Beerensaison

«Reich wird mit Erdbeeren niemand»

Die heimischen Erdbeeren lassen auf sich warten. (Bild: Fabian Duss)

Wegen des schlechten Wetters lassen die Erdbeeren aus unserer Region länger auf sich warten als in anderen Jahren. zentral+ hat bei Landwirten recherchiert, wie die Erdbeeren hierzulande produziert werden und geht den Ursachen der tiefen Löhne auf den Grund.

Frühsommer ist Erdbeerenzeit, bei den Produzenten fällt viel Arbeit an. Im Buuregarte dem Bauernhof der Familie Boog in Hünenberg ZG, hätte unmittelbar nach Pfingsten die Erdbeerenernte beginnen sollen. Die Erntekarren stehen neben einem Feld bereit, doch es regnet pausenlos.

Für den flächenmässig eher kleinen Familienbetrieb seien die Erdbeeren enorm wichtig, erklärt Jungbauer Jonas Boog. «Es ist das erste richtige Geschäft im Jahr.» Normalerweise gibt es im «Buuregarte» von Mitte Mai bis in den Oktober Erdbeeren.

2012: Schweizweit über 6500 Tonnen Erdbeeren

Doch die diesjährige Ernte der Freilanderdbeeren ist mehrere Wochen in Verzug. Beim Schweizer Obstverband (SOV) geht man aber nach wie vor von einer guten Ernte aus. «Die Pflanzen präsentieren sich gut, wir haben eigentlich keine Frostschäden in den Kulturen», sagt Mediensprecher Josef Christen.

Letztes Jahr wurden in der Schweiz zwischen 6500 und 6700 Tonnen Erdbeeren geerntet, schätzt er. «Dieses Jahr rechnet man mit der gleichen Menge», sagt Christen, «etwa sieben Prozent davon kommen aus der Zentralschweiz, der grösste Teil stammt aus dem Kanton Luzern.»

Gemäss der Vereinigung Luzerner Beerenpflanzer (VLB) werden im Kanton Luzern auf rund 29 Hektaren Erdbeeren angebaut, was in normalen Jahren zwischen 350 und 400 Tonnen Erdbeeren abwirft.

Betriebe, die ausschliesslich Beeren anbauen, gibt es in der Zentralschweiz nur wenige. Auf den meisten Bauernhöfen sind sie ein Nebenprodukt. Das hat seine Gründe: «Beeren sind sehr arbeitsintensiv und heikel», erklärt VLB-Präsident Peter Koch. «Sie sind nur bedingt lagerbar und ein, zwei Tage nach dem Pflücken werden sie konsumiert.» Auch die Wetterlaunen seien nicht zu unterschätzen.

Zurück nach Hünenberg, wo Boogs grösstenteils noch grüne Erdbeeren dem Regen trotzen. Die meisten werden bei der Migros landen. Für den «Buuregarte» ist aber auch die Direktvermarktung wichtig. Dadurch bewahre man sich etwas Eigenständigkeit. «Wir beliefern auch Gastrobetriebe, Marktverkäufer und Firmen. Viel rentabler ist der Direktverkauf nicht, denn er ist mit Mehraufwand verbunden», so Jonas Boog. Ein Vorteil sei aber, dass man von diesen Kunden ein direktes Feedback erhalte.

Billige Konkurrenz aus dem Ausland

Anders ist das bei Peter Koch in Aesch LU: «Meine Beeren gehen ausschliesslich in den Handel, etwa 60 Prozent davon via Händler zu Coop.» Als VLB-Präsident kümmert sich Koch nicht nur um den Absatz seines Betriebs, sondern der ganzen Beerenbranche. Um sicherzustellen, dass die kurzlebigen Erdbeeren möglichst schnell bei den Konsumenten landen, gibt es während der Hochsaison regelmässig Telefonkonferenzen zwischen Produzenten- und Handelsvertretern. «Bei diesen Gesprächen geht es primär um die zu erwartende Erntemenge», erklärt Koch. Man spricht aber auch über den Produzentenrichtpreis.

Dieser liegt gemäss Josef Christen vom Obstverband momentan bei 3.60 Franken für eine 500-Gramm-Schale Erdbeeren. «Reich wird damit niemand», sagt er. Der Richtpreis sei relativ stabil, könne aber mit steigender Erntemenge etwas sinken. «Obwohl er nicht verbindlich ist, halten sich die meisten Marktteilnehmer daran.»

Auf dem Markt sind zurzeit aber nicht nur Schweizer Erdbeeren. Neulich in einer Filiale der Migros Luzern: Ein vierstöckiges Regal, wo die kleinen roten Früchte in Schalen angepriesen werden. In den obersten drei Regalen Import-Erdbeeren aus Italien, auf Augenhöhe das Aktionsschild: 2.20 statt 2.90 Franken für eine 500-Gramm-Schale.

Darunter, 30 Zentimeter ab Boden: Thurgauer Premium-Erdbeeren zu 4.90 Franken die Schale. An den italienischen Beeren reizt der Preis, bei den Thurgauern die tiefrote Farbe.

Importierte Erdbeeren grün geerntet

«Erdbeeren aus Italien oder Spanien können wegen des Transports nicht reif geerntet werden und müssen ein festeres Fruchtfleisch haben», klärt Josef Christen auf. «Das geht auf Kosten des Geschmacks.» Für einheimische Erdbeeren spreche natürlich auch die Ökobilanz.

Rahel Probst, Pressesprecherin Migros Luzern, erklärt den Preisunterschied so: «In Italien hat man zurzeit Freilandproduktion, die günstigste Produktionsweise überhaupt. Schweizer Freilanderdbeeren sind frühestens Anfang Juni erhältlich. Die Thurgauer Erdbeeren, welche jetzt verkauft werden, wurden in Gewächshäusern produziert, also unter verhältnismässig teuren Bedingungen.» Das Nebeneinander von importierten und einheimischen Erdbeeren existiert vor allem in der Zwischensaison. Sobald das Schweizer Angebot den Markt abzudecken vermag, steigen die Schutzzölle.

Pflücken für 13.25 Franken die Stunde

Am Anfang der Produktionskette herrschen teils prekäre Arbeitsbedingungen. Zwei Drittel der Erdbeerenpflücker sind Asylsuchende aus dem Kanton Zug. Der Rest sind Erntehelfer aus Osteuropa. «Die meisten haben schon in den vergangenen Jahren hier gearbeitet, manche bringen ihre Kollegen mit», sagt Jonas Boog. Genügend Erntehelfer finde man immer. Dieses Jahr habe man so viele Bewerbungen erhalten wie nie zuvor. In der Hochsaison beschäftigt die Familie Boog bis zu vierzig Angestellte.

Die Landwirtschaft ist vom Schweizer Arbeitsgesetz ausgenommen. Für landwirtschaftliche Angestellte existieren auf kantonaler Ebene sogenannte Normalarbeitsverträge (NAV), sofern keine individuellen Arbeitsverträge abgeschlossen werden. NAV sind keine sozialpartnerschaftlichen Vereinbarungen, sondern Regierungsverordnungen und enthalten weder in Luzern, noch in Zug Angaben zu Mindestlöhnen. Diese werden jährlich zwischen dem Schweizerischen Bauernverband (SBV), dem nationalen Bäuerinnen- und Landfrauenverband und der Arbeitsgemeinschaft der Berufsverbände landwirtschaftlicher Angestellter vereinbart und in einer Lohnrichtlinie festgehalten.

Ungelernten Erntehelfern stehen monatlich 3170 Franken zu. Bei 55 Arbeitsstunden pro Woche ergibt das einen Stundenlohn von 13.25 Franken. Viele Erntehelfer haben Kost und Logis im jeweiligen Betrieb, was vom Lohn abgezogen wird. «Netto bleiben den Leuten rund 1500 Franken pro Monat», schätzt Werner Hüsler vom Luzerner Bauernverband.

Wer schon da war, verdient mehr

Er sagt, dass die Löhne derjenigen, die bereits mehrmals als Erntehelfer bei einem Bauern waren, meist höher liegen: «Gerade eben habe ich für einen Beerenproduzenten 16 Verträge gemacht. Die meisten Löhne liegen zwischen 3400 und 3600 Franken.»

Über Agroimpuls sei der ganz grosse Teil zu 3170 Franken angestellt, teilt derweil Stellenleiterin Monika Schatzmann mit. Agroimpuls ist ein Geschäftsbereich des nationalen Bauernverbands und will Bauernfamilien «gute und günstige Dienstleistungen in den Bereichen Praktikanten, Arbeitskräften und Direktvermarktung zur Verfügung stellen.»

Und was verdienen Erdbeerenpflücker auf Boogs Bauernhof in Hünenberg? «Zumindest den Richtlohn plus einen variablen Leistungslohn», sagt Jonas Boog. Langjährige Angestellte erhielten natürlich beträchtlich mehr.

Tiefe Preise bewirken tiefe Löhne

«Klar würden wir gerne 20 Franken auf die Stunde bezahlen, aber das ist schlicht unmöglich, weil wir zu wenig für unsere Produkte erhalten und das Geschäft Risiken wie etwa die Witterung birgt», rechtfertigt sich Boog.

Dass der Spielraum sehr eng ist, bestätigt auch der Luzerner Bauernverband. Personalvermittler Hüsler: «Der Hauptgrund für die tiefen Löhne sind die Produktepreise. Wäre der Konsument bereit, mehr für landwirtschaftliche Produkte auszugeben, könnten die Bauern auch höhere Löhne bezahlen.» Erdbeerenpflücken ist Handarbeit, eine Effizienzsteigerung mit technischen Mitteln also kaum möglich.

Nicht selten verdient auch der Bauer kaum mehr als seine Angestellten. «Angesichts meines hohen Pensums verdiene ich sicher zu wenig», sagt der Jungbauer Boog. Im Sommer arbeitet er deutlich über 55 Stunden pro Woche. «Reich werde ich damit sicher nicht. Die Arbeit macht mir aber viel Freude», fügt er an.

Es gibt keine Sozialpartnerschaft

Im Kanton Luzern ist die Landwirtschaft dieses Jahr ein Hauptfokus der Tripartiten Kommission Arbeitsmarkt (TKA). Die Kommission sorgt dafür, dass die ortsüblichen Lohn- und Arbeitsbedingungen eingehalten werden. Giuseppe Reo vertritt die Unia in der TKA. «Beim Bauernverband wird gute Arbeit geleistet», lobt er die Landwirte. Trotzdem befürwortet er mehr Kontrollen. Schwarze Schafe gäbe es immer.

Als Gewerkschafter ist Reo aber mit den kantonalen Normalarbeitsverträgen nicht zufrieden. Es brauche verbindliche Regeln betreffend Lohn und Arbeitszeit. Die Unia fordert nach wie vor einen Gesamtarbeitsvertrag (GAV) für die Landwirtschaft.

Arbeitgeber nicht interessiert

Dazu fehlt aber ein Partner auf Arbeitgeberseite. Der Bauernverband lehnt diese Rolle seit Jahren ab. «Ein nationaler NAV oder ein GAV ist nicht notwendig», lässt er verlauten. Auch die gewerkschaftliche Forderung nach einer Senkung der Maximalwochenarbeitszeit unter 50 Stunden weist er als «nicht umsetzbar» zurück. Die finanziellen Folgen seien für die Betriebe nicht tragbar.

«Der Druck auf Arbeitsbedingungen und Löhne im hiesigen Landwirtschaftssektor ist eine Folge der internationalen Handelsliberalisierung», beobachtet Geografin Silva Lieberherr von der Universität Zürich.

Sie hat ein anderes Instrument zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen untersucht, nämlich deren Einbezug in bereits existierende Labels wie etwa die Knospe von BioSuisse. «Solche Initiativen können tatsächlich helfen, die Arbeitsbedingungen auf Knospe-Höfen zu verbessern, sofern strikt kontrolliert wird», sagt Lieberherr. Allerdings werde damit nur eine begrenzte Zahl landwirtschaftlicher Arbeitskräfte erreicht.

Abwärtsspirale führt zu Lohnzerfall

Ob GAV oder Label, am Grundproblem ändert sich nichts: «Der Konsument müsste bereit sein, für Geschmack, Ökologie und gute Arbeitsbedingungen bedeutend mehr zu bezahlen», betont Josef Christen vom Obstverband.

Während Kunden vermehrt auf die Herkunft der Produkte achten, mangelt es an saisonalem Konsumverhalten. Migros verkauft rund 6300 Tonnen Erdbeeren pro Jahr, wovon 80 Prozent importiert werden. Migros-Erdbeeren gibt es von Januar bis Oktober, in manchen Coop-Filialen gibt es kleinere Mengen Erdbeeren bereits kurz vor Weihnachten. Beide Grossverteiler argumentieren, dies entspreche einem Kundenbedürfnis.

Teilweise «Dumpingpreise»

«Grossverteiler betrachten manchmal Nahrungsmittel als Frequenzbringer», sagt Josef Christen. «Man will damit Kunden in den Laden locken.» Jungbauer Jonas Boog hat Anfang Frühling bei einem Grossverteiler Import-Erdbeeren für 1.90 Franken gesehen. «So etwas stimmt mich schon sehr nachdenklich», sagt er.

Boog wünscht sich, als Bauer weniger von staatlichen Zuschüssen abzuhängen, sondern für seine Arbeitsleistung bezahlt zu werden. «Diese ganze Geiz-ist-geil-Mentalität, wie man sie etwa ausgeprägt in Deutschland sieht, geht einfach nicht auf», sagt er. «Mit dem Preisdruck sinken die Löhne und mit geringeren Einkommen kauft man wiederum möglichst billig ein. Diese Abwärtsspirale ist fatal.»

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