Volle Lager in Velogeschäften

Zwei Jahre nach Corona: So steht’s um Luzerner Veloboom

Zwei Jahre nach dem «Velojahr» ist der Boom abgeflaut. Doch das Velo bleibt in Luzern ein beliebtes Verkehrsmittel. (Bild: ewi)

Die Corona-Pandemie machte die Schweiz quasi über Nacht zum Veloland. Seither sind über zwei Jahre vergangen. Es zeigt sich: In Luzern ist der Hype vorbei. Das hat Folgen für die Velogeschäfte.

Die vermeintliche Revolution im Verkehr hat ein Datum: Am 16. März 2020 rief der Bundesrat die ausserordentliche Lage wegen der Corona-Pandemie aus – und stellte damit unsere Welt auf den Kopf. Nicht zuletzt hatte das auch spürbare Konsequenzen auf unser Mobilitätsverhalten.

Es war alles angerichtet für den Siegeszug des Velos. Der Drahtesel versprach garantiert virenfreies Reisen. Er versprach frische Luft und Bewegung für alle mit Home-Office-Koller. Und er versprach in Form einer Velotour abwechslungsreiche Ferien, nachdem der Flug ans Meer gestrichen worden war.

In Luzern wird auch 2022 viel Velo gefahren

Der Veloboom schlug heftig ein in der Schweiz. Plötzlich wollten alle Velo fahren und die Händlerinnen wurden von der grossen Nachfrage regelrecht überrollt (zentralplus berichtete). Seither sind über zwei Jahre vergangen. Ferien im Ausland sind wieder fast uneingeschränkt möglich. Und seit im ÖV keine Maskenpflicht mehr gilt, ist dieser auch wieder wesentlich besser ausgelastet. Wie steht's also um den Veloboom? Hält er seit 2020 an? Oder war er doch eher ein Corona-bedingtes Strohfeuer?

Schaut man sich die Zahlen der Velozählstelle am Schweizerhofquai in Luzern an, ergibt sich ein klares Bild: Der Boom hält an. 2019 fuhren im Durchschnitt der Monate Januar bis Oktober rund 4'900 Velofahrer pro Tag über den Schweizerhofquai. 2020 waren es schon 5'440. 2021 folgte ein Rückgang auf 5'200 Velofahrerinnen, unter anderem wegen des vielen Regens und des Hochwassers im Juli. Und 2022 fuhren pro Tag mehr als 5'800 Velos über die Zählstelle am Quai. Im Vergleich zu 2019 entspricht das einer Zunahme von knapp 20 Prozent – und das innerhalb von nur drei Jahren.

Nicht überall hat der Veloboom Bestand

Doch der Schein trügt. Denn die Zählstelle am Schweizerhofquai steht nicht repräsentativ für sämtliche Zählstellen in der Stadt Luzern. So gibt es Orte, an denen die Velofrequenzen in den letzten vier Jahren ziemlich stabil blieben. So zum Beispiel bei der Langensandbrücke, in der Basel- oder der Bleicherstrasse. Beim Inseli und auf der Neustadtstrasse fuhren 2022 täglich sogar weniger Velos durch, im Vergleich zu 2019. Auf der Dammstrasse und beim Löwenplatz dagegen waren die täglichen Velofrequenzen 2022 sogar grösser als im Velojahr 2020. Zusammengefasst: Ein Muster lässt sich nicht erkennen.

«Wir beobachten beim Veloverkehr eine Zunahme. Nicht exponentiell, aber kontinuierlich.»

David Walter, Projektleiter Tiefbauamt Stadt Luzern

So sieht es auch David Walter, Projektleiter beim Tiefbauamt Luzern. Das Wetter beispielsweise habe bei der kurzfristigen Betrachtung einen grossen Einfluss. Das zeigt sich exemplarisch in den Zahlen des Jahres 2022. Im Mai waren die Velofrequenzen überdurchschnittlich hoch, im September dafür verhältnismässig tief. Ein Blick auf die Wetterdaten dieser Monate zeigt: Der Mai war sommerlich warm und trocken, der September hingegen deutlich zu nass.

Aus diesem Grund müssen die Zahlen langfristig betrachtet werden. Und da stellt Walter fest: «Wir beobachten beim Veloverkehr eine Zunahme. Nicht exponentiell, aber kontinuierlich.» In Zahlen ausgedrückt, haben die Velofrequenzen über alle Zählstellen der Stadt hinweg seit 2015 um 20 Prozent zugenommen. Und auch im Vergleich zu 2019 beträgt die Zunahme der Velofahrten rund zwölf Prozent.

Das gleiche Bild in Bern und Zürich

Ähnlich präsentiert sich die Situation in anderen Städten der Schweiz. Auf Anfrage heisst es etwa bei der Stadt Zürich, dass auch hier das Jahr 2020 ein Velo-Rekordjahr war: «Durch die besondere Pandemiesituation konnte das Jahr 2020 eine besonders starke Veloverkehrsentwicklung verzeichnen», sagt Roger Schaad vom Tiefbauamt Zürich.

2021 waren die Zahlen wegen des verregneten Sommers dann rückläufig. «Für 2022 erwarten wir eine Steigerung gegenüber 2021. Wir gehen davon aus, dass die Veloverkehrszahlen ähnlich wie 2020 ausfallen werden», meint Schaad. Das könne zum jetzigen Zeitpunkt aber noch nicht abschliessend beurteilt werden.

Und auch die Velozählstellen in der Stadt Bern zeigen dasselbe Bild. Mehrere Zählstellen verzeichneten vor allem zu Beginn des Jahres Rekordwerte, die gar die Zahlen aus dem Jahr 2020 pulverisierten. Die Kornhausstrasse zum Beispiel ist eine der am meisten befahrenen Stellen der Stadt. Im Mai 2022 hat der Veloverkehr auf dieser Strasse im Vergleich zu den Vorjahresmonaten um rund 30 Prozent zugenommen.

Das sei einerseits auf das gute Wetter in diesem Monat zurückzuführen, meint Judith Albers von der Berner Verkehrsplanung. Gleichzeitig werde in Bern aber auch viel für die Veloförderung unternommen. Nicht grundlos hat sich die Stadt Bern vor einigen Jahren zur Velohauptstadt ernannt. Dieses Bekenntnis zur Veloförderung zeigt sich in den Verkehrszahlen.

Normalität ist bei Velogeschäften noch nicht zurück

Und wie geht es den Velogeschäften, nachdem diese 2020 noch vom Velohype überrannt wurden? Die Nachfrage hat etwas nachgelassen, wie ein Anruf bei zwei Luzerner Veloläden zeigt – doch eine Normalisierung der Situation ist noch nicht in Sicht. Grund dafür sind die Lieferengpässe, von der die Velobranche 2020 stark betroffen war. Denn die Mischung aus riesiger Nachfrage und verspäteten oder ganz ausfallenden Lieferungen führte dazu, dass die Lager der Geschäfte ziemlich leer waren.

«Das Coronajahr 2020 war ein einmaliger Ausschlag, den es so in der Geschichte unseres Geschäfts wohl nicht mehr geben wird.»

Marius Graber, Geschäftsführer «Velociped»

«Wir konnten die Kunden zwar bedienen, konnten ihnen aber keine grosse Auswahl bieten», erklärt Marius Graber, Geschäftsführer beim «Velociped» in Kriens, die damalige Situation. Heute aber präsentiert sich die Situation ganz anders. «Viele Lieferungen, welche wir im Frühling erwartet haben, treffen erst jetzt ein.» So hat die Verkaufssaison 2023 eigentlich schon gestartet. «Darum sind unsere aktuellen Lagerbestände hoch, während die Nachfrage aufgrund der kalten Jahreszeit eher tief ist.»

Marius Graber, Geschäftsführer beim Velociped in Kriens, hier mit dem Velo unterwegs im fernen Osten. (Bild: Velociped)

Die vollen Lager bergen Risiken. «Die Situation ist im Hinblick auf die Liquidität anspruchsvoll, weil sehr viel Geld im Lager in den Velos gebunden ist», sagt Marius Graber. Das könne ein Velogeschäft in finanzielle Schwierigkeiten bringen. Je nach Geschäft spitzt sich die Lage so weit zu, dass es gezwungen sein kann, Velos zu Rabattpreisen zu verkaufen, um wieder genügend liquide Mittel zu haben.

Nachfrage wird hoch bleiben

Gleich klingt es bei Imgrüth Velos Luzern: «Unser Lager ist jetzt im Moment etwa zu 110 Prozent gefüllt. Es wird allerdings von den Lieferanten und Herstellern weitergeliefert, wodurch wir auf den Kosten für zusätzliche Lagermöglichkeiten sitzen bleiben», sagt Geschäftsinhaberin Iris Hansmann. «Erschwerend kommt hinzu, dass alle Hersteller die Preise angehoben haben und wir Fachgeschäfte sollen diese an den Endkunden weitergeben und müssen das erklären.»

Von den beschriebenen Velo-Rabatten hält sie trotz des überfüllten Lagers aber nichts: «Wir sind der Meinung, dass solche Rabattaktionen der Branche und uns auf Dauer mehr Schaden als Vorteile bringen.»

Denn längerfristig werden die Geschäfte ihre Velos zu den Normalpreisen verkaufen können. So ist Marius Graber überzeugt: «Die Nachfrage war 2022 deutlich höher als noch 2019 und sie wird auch nächstes Jahr hoch bleiben.» Wenn auch er einräumen muss: «Das Coronajahr 2020 war ein einmaliger Ausschlag, den es so in der Geschichte unseres Geschäfts wohl nicht mehr geben wird.»

Die Revolution im Verkehr ist also ausgeblieben. 2020 war eine Ausnahme und wurde nicht zur neuen Regel. Aber einen Wandel in der Mobilität hat das Velojahr zweifellos ausgelöst.

Verwendete Quellen
  • Telefonat mit Marius Graber
  • Schriftlicher Austausch mit Iris Hansmann
  • Telefonat und schriftlicher Austausch mit David Walter
  • Schriftlicher Austausch mit Judith Albers und Roger Schaad
  • Informationen zum Veloverkehr der Stadt Luzern
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3 Kommentare
  • Profilfoto von Zeno
    Zeno, 11.12.2022, 09:48 Uhr

    Der «Veloboom» ist in erster Linie ein E-Bike-Boom. Insbesondere die schnellen bis 45 km/h sind keine Velos, sondern Motorfahrräder. Dies auch gesetzlich, z.B. beim Signal «Verbot für Motorwagen, Motorräder und Motorfahrräder» dürfen (bzw. dürften) keine schnellen E-Bikes durchfahren.

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    • Profilfoto von Peter Bitterli
      Peter Bitterli, 11.12.2022, 18:14 Uhr

      Sie meinen jetzt die mit der miserablen Oekobilanz?

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  • Profilfoto von Peter Bitterli
    Peter Bitterli, 11.12.2022, 06:03 Uhr

    Die Grafik gibt den behaupteten Corona-Zusammenhang überhaupt nicht her. Sie zeigt lediglich, dass im Februar eher nicht Velo gefahren wird.

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