Stadtrat hält nichts vom bedingungslosen Grundeinkommen
Das Initiativkomitee ist enttäuscht: Der Luzerner Stadtrat hält den Erkenntnisgewinn eines Pilotversuchs mit bedingungslosem Grundeinkommen als zu gering.
Im Januar 2022 lancierte ein Komitee eine Initiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen in der Stadt Luzern (zentralplus berichtete). Die Initiative fordert aber nicht ein konkretes Gesetz, sondern einen wissenschaftlichen Pilotversuch. So sollen während dreier Jahre einige in der Stadt Luzern wohnhaften Schweizer ein Grundeinkommen erhalten, unabhängig von Einkommen und Vermögen.
Jetzt bezieht die Luzerner Stadtregierung in einem am Dienstag publizierten Bericht und Antrag Stellung zum Vorhaben. Der Bericht zeigt: Der Stadtrat findet kein Gefallen an der Idee eines Pilotversuchs.
«Das bedingungslose Grundeinkommen wertet aus Sicht des Stadtrates die Bedeutung der Erwerbsarbeit ab.»
Im Bericht begründet der Stadtrat, dass es sich bei einem Pilotversuch immer um eine Simulation handle und der Erkenntnisgewinn zu klein sei. «Wesentliche Fragen wie die möglichen gesellschaftlichen Auswirkungen, Folgen von Anpassungen im System der sozialen Sicherheit oder die Gestaltung einer sozialverträglichen Finanzierung können darum in einem Pilotversuch gar nicht beantwortet werden».
Grundeinkommen könnte zu Rückgang von Erwerbsarbeit führen, befürchtet der Stadtrat
Zudem geht aus dem Bericht und Antrag hervor, dass die Erwerbsarbeit mehr als nur die Existenzsicherung bezwecke. «Die psychologischen Vorteile» seien «viel umfassender», heisst es. Der Stadtrat sieht im bedingungslosen Grundeinkommen eine Konkurrenz für die Erwebsarbeit. «Das bedingungslose Grundeinkommen wertet aus Sicht des Stadtrates die Bedeutung der Erwerbsarbeit ab.»
Zudem bestehe die Gefahr, dass das bedingungslose Grundeinkommen zu einem Rückgang an bezahlter Arbeit führe. Prüfen könne man dies mit dem Pilotprojekt nicht, ist der Stadtrat überzeugt. Falls es aber tatsächlich zu einem Rückgang von bezahlter Arbeit käme, dann hätte dies laut Stadtrat Folgen: «Das finanzielle Fundament gerät ins Wanken, das nicht nur das bedingungslose Grundeinkommen, sondern die Lebensqualität und die soziale Sicherheit aller garantieren sollte.»
Stadtrat liess Expertenbericht erstellen
Der Stadtrat hat für die Beurteilung der Initiative von einem Ökonomen und einer Ökonomin eine Auslegerordnung beantragt, die sich bereits zuvor mit dem bedingungslosen Grundeinkommen befasst haben. Interessant: Bei einer der Expertinnen handelt es sich um Ökonomin und SP-Nationalrätin Samira Marti.
Zusammengefasst gehen sie davon aus, dass die oftmals von Befürwortern eines bedingungslosen Grundeinkommens prognostizierten Veränderungen in der Arbeitswelt überschätzt seien. So ist etwa für die beiden Experten klar: «Dass uns die Erwerbsarbeit ausgehen wird, ist bisher reine Spekulation.»
Der grösste Knackpunkt eines bedingungslosen Grundeinkommens sei laut den Experten aber die Finanzierung. Sie gehen davon aus, dass die Bevölkerung massiv stärker besteuert werden müsste. Dies könnte die Solidarität auf der Gesellschaft herausfordern. «Menschen mit (aufgrund der höheren Steuersätze) tieferen Löhnen aus Erwerbsarbeit sehen ihre hohen Abgaben als Finanzierungsinstrument des bedingungslosen Grundeinkommens für all jene, die unbezahlter Care-Arbeit oder Kreativarbeit nachgehen.»
Der Stadtrat geht in seinem Bericht und Antrag davon aus, dass das dreijährige Pilotprojekt 6,9 Millionen Franken kosten würde. Diese Prognosen seien aber unscharf, da sie von vielen Faktoren, wie der Anzahl Teilnehmern, abhängen.
Insgesamt stellen die beauftragten Experten fest, dass das bedingungslose Grundeinkommen keine überzeugende Antwort auf die sozialstaatlichen und technologischen Herausforderung in wohlhabenden Industriestaaten seien. Das Grundeinkommen habe sich zu einer Projektionsfläche «für alles und alle» entwickelt. Dadurch werde der Eindruck erweckt, mit dem bedingungslosen Grundeinkommen liessen sich alle Probleme auf einmal lösen.
Initianten sind enttäuscht
Das Initiativkomitee zeigt sich in einer Medienmitteilung enttäuscht darüber, dass der Stadtrat ihr Anliegen ohne Gegenvorschlag ablehnt. Laut Komiteemitglied Irina Studhalter sei eine nachhaltige und zukunftsfähige soziale Sicherung ein dringendes Anliegen. Die Initianten begründen dies etwa mit der hohen Zustimmung für ein ähnliches Pilotprojekt in der Stadt Zürich, wo die Stimmbevölkerung das Anliegen mit 53,9 Prozent denkbar knapp abgelehnt hat.
Zudem glauben die Initianten, dass der Zuspruch für das bedingungslose Grundeinkommen noch deutlich höher ist als bei der nationalen Volksabstimmung im Jahr 2016. Damals stimmten über Dreiviertel der Schweizer gegen das bedingungslose Grundeinkommen.
Initiativkomitee kritisiert Auswahl der Experten
«Äusserst unglücklich» ist laut dem Initiativkomitee – in dem auch grüne und SP-Politiker sitzen – die Auswahl der Experten für den unabhängigen Fachbericht. «Denn so sehr die politische Arbeit von Nationalrätin Samira Marti geschätzt wird, so parteiisch und vorhersehbar ist ihre Expertise in Bezug zum bedingungslosen Grundeinkommen.» So hätten die beiden Experten das Grundeinkommen bereits in der Vergangenheit stets als negativ beurteilt. «Eine unvoreingenommene Prüfung in Form eines Fachberichts musste so von vornherein als sehr unwahrscheinlich betrachtet werden.»
Laut dem Initiativkomitee wird die Erwerbsarbeit durch das bedingungslose Grundeinkommen nicht abgewertet. Im Gegenteil: Die Erwerbsarbeit werde aufgewertet, da sie freier und nicht mehr «aus Furcht vor existenzieller Not» ergriffen wird.
Das Initiativkomitee hofft nun, dass der Grosse Stadtrat dem Anliegen wohlwollender gegenübersteht. Das Komitee hält «bis auf Weiteres» an der Initiative fest.
- Bericht und Antrag des Stadtrats
- Medienmitteilung des Initiativkomitees
- Website der Initianten