Teilen statt besitzen

Im Luzerner Weinbergli entsteht die Mobilität der Zukunft

Andreas Merz von der Albert-Koechlin-Stiftung erklärt die neue Mobilitätsstation im Weinbergli. (Bild: ewi)

Der Traum, ein eigenes Auto zu haben, war einmal. Heute heisst das Mobilitätsgebot der Stunde: teilen. Im Luzerner Weinbergli zeigen die Albert Koechlin Stiftung und die ABL, wie das geht.

Das Auto ist ein Statussymbol – noch immer. Doch mit dem zunehmenden Bewusstsein in Bezug auf die Themen Klimawandel und Verkehr auf unseren Strassen ist der Status des Autos ins Wanken geraten. Gerade in städtischen Kreisen ist der Besitz eines eigenen Autos nicht mehr angesagt. Heute heisst das Gebot der Stunde: teilen (zentralplus berichtete).

Doch alle, die als Kind schon mal ein Kuchenstück mit den Geschwistern gerecht aufteilen mussten, wissen: Teilen ist gar nicht so einfach. Meistens ist irgendwer am Schluss doch nicht glücklich. Wie also teilen wir unsere Mobilitätsbedürfnisse, sodass am Ende des Tages alle wie gewünscht von A nach B und wieder zurück kommen? Im Weinbergli im Luzerner Tribschen-Quartier erhält die Luzerner Bevölkerung einen Eindruck, wie das gelingen könnte. Willkommen in der Mobilität der Zukunft!

Eine Station, fünf Fahrzeuge

Diese Zukunft sieht allerdings ziemlich unscheinbar aus. Am Gebeneggweg, von der Hauptstrasse aus kaum sichtbar, steht ein weisser Unterstand. Darin stehen zwei E-Bikes, ein E-Cargovelo, ein E-Roller sowie daneben ein Elektro-Auto – und eine Velopumpe. Auf einem Schild im Stil der SBB-Bahnhofstafeln steht «Weinbergli».

Doch was nach wenig klingt, ist der erste Sharing-Bahnhof der Schweiz. So bezeichnet es die Albert Koechlin Stiftung (AKS). Gemeinsam mit der Allgemeinen Baugenossenschaft Luzern (ABL) sowie dem Mobilitätsbüro Trafiko aus Luzern hat die Zentralschweizer Stiftung das Pilotprojekt im Weinbergli lanciert und umgesetzt. Am Donnerstag haben die Partner die Mobilitätsstation den Medien vorgestellt, am Samstag erfolgt die offizielle Eröffnung.

Ein Auto, ein Roller, ein Cargovelo und zwei E-Bikes. Das steht im Weinbergli allen Personen zur Verfügung, die sich in der App registriert haben. (Bild: ewi)

Doch was ist so speziell an dieser Station? Sharing-Angebote im Luzerner Verkehr gibt es doch schon zuhauf, mit Mobility und Nextbike haben sich zwei Anbieter seit vielen Jahren etabliert. Trotzdem bezeichnet der bei der AKS für das Thema Mobilität zuständige Andreas Merz die Mobilitätsstation im Weinbergli als Meilenstein. Weshalb?

Schweizweit einmaliges System

Der Grund liegt in der Technik, die dahintersteckt. Denn die gesamte Benutzung des Angebots wird über eine App gesteuert. Ob Auto, Roller oder Velo: Die Reservation, das Öffnen sowie das Schliessen des Fahrzeugs läuft über die App «Trafikpoint».

Wer künftig mit einem der Fahrzeuge vom Weinbergli unterwegs sein will, braucht sich also nur einmalig auf der App zu registrieren, vorhandene Fahrausweise zu hinterlegen, ein Fahrzeug zu reservieren und schon geht die Fahrt los – egal ob auf zwei oder vier Rädern. In der Schweiz ein einmaliges System.

«Wer heute mit Sharing-Fahrzeugen unterwegs ist, braucht verschiedenste Abos. Für uns ist das nicht die Mobilität der Zukunft.»

Christoph Zurflüh, Trafiko

Die Kosten werden über die Reservationsdauer abgerechnet, beim Elektroauto fällt zudem ein kleiner Betrag von 40 Rappen pro Kilometer an. Pro Stunde kostet das Auto 3 Franken, der Roller 5.40 und die Velos 4.20 Franken. Die Fahrzeuge lassen sich auch gleich für einen ganzen Tag reservieren. Abokosten gibt es nicht.

Reservieren, öffnen, schliessen, bezahlen – alles über eine App, für alle Fahrzeuge. (Bild: ewi)

«Wer heute mit Sharing-Fahrzeugen unterwegs ist, braucht verschiedenste Abos. Für uns ist das nicht die Mobilität der Zukunft», sagt Christoph Zurflüh von Mobilitätsbüro Trafiko. Er und sein Team haben das Konzept der Station entwickelt. «Hier kommt die ganze Mobilität aus einer Hand. Das macht die Benutzung einfacher. Und reduziert hoffentlich die Hemmschwelle, solche Angebote zu nutzen.»

Ziel dieser Technik soll es letztlich sein, autofreies Wohnen zu fördern. Und gerade in einem Wohnquartier wie im Weinbergli macht eine solche Station darum Sinn. Denn für Pendlerinnen sind die Fahrzeuge nicht gedacht. Sondern für sporadische Wege, zum Beispiel für einen Grosseinkauf oder um jemanden zu besuchen. Bei diesen Wegen liegt der Start- und Endpunkt normalerweise zuhause. Und für solche Strecken ist ein eigenes Auto nicht notwendig. «Es muss möglich sein, möglichst ohne eigenes Fahrzeug zu leben», betont Christoph Zurflüh.

Der richtige Zeitpunkt für neue Konzepte

Das findet auch Andreas Merz von der AKS. Er ist zuständig für das Mobilitätsprojekt «clever unterwegs» (siehe Box), in dessen Rahmen die Station Weinbergli umgesetzt wurde. «Ein eigenes Auto zu haben, ist so was von bequem! Doch wenn das Teilen von Fahrzeugen so einfach wie möglich ist, kommen wir vielleicht weg von diesem Gedanken», sagt Merz.

Natürlich sei auch ihm bewusst, dass die Station im Weinbergli mit fünf vorhandenen Fahrzeugen noch nicht den grossen Wandel in der Mobilität bedeutet. Es könne auch nicht der Anspruch der Stiftung sein, die Mobilität in der gesamten Innerschweiz zu verändern. Mit dem Projekt gehe es viel mehr darum, den Fächer für neue Möglichkeiten zu öffnen.

«Unser Mobilitätsverhalten wird sich in den nächsten Jahren stark verändern. Darum müssen wir jetzt neue Dinge ausprobieren.» Sind die Erfahrungen im Weinbergli gut, will die AKS weitere Stationen in der Innerschweiz realisieren. Dafür ist sie jetzt auf der Suche nach neuen Partnern, um gemeinsam weitere Standorte zu entwickeln.

ABL kündet weitere Standorte an

Das beabsichtigt auch die ABL, die dritte Partnerin im Bunde. Die Mobilitätsstation im Weinbergli steht mitten in ihrer Siedlung am Gebeneggweg. Sie steht aber nicht nur den eigenen Mitgliedern, sondern der gesamten Bevölkerung zur Verfügung. «Uns ist wichtig, dass die Station gebraucht wird. Merken wir, dass die Nachfrage zu gross ist, bauen wir lieber weitere Stationen oder kaufen zusätzliche Fahrzeuge, als die Benutzung einzuschränken», sagt Geschäftsführer Martin Buob.

«Wir werden sicher nicht sechs Jahre warten, bis wir weitere solche Stationen bauen.»

Martin Buob, Geschäftsleiter ABL

Sowohl die AKS als auch die ABL wollen im Weinbergli Erfahrungen mit diesem neuartigen System sammeln. Die Stiftung finanziert den Betrieb während der ersten drei Jahre, die Baugenossenschaft die nächsten drei. Beide nehmen an, dass das System anfänglich noch nicht selbsttragend ist. Doch ist das Interesse im Quartier gross, drängt sich der Bau weiterer Stationen auf. Und mit wachsenden Angebot sinkt der Preis.

So ist Martin Buob überzeugt: «Dieses System wird sich durchsetzen.» Und mit Blick auf die ABL-Siedlungen an der Bernstrasse oder im Maihof ergänzt er: «Wir werden nicht sechs Jahre warten, bis wir weitere solche Stationen bauen.»

Clever unterwegs

Die AKS engagiert sich mit dem Projekt «clever unterwegs» für neue Mobilitätsformen in der Innerschweiz. 14 Millionen will die Stiftung innerhalb der nächsten sieben Jahre dafür ausgeben. Die Stiftung zeigt Möglichkeiten auf, damit sich die Menschen bewusster fortbewegen, sprich: Fahrzeuge teilen, Waren überlegt transportieren – und dabei so wenig Fläche wie möglich brauchen. Nebst dem Projekt «clever unterwegs im Quartier», welches die AKS im Weinbergli angestossen hat, fokussiert sich die Stiftung auf folgende Schwerpunkte:

  • Clever unterwegs im Unternehmen: Grössere KMU mit mehr als 50 Mitarbeitern werden dabei unterstützt und begleitet, damit ihre Mitarbeiterinnen für ihren Arbeitsweg möglichst aufs Auto verzichten. Dank eines Anreizsystems mit Gutscheinen sollen die Mitarbeiter zu Fuss oder mit dem Velo zur Arbeit kommen.
  • Clever unterwegs im Veloverkehr: Mit diesem Projekt baut die AKS die Veloinfrastruktur in der Innerschweiz aus. Der Fokus des Projekts liegt besonders auf neuen Bikesharing-Standorten.
  • Clever unterwegs im Fussverkehr: Mit Aktionswochen in verschiedenen Gemeinden zeigt die AKS auf, dass viele Strecken im Alltag auch zu Fuss gut machbar sind – besonders fürs Einkaufen. Vom 12. bis 18. Mai 2022 findet dazu eine Aktionswoche in Kriens statt.
Verwendete Quellen
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2 Kommentare
  • Profilfoto von Ein Wirt
    Ein Wirt, 25.03.2022, 15:37 Uhr

    Etwas viel Selbstbeweihräucherung an einem städtischen Standort. Hier fährt längst nicht jede(r) im eigenen Auto. Mobility ist schon länger hier und die Bushaltestelle Weinbergli mit den Linien 6, 7 und 8 ist ums Eck. Und Velos stehen auch überall herum.

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  • Profilfoto von Ernst Bucheli
    Ernst Bucheli, 25.03.2022, 09:14 Uhr

    Tolles Projekt im Grundsatz!
    Aber wieso zum Henker wird bei der Überdachung nicht gleich eine Photovoltaikanlage installiert? So könnten zumindest die Velos sicher geladen werden.

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