Zuger Justiz

«Nachweis des Leidens zu wenig erwiesen»

«Die betroffenen Tiere wiesen dicke Kotspuren am ganzen Körper auf», heisst es in der Anklageschrift. Im Prozess wurden dem Beschuldigten ähnliche Bilder von der tierärztlichen Kontrolle gezeigt. (Bild: Verein gegen Tierfabriken Schweiz/VgT.ch)

Im Oktober musste sich ein bekannter Schweinezüchter aus dem Kanton Zug vor dem Zuger Strafgericht verantworten. Nun liegt zentral+ das schriftliche Urteil vor. Vom Vorwurf der Tierquälerei wurde der Mann wegen eines Bundesgerichtsurteils freigesprochen. Die Begründung wirft Fragen auf.

Es bleibt beim angekündigten Strafmass: Der Schweinezüchter aus dem Kanton Zug, der im Zentralvorstand des Verbands «Suisseporcs» sitzt, ist wegen Betrugs und Urkundenfälschung zu einer bedingten Geldstrafe von 77 Tagessätzen zu 230 Franken verurteilt worden (siehe zentral+-Bericht zum Prozess). Die Erhöhung auf 80 Tagessätze, wie sie der Staatsanwalt gefordert hatte, lehnte der Zuger Strafrichter ab, ist dem Urteil zu entnehmen. Die Probezeit beträgt zwei Jahre. Dazu kommen eine Busse von 3000 Franken, die bei Nichtbezahlung in eine 13-tägige Haftstrafe umgewandelt wird, und die Verfahrenskosten von 8’287 Franken. Das Urteil ist nicht rechtskräftig, denn der Beschuldigte hat Berufung eingelegt.

Falsche Qualitätslabel-Etiketten verwendet

Der Mann hatte zur Tatzeit mehrere Mastbetriebe, seinen eigenen in Unterägeri und einen im Kanton Schwyz. Der Zuger Betrieb hatte ein Qualitätslabel, der andere nicht. Verurteilt wurde der Züchter, weil er Etiketten mit dem Qualitätslabel im Schwyzer Betrieb unrechtmässig weitergab und die Mitarbeiter instruierte, diese Etiketten könnten für den die Deklaration der Schweine aus dem Schwyzer Mastbetrieb verwendet werden. Er gab an, der Schwyzer Betrieb sei an seinen Zuger Betrieb verpachtet, deshalb sei das rechtmässig.

Profit auf Kosten der Tiere?

Was meinen Tierschutzorganisationen zum Bundesgerichtsurteil, auf das sich das Strafgericht Zug in diesem Fall bezieht? Die Tierwürde werde im hiesigen Tierschutzgesetz als «Eigenwert des Tieres» definiert. Das sei im internationalen Vergleich bemerkenswert, sagt Tobias Sennhauser, Präsident der Tierrechtsorganisation tier-im-fokus.ch (TIF). «Doch die vielzitierte Würde der Kreatur gilt nicht absolut. So rechtfertigen überwiegende Interessen jedwelche Beeinträchtigung der Tierwürde. In der Praxis obsiegen damit die wirtschaftlichen Interessen der Tierindustrie über die vitalen Interessen der Tiere.» Damit verliere das angeblich beste Tierschutzgesetz seinen Glanz. «Profit auf Kosten der Tiere gehört auch hierzulande zur täglichen Routine», so Sennhauser.

Durch diese Fälschung konnte bei der Grossmetzgerei FF Frischfleisch AG in Sursee ein höherer Verkaufspreis von 10 Rappen pro Kilogramm Schlachtgewicht für die Schweine gelöst werden. Die Firma wurde durch die Etiketten über die wahre Herkunft der Schweine getäuscht. «Insbesondere wurden Dokumente gefälscht und zur Täuschung verwendet, was als betrügerische Machenschaft zu werten ist», schreibt das Gericht. Auch beim späteren Verkauf des Betriebs sieht das Gericht eine Bereicherungsabsicht als erwiesen an. Durch den Schwindel mit dem Label habe er den Preis hinauftreiben können.

«Leiden nicht nachgewiesen»

Freigesprochen wurde der Schweinezüchter vom Vorwurf der Tierquälerei wegen Vernachlässigung. Es geht um Missstände im Schwyzer Betrieb. Bei einer unangemeldeten Kontrolle im Sommer 2010 hatte der Kantonstierarzt schwerwiegende Hygienemängel festgestellt. Der Boden bei 17 von 36 Buchten mit 400 Schweinen sei grossflächig mit Kot bedeckt gewesen. Die Tiere in anderen Buchten hätten dicke Kotspuren am ganzen Körper aufgewiesen. 1200 Mastschweine hätten ausserdem über kein Beschäftigungsmaterial verfügt (Stroh oder Spielzeug). An der Verhandlung erklärten der Beschuldigte und sein Verteidiger, die Tiere suhlten sich im Sommer natürlicherweise im Dreck. Zudem hätten einige Schweine Durchfall gehabt.

Bundesgerichtsurteil als Massstab

Die Missstände sind dokumentiert und erwiesen: Zu Hilfe kommt dem Beschuldigten aber ein Bundesgerichtsurteil von 2013, da in Tierschutzkreisen umstritten ist. Danach fällt nicht jeder Hygienemangel automatisch unter den Tatbestand der Tierquälerei. Dieser Argumentation schliesst sich das Zuger Gericht an. Tierquälerisch handelt, wer ein Tier misshandelt, vernachlässigt, es unnnötig überanstrengt oder seine Würde in anderer Weise missachtet. Eine strafrechtlich relevante Vernachlässigung müsse mit einer Missachtung der Würde einhergehen. «Von einer Missachtung der Würde ist auszugehen, wenn das Wohlergehen des Tieres beeinträchtigt ist, weil Schmerzen, Leiden, Schäden oder Angst nicht vermieden werden», schreibt das Gericht.

«In Unterlagen nirgends erwähnt»

Das Veterinäramt der Urkantone habe die Mängel zwar festgestellt und die  Vernachlässigung dokumentiert. «Es wird in den Unterlagen aber nirgends erwähnt, inwieweit die entsprechenden Mängel zu einem Leiden des Tieres gefühlt haben sollen. Allein aus dem Umstand, dass die Tiere verschmutzt waren, kann noch nicht ein entsprechender Schluss gezogen werden.»
Auch wegen des mangelhaften Beschäftigungsmaterials könne der Einzelrichter nicht ohne eine entsprechende Feststellung zweifelsfrei annehmen, dass dieser Mangel zu einer Beeinträchtigung des Wohlergehens respektive zu einem Leiden der Tiere führte, heisst es im Urteil des Zuger Strafgerichts.

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1 Kommentar
  • Profilfoto von Antonietta Tumminello
    Antonietta Tumminello, 01.01.2015, 10:24 Uhr

    98% des Fleisches das in Deutschland verzehrt wird, stammt aus der industriellen Massentierhaltung. Es stammt von Tieren die ein kurzes erbärmliches Leben auf engstem Raum gefristet haben, ohne die Möglichkeit ihr arteigenes Verhalten auch nur annähernd auszuleben

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