Zuger hat noch 150 Franken auf dem Konto

Wie es ist, arm zu sein im Kanton Zug – trotz Job

Die Schere zwischen Arm und Reich existiert auch im Kanton Zug. (Bild: Symbolbild: Adobe Stock)

Der Lohn kommt auf sein Konto – und nur Minuten bis Tage später ist das Geld fast komplett weg. Ein Zuger erzählt, wie es ist, trotz Vollzeitpensum finanziell an die Grenzen zu kommen.

Auf dem Konto von Elias* sind noch 150 Franken. Und das gerade einmal fünf Tage nach Eingang des Lohns.

Der Mann lebt seit mehr als acht Jahren in der Schweiz. Er arbeitet in einer Klinik, wo er für die Hauswirtschaft verantwortlich ist. Bei einem Vollzeitpensum verdient er 4600 Franken. «Das Geld hat nicht gereicht – deswegen habe ich weitere Nebenjobs gesucht», erzählt Elias am Telefon.

Elias arbeitet etwas zwischen 100 und 140 Prozent – und trotzdem reicht das Geld immer noch nicht für die fünfköpfige Familie. «Die Hälfte des Lohns geht für die Miete drauf», erzählt der 32-Jährige. Etwas mehr als 2100 Franken schluckt die Miete. 988 Franken gehen für die Krankenkassenprämien der Familie drauf. Dann noch die Steuern, die Leistungsabrechnungen, der Strom, der bezahlt werden muss, die Heizung, die Autoversicherungen, das Essen. Man muss keine Mathematikprofessorin sein, um zu merken: Das ist ziemlich knapp.

Auch der Versuch, sich neben dem Job in der Klinik selbstständig zu machen, brachte nicht das erhoffte fehlende Geld.

In der Schweiz gibt es Tausende Working Poor

«Zu sehen, wie das Geld nur ein paar Minuten bei mir ist und wieder geht, ist hart», sagt Elias. «Manchmal frage ich mich, ob ich alleine damit bin – oder ob es anderen auch so geht.»

«Zu sehen, wie das Geld nur ein paar Minuten bei mir ist und wieder geht, ist hart.»

Elias

Elias ist nicht alleine. Die Caritas geht von rund 500'000 bis 600'000 Working Poor in der Schweiz aus. Mit Working Poor sind Menschen gemeint, die zwar Vollzeit berufstätig sind, trotzdem aber an oder unter der Armutsgrenze leben.

Auch im reichen Kanton Zug gibt es Erwerbstätige, die mit ihrem Lohn ihren Lebensunterhalt nicht alleine bestreiten können. So zeigt ein Blick in den neuesten Sozialbericht: 39 Prozent aller Menschen, die im Kanton Zug mit wirtschaftlicher Sozialhilfe unterstützt werden, sind erwerbstätig.

«Sogenannte ‹erwerbstätige Arme› arbeiten oftmals im Stundenlohn.»

André Widmer, Schuldenberater

Schuldenberater André Widmer erstaunt diese Zahl nicht. Er ist Stellenleiter bei der Beratungsstelle Triangel. Mit Working Poor sind sie täglich in Kontakt. «Sogenannte ‹erwerbstätige Arme› arbeiten oftmals im Stundenlohn», schreibt Widmer auf Anfrage. Viele von ihnen haben keine Sicherheit auf ein regelmässiges Einkommen, obwohl sie dazu bereit wären. Das betrifft vor allem Menschen mit vergleichsweise geringem Mass an Bildung.

Grundsätzlich reiche das Geld bei Betroffenen knapp für die basalen Lebenshaltungskosten. «Weil diese Menschen keine Rückstellungen machen können, führen zusätzliche und unvorhergesehene Ausgaben zu Schulden», so Widmer. So ziehen Zahnschmerzen einen Besuch beim Zahnarzt nach sich. Werden die Augen schlechter, braucht es eine neue Brille, fällt das aus der Hand gefallene Handy aus, muss es ersetzt werden. Zwingend, weil es laut Widmer für viele das einzige Gerät sei, um die elektronischen Abrechnungen der Krankenkasse, die Auszüge der Bank und viele Rechnungen überhaupt empfangen zu können.

André Widmer ist Stellenleiter und Schuldenberater bei der Zuger Beratungsstelle Triangel. (Bild: zvg)

Die Scham, Sozialhilfe zu beziehen

Für Elias ist die Situation nicht einfach. Im Gegenteil. Seine finanzielle Situation ist mittlerweile so belastend, dass er sich auch an einen Psychologen gewandt hat. «Es ist hart», sagt er. «Ich arbeite und arbeite – und das tue ich gerne! Und dennoch verdiene ich nicht genug, um meine Familie und mich über die Runden zu bringen. Ich habe keine Kraft mehr.» Auch für seine drei Kinder ist es nicht einfach. «Es tut weh, wenn sie mir sagen: ‹Papi, jeden Tag und jeden Abend musst du arbeiten.›»

«Eigentlich wollte ich keine Unterstützung des Sozialdiensts …»

Elias

Nun hat sich Elias beim Sozialdienst gemeldet. Derzeit klären die ab, ob er auf Anspruch auf Sozialhilfe hat. «Eigentlich wollte ich keine Unterstützung des Sozialdiensts … », sagt er. Aber so weitergehen könne es ja auch nicht.

Auch wenn Elias nur noch 150 Franken auf seinem Konto hat und offene Rechnungen auf ihn warten: Er lässt sich nicht unterkriegen. Er ist auch nicht wütend oder beschwert sich gross über seine Situation. Irgendwie sei es ja immer gegangen. «Ich hoffe auf eine Überraschung», so Elias. Unterkriegen lässt er sich definitiv nicht.

Viele wollen es alleine schaffen – ohne Sozialdienst

Die Scham vor dem Gang zum Sozialdienst kennt auch Schuldenberater André Widmer. «Wir haben vor allem auch mit Personen Kontakt, welche es alleine schaffen wollen, ohne das Sozialamt. Die Gefahr, in einer solchen extrem angespannten Situation Schulden zu machen, ist sehr hoch.»

Nach wie vor sei das Armsein stigmatisiert. «Dies führt dazu, dass oftmals die sozialen Kontakte einbrechen, weil man nicht mehr am öffentlichen Leben teilnehmen kann. Ein gemeinsames Nachtessen auswärts, oder ein Kino- oder Konzertbesuch liegt finanziell nicht mehr im Budget.»

«Es gibt aber auch viele, welche ihre Situation still und demütig annehmen.»

André Widmer

Bei Familien sei der gesellschaftliche Druck noch höher. So schaffen es Betroffene nicht mehr, die Jahresgebühren des Karateunterrichts des Sohnes oder die Mädchenriege der Tochter zu bezahlen. «Die Eigenleistung der Eltern an das Klassenlagers in der 6. Klasse von 50 Franken übersteigt das Budget schon massiv», sagt Widmer. Obwohl auf dem Informationsblatt der Schule erwähnt werde, getrauen sich Betroffene zum Schutz des Kindes nicht, bei der Lehrerin zu fragen, ob der Betrag über die schuleigene Stiftung bezahlt werden könne.

Armut trotz Job – das kann für einige Menschen frustrierend sein. Der Schuldenberater sagt abschliessend: «Es gibt aber auch viele, welche ihre Situation still und demütig annehmen.»

* Hinweis: Der Name wurden zum Schutz des Betroffenen anonymisiert. Es handelt sich um einen zufällig ausgewählten Vornamen.

Verwendete Quellen
  • Telefonat mit Elias*
  • Schriftlicher Austausch mit André Widmer, Stellenleiter und Schuldenberater bei Triangel
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4 Kommentare
  • Profilfoto von Franz
    Franz, 01.04.2023, 13:39 Uhr

    Wer sich als Geringverdiener für das traditionelle Familienmodell entscheidet, muss mit den Konsequenzen leben.

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  • Profilfoto von Tom Gisi
    Tom Gisi, 01.04.2023, 13:22 Uhr

    Bei solchen Beispielen fehlt irgendein wichtiger Teil, um die Situation nachzuvollziehen.
    4600.- netto inkl. 600.- Kindergeld? Das wäre ein Dumpinglohn. Auf jeden Fall scheinen fast 1000.- KK zu hoch, denn mit 3 Kindern und 4600.- pro Mt. gibt es Prämienverbilligung. Auch die Steuern sind fast 0.- bei den geschilderten Verhältnissen. Zug kennt zudem noch Wohngeld.
    Klar ist es als Familien mit geringem Einkommen hart, aber es gibt genau für solche Menschen zahlreiche staatliche Transferleistungen. Nur in Aspruchnehmen muss man sie selbst (Holschuld).

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    • Profilfoto von Martina
      Martina, 02.04.2023, 10:07 Uhr

      Welche zahlreichen staatlichen Transferleistungen gibt es denn?

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    • Profilfoto von kritischer_Zuger
      kritischer_Zuger, 02.04.2023, 10:07 Uhr

      Was aber genau zu dem Thema führt, das SEHR viele mehr fürchten als den Geldmangel – die Zuger Politik im Bezug auf Arbeits- und Aufenthaltsbewilligungen – monetäre Bezüge aus den Sozialdienst werden u.a. an das ‹Amt für MIgration› gemeldet und auch bei der Verlängerung abgefragt – die Folge: Verlust der Bewilligung (mindestens aber die massive Verkürzung der ‹Kontrollfrist› – was heisst es gibt nach Ablauf keine neue Bewilligung B / C -)

      @Isabelle Dahinden –
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      Denn dies lässt, insbesondere bei den 55+ (++) die 2.Säule schwinden!!
      Was nämlich zu dem Topic – siehe oben – führt.

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