehen langsam drauf und spätestens bei der Auszahlung des Kapitals wird dieses für die Rückzahlung der mickrig gewährten Sozialhilfe abgezwackt.
    Derart kommt man nie mehr auf einen grünen Zweig. Mehr als 250’000 ü50 sind in dieser Situation und mehr als 50% davon in der Sozialhilfe, der Rest im Vermögensverzehr und/oder Leben auf Kosten der Partner.
    Schöne Schweizer Solidarität.

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    • Profilfoto von Peter Joe
      Peter Joe, 09.06.2023, 02:44 Uhr

      Das ganze hat ueberhaupt kein System. Das Hauptproblem ist doch, es hat immer mehr Menschen auf der Welt und es gibt nicht fuer alle Arbeit, pasta. In Asien geht in Zukunft die Post ab. Europa veraltet und es braucht viele Touristen. Also hier findet man noch Buetz bin ich sicher. Nur der Zapfen liegt halt auf EU Niveau.

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    • Profilfoto von kritischer_Zuger
      kritischer_Zuger, 10.06.2023, 09:29 Uhr

      Ich habe mir erlaubt, mich auf das Programm ‹Digital Zug› des Kt. Zug zu bewerben.
      Es gab 2 Info Runden (physisch als auch Online), an denen u.a. auch das Thema Alter zur Sprache kam. 👆 Die Antwort des Verantwortlichen:»…. interessiert uns nicht, wir möchte Leute, die erfahren sind und entsprechende Transformations-Kenntnisse haben.» 👍👍

      So weit so gut – also Bewerbung geschrieben. Auch ich, mit mehr als 30 Jahren IT im Rucksack, habe ,natürlich !!, schon Umstellungen, ReOrgs & Transformationen erlebt, geleitet etc.

      Ihr ahnt es schon – Absage, bestehend aus einem 2zeiler – auf Bitte der Erklärung – null, nada, nothing. 😣😣
      Ich vermute, der Programmleiter von ‹Digital Zug› hat den Personalern des Kantons NICHT mitgeteilt, dass Ihn das Alter nicht interessiert. 🤷‍♂️🤷‍♂️

      Pikant: im Personalreglement des Kt.Zug steht unter Punkt ‘3.6, §20, Satz 2’ drin, man kann bis zum 70ten beschäftigt werden. 👆👆

      Keine weiteren Worte …. 🤐🤐

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  • Profilfoto von Baldo
    Baldo, 08.06.2023, 15:15 Uhr

    Traurige Wirklichkeit, aber die Politiker behaupten das dieses Problem nicht existiert. Angeblich sind das nur wenige Einzelfälle.

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  • Profilfoto von Armando
    Armando, 08.06.2023, 14:04 Uhr

    Bittere Realität auf dem Schweizer Arbeitsmarkt, wo angeblich Fachkräftemangel herrscht. So gross kann der gar nicht sein, wenn man die Geschichte hier liest.

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    • Profilfoto von Christian Scherrer
      Christian Scherrer, 08.06.2023, 16:11 Uhr

      Fachkräftemangel ist eine Codierung! Es hat zu wenig junge und billige Arbeitskräfte.

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