Luzerner Regierung

Allein unter lauter Bürgerlichen: Bringts das?

Der Luzerner Regierungsrat vor der Pfarrkirche Sempach. Von links: Sarah Springman, Direktorin St. Hilda’s College; Fabian Peter; Standesweibelin Anita Imfeld; Reto Wyss; Ferdinand Zehnder, Vizepräsident des Kantonsrates; Michaela Tschuor; Armin Hartmann; Ylfete Fanaj; Staatsschreiber Vincenz Blaser. (Bild: Claudia Lötscher)

Seit vierzehn Tagen – und nach acht Jahren Pause – ist die Luzerner SP wieder zurück in der Regierung. Wird sich das für die Luzerner Linke auch auszahlen? Fachleute und Direktbeteiligte äussern sich unterschiedlich.

Anfang Juli hat die Luzerner Regierung in ihrer neuen Zusammensetzung ihre Arbeit aufgenommen. Nach acht Jahren Unterbruch wird auch die SP wieder mit an Bord sein: Im zweiten Wahlgang von Mitte Mai wählte die Luzerner Stimmbevölkerung Ylfete Fanaj in die fünfköpfige Luzerner Regierung.

Die neue Luzerner Regierungsrätin ist die einzige Linke im ansonsten rein bürgerlichen Luzerner Regierungsrat. Stellt sich die Frage: Bringt es einer Partei, die in einer solchen Minderheitsposition agieren muss, inhaltlich viel, in die Regierungsarbeit eingebunden zu sein? Oder brächte es im vorliegenden Falle der Luzerner Linken vielleicht gar mehr, wenn sie weiterhin gar nicht in der Regierung wäre, dafür aber im Parlament umso aktiver und ungebundener agieren könnte? Wird der «Mitbeteiligungseffekt» der kleineren Parteien allenfalls überschätzt?

Ein «zweischneidiges Schwert»

Thomas Milic, Politikwissenschaftler am Zentrum für Demokratie in Aarau, sagt, dass die Regierungsbeteiligung für kleinere Parteien in der Tat ein «zweischneidiges Schwert» darstelle. Zum einen garantiere eine solche Mitbeteiligung gewisse politische Gestaltungsmöglichkeiten, insbesondere im eigenen Departement. «Überdies sind damit auch gewisse Ressourcen verbunden, welche die Parteien natürlich dankend annehmen.» Zum anderen sei man als Kleinpartei aber in der Minderheit und müsse unter Umständen politische Entscheide contre cœur mittragen, die man nicht unterstütze. «Für die grossen Parteien ist es allenfalls gar von Vorteil, wenn eine kleine Partei mit im Regierungsboot ist. Denn man hat ja weiterhin die Mehrheit, kann aber gerade bei unliebsamen politischen Entscheiden darauf verweisen, dass auch die kleineren Parteien sie mittragen würden.»

Für die tonangebenden Parteien sei es strategisch gesprochen jeweils besser, wenn man in der Exekutive auch noch das eine oder andere Mitglied aus einer kleineren Partei mit dabei habe. Das schaue dann «konsensorientierter» aus. Wenn wirklich wichtige Entscheidungen anstehen, würden sich diese Mitglieder der kleineren Parteien aber in der Minderheit befinden. Milic verweist als Beispiel auf die Stadt Zürich: «Wenn die SP dort ohnehin die Mehrheit in der Exekutive hat, benötigt sie nicht auch noch einen weiteren Sitz. Im Gegenteil, es sieht besser aus, wenn ein oder zwei Sitze der Opposition angehören.»

Mehr Gestaltungspotenzial in der Regierung

Marc Bühlmann, Professor für Politikwissenschaften an der Universität Bern, betont hingegen, dass eine Regierungsbeteiligung inhaltlich mehr verändern könne als Oppositionspolitik. «Letztere dürfte in unserem halbdirektdemokratischen System vor allem verhindernd sein, wobei in der Regierung mehr Gestaltungspotenzial vorhanden ist. Eine Minderheit kann sich in der Regierung also sicherlich nicht durchsetzen, sie kann eine Entscheidung aber eher in ihre Richtung mitverändern.»

Das könne dann allerdings wiederum «negative» Auswirkungen auf die Unterstützung durch die eigene Anhängerschaft haben. «Mit anderen Worten: In der Regierungsverantwortung kann weniger Oppositionspolitik betrieben werden, was dann letztlich dazu führen kann, dass eine Partei – wie etwa die Lega im Tessin oder der MCG in Genf – an Wählerstärke verliert.»  Bühlmann bilanziert deshalb: «Alles in allem ein weiteres Element unseres auf längere Sicht phantastisch austarierten Systems.»

Alle relevanten Kräfte sollen eingebunden sein

Für Sebastian Dissler, Parteisekretär der SP des Kantons Luzern, steht ausser Frage, dass es für die SP wichtig ist, in der Regierung mitwirken zu können. Es sei Teil des politischen Systems der Schweiz, dass die relevanten Kräfte in die Regierung eingebunden sind. In der Schweiz würden jeweils auch in der Regierung vertretene Parteien Funktionen der Opposition übernehmen und das Handeln der Regierung kritisch begleiten. «Es ist für die Politik im Kanton Luzern von Bedeutung, wer jeweils in der Regierung Einsitz hat. So spielt es für die politischen Mehrheitsverhältnisse natürlich eine Rolle, ob die SP oder die wirtschaftsliberale GLP in der Regierung sind.»

Sebastian Dissler weist darauf hin, dass auch Parteien, die in der Regierung vertreten sind, im Parlament eine Oppositionsrolle einnehmen können. «Sicherlich wird die SP auch in Zukunft das Handeln der Regierung kritisch verfolgen.» Von der neuen SP-Regierungsrätin Ylfete Fanaj war keine Auskunft erhältlich.

«Mitregieren heisst mitentscheiden»

In den vergangenen Jahren war der Kanton Uri der einzige Kanton in der Zentralschweiz, in dem die Linke in der kantonalen Regierung vertreten war. Frage deshalb an Thomas Huwyler von der Geschäftsleitung der SP Uri: Wie beurteilt man bei der SP Uri die praktische Bedeutung eines Regierungsratssitzes? Thomas Huwyler schreibt dazu: «Mitregieren heisst mitentscheiden. Man kann auch sagen, je mehr unterschiedliche Sichtweisen in den Regierungen diskutiert werden, desto ausgeglichener gestalten sich Lösungen.»
Deshalb sei es für die SP Uri als kleine Partei sehr wichtig, mit einer Person im Urner Regierungsrat vertreten zu sein. «Und deshalb wird die SP Uri im März 2024 bei den Erneuerungswahlen erneut mit Dimitri Moretti als Regierungsrat antreten.»

Verwendete Quellen
  • Austausch mit Thomas Milic, Politikwissenschaftler
  • Austausch mit Marc Bühlmann, Professor für Politikwissenschaften
  • Austausch mit Sebastian Dissler, Parteisekretär der SP des Kantons Luzern
  • Austausch mit Thomas Huwyler von der SP Uri
Deine Ideefür das Community-Voting

Die Redaktion sichtet die Ideen regelmässig und erstellt daraus monatliche Votings. Mehr zu unseren Regeln, wenn du dich an unseren Redaktionstisch setzt.

Deine Meinung ist gefragt
Deine E-Mailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert. Bitte beachte unsere Netiquette.
Zeichenanzahl: 0 / 1500.


3 Kommentare
  • Profilfoto von Marie-Françoise Arouet
    Marie-Françoise Arouet, 16.07.2023, 18:56 Uhr

    Gleich zwei Politologen hat es gebraucht, um zu diesen Erkenntnissen zu gelangen. Und nach wie vor gilt: Ich habe noch nie von einem Politologen etwas gehört, worauf ein politisch interessierter Mensch nicht augenblicklich auch gekommen wäre. Da fragt sich natürlich, womit sich denn Politologen während ihres Studiums so beschäftigen. Auch fragt sich, wofür man sie nach ihrem Studium denn so brauchen kann.

    👍4Gefällt mir👏0Applaus🤔0Nachdenklich👎5Daumen runter
    • Profilfoto von Daniel Steiner
      Daniel Steiner, 16.07.2023, 22:20 Uhr

      Das Studium wird gebraucht damit man als Experte von Zeitungen angefragt wird. Otto Normalverbraucher der von alleine drauf kommt ist kein Experte. Ironie off

      👍3Gefällt mir👏0Applaus🤔0Nachdenklich👎2Daumen runter
      • Profilfoto von Marie-Françoise Arouet
        Marie-Françoise Arouet, 16.07.2023, 23:15 Uhr

        Ach so! Und die Zeitungsanfragen braucht es, damit doch der Eine oder Andere aus dem akademischen Prekariat von der Strasse weg kommt? Das ist schön und gerecht eingerichtet.

        👍1Gefällt mir👏1Applaus🤔1Nachdenklich👎4Daumen runter
Apple Store IconGoogle Play Store Icon