Gesundheitsdirektor hat sein Kostüm parat

Guido Graf: «Gehe davon aus, dass die Umzüge stattfinden können»

Sein Kostüm liegt bereit: Regierungsrat Guido Graf geht dieses Jahr selber an die Fasnacht. (Bild: jal)

Zwei Wochen vor dem Schmutzigen Donnerstag versichert Guido Graf: Die Fasnacht 2022 findet nach einem Jahr Pause statt – inklusive Umzüge. Der Luzerner Gesundheitsdirektor skizziert die Corona-Szenarien und rechtfertigt seinen Sinneswandel seit dem vielbeachteten Auftritt Ende Jahr.

zentralplus: Guido Graf, liegt Ihr Fasnachtskostüm schon bereit?

Guido Graf: Ja. Ich werde sicher an die Fasnacht gehen. Ich sage Ihnen aber nicht, wo und als was ich mich verkleiden werde.

zentralplus: Das heisst: Die Fasnacht 2022 findet statt. Wie wird die fünfte Jahreszeit in Luzern aussehen?

Graf: Eines vorweg: Das entscheide nicht ich alleine. Massgebend ist der Entscheid des Bundesrats vom kommenden Mittwoch. Die Gesamtregierung sowie der Luzerner Stadtrat entscheiden daraufhin die Details. Aber man kann heute sagen: Es wird sicherlich eine Strassen- und eine Beizenfasnacht geben. Wenn der Bundesrat alle Massnahmen aufhebt, dann sind auch die grossen Umzüge in der Stadt Luzern möglich. Sicher ist: Die Fasnacht 2022 findet statt – so oder so.

zentralplus: So kurz vor dem Schmudo sind viele Luzerner ungeduldig. Der Kanton Basel-Stadt hat am Mittwoch die Rahmenbedingungen vorgeben. Wieso ist das in Luzern nicht möglich?

Graf: Das trifft so nicht zu. Auch wir haben die Rahmenbedingungen mit den momentan gültigen Bundesvorgaben skizziert. So haben wir bereits im Januar gesagt: Eine Beizen- und Strassenfasnacht ist möglich. Bislang noch nicht so klar war die Lage bei den Umzügen. Heute gehe ich davon aus, dass wohl auch die Umzüge stattfinden können.

zentralplus: Das heisst, eine Fasnacht im quasi üblichen Rahmen.

Graf: Ja, aber ich gehe davon aus, dass die Fasnacht allenfalls etwas weniger Besuchende zählen wird. Da es Leute gibt, die so kurzfristig nicht auf die Fasnacht vorbereitet sind, bereits andere Pläne – zum Beispiel Sportferien – haben oder nach wie vor vorsichtig bleiben und sich weiterhin schützen wollen.

zentralplus: Wie gross ist die Gefahr, dass nach einer ausgelassenen Fasnacht die Spitäler wieder an den Anschlag kommen?

Graf: Die aktuelle Omikron-Variante ist zwar hoch ansteckend, führt aber zu weit weniger schweren Krankheitsverläufen. Insbesondere die IPS-Bedürftigkeit der Covid-Patientinnen und -Patienten ist viel geringer.  Wir bereiten aber verschiedene Szenarien vor. Die Herausforderung der Pandemie ist: Wir können nie voraussagen, wie sie sich entwickelt. Klar ist: Das Virus wird nicht so schnell verschwinden, aber wir haben in den letzten zwei Jahren gelernt, damit zu leben – und wir können das.  

«Wer jetzt lapidar behauptet, der Gesundheitsdirektor habe gemeinsam mit den Spitälern Alarmismus betrieben, macht es sich zu einfach.»

zentralplus: Wie sehen diese Szenarien aus?

Graf: Im ersten Szenario, dem besten, wird das Virus endemisch und ist somit nicht mehr so gefährlich. Die Massnahmen verlieren in diesem Fall ihre Daseinsberechtigung. Die Impfung hingegen bleibt wichtig, aber auch in Zukunft freiwillig. Im zweiten Szenario entwickelt sich eine neue Mutation, die sich wesentlich von der Omikron-Variante unterscheidet. Dann müssen wir schauen, wie ansteckend diese ist, ob sie schwere Krankheitsverläufe verursacht und wie sehr uns unsere Immunität durch Genesung und Impfung schützt. Wenn erneut eine Überlastung der Spitäler droht, brauchen wir neue Massnahmen. Ich möchte die Situation mal umdrehen. Angenommen, Sie wären Gesundheitsdirektorin: Was würden Sie nun tun?

zentralplus: Ich würde nach den Erfahrungen der letzten zwei Jahre auf jeden Fall auch die pessimistischere Entwicklung antizipieren.

Graf: Genau, man muss sich immer für alle Szenarien wappnen, auch auf die schlimmeren. Wenn es dann doch nicht so kommt, umso besser. Aber wir dürfen uns nicht mehr auf dem linken Fuss erwischen lassen.

zentralplus: Ende Dezember waren Sie national in den Schlagzeilen, als Sie vor der Omikron-Welle und einer Triage warnten (zentralplus berichtete). Jetzt ist die Regierung für eine Lockerung. Woher dieser Meinungsumschwung?

Graf: Es hat kein Meinungsumschwung stattgefunden. Der Druck im Dezember war sehr gross. Die sehr gefährliche Delta-Variante führte noch immer zu vielen schweren Fällen mit hoher IPS-Bedürftigkeit, hinzu kam die Omikron-Variante, von der wir dazumal nur wussten, dass sie hoch ansteckend ist, aber nicht, wie sich diese auf die Spitalauslastung auswirken würde. Die wissenschaftliche Taskforce des Bundes prognostizierte ein Szenario, das die Gesundheitsversorgung an die Grenzen und darüber hinaus hätte bringen können. Und sowohl das Luzerner Kantonspital als auch die Hirslanden-Klinik St. Anna warnten mich vor der drohenden Triage. Es gab auch Briefe von Bürgern, die mich fragten: «Warum musste unser Vater sterben?» Das ist eine sehr schwierige Situation. Denn wenn sich die Lage zuspitzt, trage ich als Gesundheitsdirektor eine Verantwortung.

«Es gab auch Briefe von Bürgern, die mich fragten: ‹Warum musste unser Vater sterben?›»

zentralplus: Es kam aber weniger schlimm als befürchtet.

Graf: Wie gesagt: Im Dezember waren die Spitäler und insbesondere die Intensivstationen sehr stark ausgelastet. Mit Blick auf die hoch ansteckende Omikron-Welle war zudem mit einer raschen Zunahme der Fälle sowie sehr vielen Ausfällen beim Gesundheitspersonal wegen Isolation und Quarantäne zu rechnen. Und auch wenn es schliesslich nicht so schlimm kam wie befürchtet – schlimm war es allemal. Und es gab ja bereits eine Art Triage.

zentralplus: Inwiefern?

Graf: Jemand musste entscheiden, wer aufgrund der hohen Auslastung in den Spitälern und bei den Personalausfällen noch operiert werden kann und wer auf der Warteliste bleibt. Auf dieser standen im Januar zeitweise gar über 400 Patienten, die zum Beispiel auf eine Herzoperation oder eine Tumorentfernung warteten. Der Gesundheitszustand von so manchen hat sich in dieser Zeit verschlechtert und manche von ihnen sind sogar gestorben. Wer jetzt lapidar behauptet, der Gesundheitsdirektor habe damals gemeinsam mit den Spitälern Alarmismus betrieben, macht es sich zu einfach.

zentralplus: Dass Sie jetzt als «Öffnungsturbo» bezeichnet werden, hängt damit zusammen, dass die Luzerner Regierung dafür plädiert, nun alle Massnahmen auf einen Schlag aufzuheben. Ist das nicht überstürzt?

Graf: Die Covid-Massnahmen bedeuten Einschränkungen. Wenn die Gesundheitsversorgung stabil ist, sind sie nicht mehr gerechtfertigt. Obwohl sich jetzt viele Menschen anstecken, sind die Spitäler nicht mehr überlastet.

zentralplus: Der Bundesrat sprach letzte Woche von einem «glücklichen Tag». Sind wir am Ende der Pandemie?

Graf: Ich weiss es nicht. Wir bereiten verschiedene Szenarien vor und halten uns bereit, um rasch eine vierte Impfung anbieten zu können, sobald uns der Bund diesen Auftrag gibt. Was im Winter kommt, können wir heute nicht sagen, aber wir müssen gewappnet sein.

zentralplus: Dieser Meinung ist auch das Bundesparlament. Es will die Kantone stärker in die Pflicht nehmen und fordert, dass die Spitäler mehr Betten bereithalten müssen. Sie kritisieren diese Strategie – wieso?

Graf: Die IPS-Kapazitäten waren die kritische Grösse in dieser Pandemie. Das ist richtig. Aber Infrastrukturen auf Vorrat zu schaffen, macht dennoch nur beschränkt Sinn. Denn starre Strukturen sind eher kontraproduktiv. Wir haben gesehen, dass unser Gesundheitswesen sehr robust ist. Deshalb sollten wir besser optimieren, was sich in der Krise bewährt hat – und was es den Kantonen erlaubt, flexibel auf schwer vorhersehbare Entwicklungen in einer Pandemie zu reagieren.

zentralplus: Was hat sich aus Ihrer Sicht bewährt?

Graf: Der Austausch und die Zusammenarbeit unter den Spitälern in der Zentralschweiz. Ebenso haben wir gesehen: Wenn die Belastung zunimmt, können uns die Armee, der Zivilschutz und Freiwillige aus der Bevölkerung unterstützen. Aus diesem Grund ist der Beschluss des Bundesparlaments zwar gut gemeint, aber nicht zielführend.

«Wir sehen, dass die Langzeitfolgen grosses Leid verursachen, auch bei jungen Menschen. Wir müssen dieses Problem anerkennen.»

zentralplus: Aber im nächsten Winter einfach wieder zu sagen: «Die IPS-Plätze sind überlastet und das Gesundheitspersonal fehlt» wird kaum reichen.

Graf: Im Unterschied zu anderen Regionen hatten wir in Luzern keine Kündigungswelle beim Gesundheitspersonal. Klar, wir brauchen gute Leute, um genügend IPS-Plätze betreiben zu können. Heute dauert es rund sechs Jahre, um neues Intensivpflegepersonal auszubilden – das ist zu lange. Deshalb reagieren wir: Ich habe als Präsident der Zentralschweizer Gesundheitsdirektoren ein Projekt lanciert, das den Fachkräftemangel analysiert und Gegenmassnahmen entwickelt. Kurz: die Ausbildung zur Intensivpflegeperson soll attraktiver werden.

zentralplus: Abschliessend: Wo sehen sie nach zwei Jahren Pandemie die grösste Herausforderung?

Graf: Als die Pandemie ausbrach, sprach niemand von Long Covid. Heute sehen wir, dass die Langzeitfolgen grosses Leid verursachen, auch bei jungen Menschen. Wir müssen dieses Problem anerkennen. Ich würde es begrüssen, wenn das Bundesparlament in dieser Sache noch mehr Druck macht. Damit Long Covid sorgfältig erforscht wird und wir den Betroffenen die bestmögliche Behandlung gewähren können, braucht es einen guten Austausch zwischen allen Akteuren. Wir müssen die Patienten bestmöglich in den Alltag zurückbringen. Mit der Einführung eines nationalen Registers würde ich aktuell aber noch zuwarten, bis wir wissen, ob uns Long-Covid langfristig beschäftigt.

Verwendete Quellen
  • Telefoninterview mit Regierungsrat Guido Graf
  • Mitteilung zur Konsultation betreffend Corona-Massnahmen vom 9. Februar 2022
  • Mitteilung der Zentralschweizer Gesundheitsdirektorenkonferenz vom 7. Februar 2022
  • Blogbeitrag von Guido Graf zu den Vorhalteleistungen
  • Mitteilung der Zentralschweizer Gesundheitsdirektorenkonferenz vom 4. November 2021
  • Änderungen des Covid-Gesetzes des Bundes in der Wintersession der eidgenössischen Räte 2021
  • Frühere Medienberichte
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5 Kommentare
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    Oli Kunz, 11.02.2022, 14:20 Uhr

    Wenn er es nicht sagen will, hätte ich da einige Kostümvorschläge für Guido Graf:
    1) Luftballon, gefüllt mit sehr viel heisser Luft
    2) Grandios gescheiterter Ständeratskandidat
    3) Caritas-Schreck
    4) Luzerns grösstes Windfähnchen.
    Die Abstimmung läuft!

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    • Profilfoto von Stadt Luzerner
      Stadt Luzerner, 11.02.2022, 15:30 Uhr

      Ich stimme für 1-4!
      Was ich mich ständig frage….. Wenn Guido Graf morgens in den Spiegel schaut, ist er sich eigentlich nicht langsam selber peinlich mit seiner flexiblen Populisten-Politik?

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  • Profilfoto von Michel von der Schwand
    Michel von der Schwand, 11.02.2022, 09:02 Uhr

    Herr Graf macht das sehr clever. Und wenn der Schuss nach Hinten losgeht, wird Herr Graf dann dem Bundesrat die Schuld geben. So geht Politik. Bitte abwählen, danke.

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  • Profilfoto von Kasimir Pfyffer
    Kasimir Pfyffer, 11.02.2022, 07:42 Uhr

    Habe neulich einen älteren Herr emsig an einem Wetterfahnen-Grend basteln sehen.

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    • Profilfoto von Roli Greter
      Roli Greter, 11.02.2022, 08:23 Uhr

      Habe neulich einen Kommentar von Ihnen gelesen.

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