Conradin Wahl: Aufsteiger am Fumetto

Per Huckepack zum Erfolg

Kunst, die man berühren darf und soll: Conradin Wahl testet das Huckepack. (Bild: jwy)

Er ist der Newcomer unter lauter Stars am diesjährigen Comix-Festival. Seine Ausstellung ist das Kontrastprogramm zu jenen der alten Grössen. Conradin Wahl – diesjährige Fumetto-Schleuder – erzählt, warum er seine eigene Ausstellung nicht mehr sehen kann. Und wieso er körperlich an die Grenzen stiess.

Er darf sich fortan «Schleuder» nennen: Conradin Wahl, 27, Comiczeichner. Der Newcomer des diesjährigen Fumetto hat in seiner Ausstellung in der Galerie theQ in der Luzerner Neustadt nicht einfach Zeichnungen an die Wand gehängt, sondern zwei Räume komplett gestaltet.

Auf die Wände hat er dicht an dicht lebensgrosse Menschen gemalt. Sie alle tragen jemanden auf den Schultern. Manche sehen unter der Last bedrückt aus, andere verspielt oder glücklich. Es lässt sich nur spekulieren, was hier vonstattengeht. Die Besucher, die durch die Räume schleichen, werden Teil der Masse – die gezeichneten Figuren sitzen den Besuchern förmlich im Nacken. Ein leichtes Unbehagen hat man als Besucher unter all diesen Huckepacks.

«Ich hab versucht, die Besucher in die Welt hineinzubringen und sie miteinzubeziehen», sagt Conradin Wahl. Das dürfte ihm prima gelungen sein.

Ein leeres Zimmer, aber trotzdem voller Menschen.

Ein leeres Zimmer, aber trotzdem voller Menschen.

(Bild: jwy)

Im zweiten Raum beginnen sich die Figuren zu bewegen: als Projektion auf einer Leinwand – und zwei Beine hängen mitten im Raum auf Kopfhöhe. Eine Aufforderung an den Besucher, selbst zu testen, wie es sich anfühlt, jemanden auf den Schultern zu tragen. Doch die wenigsten trauen sich unter die baumelnden Beine zu stellen – zu gross ist wohl die Berührungsangst mit Kunst.

«Es ist eine schöne Spannung, wenn die Besucher nicht genau wissen, ob sie dürfen oder nicht», sagt der Künstler. Kommt hinzu: Es fühlt sich nicht wirklich bequem an, die baumelnden Beine auf seine Schultern zu hieven. Conradin Wahl lacht: «Es ist eine unangenehme Haltung. Meine Arbeit ist desto besser, je gemeiner ich bin, das ist auch hier so.»

Ein einfaches Motiv, das jeder kennt

Das Motiv – jemanden mit sich herumzutragen – ist ein einfaches, eines, das jeder kenne, sagt Wahl. «Ich arbeite gern mit dem Primitiven und Einfachen, das im Alltag präsent ist», sagt er. Deshalb auch die Affen, die schon in früheren Arbeiten von ihm auftauchten. «Die Affen verkörpern einen Teil des Menschen: das Ursprüngliche und Primatenhafte, das wir ja auch haben, aber halt viel weniger ausleben.»

Und auch die Affen sind bevorzugt als Huckepack unterwegs.

Und auch die Affen sind bevorzugt als Huckepack unterwegs.

(Bild: jwy)

Conradin Wahl ist in Frankfurt geboren und lebt seit einigen Jahren in Luzern. Er absolvierte hier die Kunsti, Abteilung Illustration. 2015 war er bereits mit einer Satellitenausstellung am Fumetto – nun also die «Schleuder»: Das Fumetto ehrt ihn mit einer eigenen Hauptausstellung und einer Buchpublikation (siehe Box). Auch in diesen Kurzgeschichten bestreiten zwei Charaktere ihre Abenteuer als Huckepack. Ganz schön absurd, sehr witzig und ziemlich abgründig.

Zur Person

Conradin Wahl (geboren 1988 in Frankfurt a.M.) hat Archäologie studiert, besuchte den Vorkurs an der Kunsthochschule Zürich, 2014 folgte der Abschluss an der Kunsti Luzern, Schwerpunkt: Illustration Fiction. 2013 war er ein Semester an der renommierten ESA St. Luc in Brüssel. Wahl ist Mitglied des Siebdruckkollektivs Müscle und publizierte unter anderem im «Ampelmagazin» und «Hallo Magazin». Er lebt und arbeitet in Luzern.

Publikation: Conradin Wahl: «Zwei». Edition Fumetto 2016, 10 Fr.

Conradin Wahl sieht die Ausstellung als Ergänzung zum Buch. «Ich finde es bei Comics problematisch, nur Originalzeichnungen auszustellen, darum versuche ich mit dieser Ausstellung, die Erfahrung zu erweitern und mehr zu bieten.» Es sind Elemente aus dem Buch, die hier an den Wänden und auf der Leinwand auftauchen.

«Ich kann meine Arbeit nicht beeinflussen»

Conradin Wahl hatte zwei Wochen fast ununterbrochen an der Ausstellung gearbeitet. «Ich bin hier reingekommen und habe angefangen, auf die Wände zu zeichnen, ohne mich vorzubereiten. Es hat sich entwickelt und eine Eigendynamik angenommen. Ich kann meine Arbeit nicht wirklich beeinflussen, es entwickelt sich organisch, das gefällt mir.» Er hat die Figuren nicht vorskizziert, auf richtige Proportionen kam es ihm nicht an, «die Figuren sind zum Teil recht unförmig, aber weil es bei allen so ist, stört es nicht».

Jetzt kann er seine eigene Ausstellung kaum mehr sehen.

Jetzt kann er seine eigene Ausstellung kaum mehr sehen.

(Bild: jwy)

Und wie ist es für ihn als Newcomer, am Jubiläumsfestival dabei zu sein? «Es ist eine gewaltige Ehre und Anerkennung, dass ich das darf und machen kann.» Als er die E-Mail mit dem Bescheid erhalten habe, sass er im Zug und hat laut «Yes!» durchs Abteil gerufen, sagt er und lacht laut. «Und darum habe ich mich auch so eingesetzt – das ist schon an die Substanz gegangen», sagt er.

Conradin Wahl ist zweimal krank geworden und hat Gewicht verloren – aber das sei auch bei der Abschlussarbeit in der Kunsti schon so gewesen. Und schliesslich ist es sein erste grosse Ausstellung in einem derart öffentlichen Rahmen. «Das ist ein grosser Druck, aber ein sehr angenehmer.» Die Schleuder habe ihm extrem Selbstvertrauen gegeben; wie sich das letztlich auf seine Bekanntheit und seine Arbeit auswirkt, werde sich zeigen.

Kaum mehr in der eigenen Ausstellung

Conradin Wahl ist jetzt viel am Fumetto unterwegs, aber nur noch selten in der eigenen Ausstellung. «Ich ertrage es gerade nicht mehr so gut, weil ich zwei Wochen hier eingeschlossen war», sagt er. «Ich habe mich gefreut, ein paar der Altstars kennenzulernen, die zum Teil auch Vorbilder sind», etwa den Italiener Lorenzo Mattotti oder den Engländer Tom Gauld. Er hatte Gelegenheit, einmal die Menschen hinter den Werken kennenzulernen.

Seine eigenen Wandgemälde sind noch bis Sonntag in der Galerie theQ zu sehen. Danach werden sie wieder übermalt – und verschwinden auf Nimmerwiedersehen. Conradin Wahl wird dann ziemlich sicher nicht in der Galerie stehen.

Ausstellung «Seico ©»

Das Comixfestival Fumetto dauert noch bis Sonntag 24. April, in der ganzen Stadt Luzern. Die Ausstellung von Conradin Wahl ist täglich von 10 bis 20 Uhr geöffnet: Galerie theQ, Habsburgerstrasse 9, Luzern.

Neben seiner Einzelausstellung machte Conradin Wahl auch bei der ziemlich verrückten Kollektivausstellung «Seico ©» in der Kapelle in der Rössligasse mit. Er ist einer von über 30 beteiligten KünstlerInnen. Aber was heisst hier Ausstellung: «Seico ©» ist eine gleichermassen witzige wie furchteinflössende Welt, komplett aus Karton erschaffen, durch die man als Zuschauer schmunzelnd und staunend wandert. Es ist die fiktive verlassene Werkstatt des psychopathischen Spieleherstellers «Seico ©».

Am Ende der begehbaren Installation gibt es leere Papiere mit der Aufforderung: «Ihre Meinung ist uns wichtig!» Wenn man das Papier in den vermeintlichen Briefkasten wirft, landet es geschreddert vor den eigenen Füssen. Ein Publikumshighlight des diesjährigen Fumetto.

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«Fumetto» bringt Luzerner Kultur zusammen: Comics: mit Rekord raus aus der Nerd-Ecke

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