Luzerner Süchtige laden zu Adventsverkauf

Weihnachtskranz statt Bruchlandung

In der Wärchstatt des Vereins Jobdach Luzern machen Männer und Frauen Adventskränze und andere Weihnachtsartikel.

(Bild: Christine Weber)

Da stehen sie in Reih und Glied, die ersten Adventskränze im Bruchquartier. Gemacht werden sie von Menschen mit einer Suchtproblematik, die in der «Wärchstatt» ein- und ausgehen. Was alles dazugehört, kann man am Advents- und Weihnachtsverkauf sehen, der soeben gestartet ist.

Der Eingang zur Wärchstatt Verein Jobdach ist festlich dekoriert mit viel Tannästen, Lichtlein und Sternen. Auf grossen Tischen stehen kunterbunte Adventskränze herum, dahinter Sandra H. (alle Namen geändert). Die 37-Jährige landete schon als Jugendliche im Drogensumpf, heute ist sie im Heroinprogramm.

Sandra H. hilft mit beim Verkauf und das nicht zum ersten Mal. «Ich mache hier seit etwa zehn Jahren mit und gehöre schon selber zum Inventar», sagt sie und führt hinunter in den Verkaufsraum.

Kuchen und Engel in gemütlicher Atmosphäre

Dort stehen gut inszeniert kleinere und grössere Artikel, die von den Teilnehmenden des Beschäftigungsprogramms gefertigt wurden und jetzt gekauft werden können. Dazu gehören etwa Engel aus Aluminium, Lampen und weihnächtliche Objekte aus Rinde und Holz. An kleinen Tischen in gemütlicher Atmosphäre gibt es Kuchen und Sandra H. serviert einen Kaffee.

Die Artikel im Verkaufsraum sind schön inszeniert. Dazu gibt es Kaffee und Kuchen.

Die Artikel im Verkaufsraum sind schön inszeniert. Dazu gibt es Kaffee und Kuchen.

(Bild: Christine Weber)

Bereits als 14-Jährige habe ihre Sucht begonnen, erzählt Sandra H. Zuerst mit Alkohol, später mit Heroin. «Ich wollte irgendwie aus dem Leben flüchten. Bin nicht damit zurechtgekommen», sagt sie. Eine Ausbildung hat sie nicht gemacht, das bereut sie heute. «Ich war da sehr naiv. Und plötzlich war es zu spät für eine Lehre.»

«Die Vorstellung, mit 70 Jahren noch immer ein Junkie zu sein, finde ich widerlich.»
Sandra H., macht beim Adventsverkauf mit

Ihr Ziel ist es, irgendwann ganz auszusteigen – auch aus dem Heroinporgramm – und auf eigenen Beinen zu stehen. «Die Vorstellung, mit 70 Jahren noch immer ein Junkie zu sein, finde ich widerlich», sagt Sandra und ist zuversichtlich, dass sie es schaffen kann.

Weihnachten im Bruchquartier
  • Advents- und Weihnachtsverkauf in der Wärchstatt, Bruchstrasse 31. Bis am 3. Dezember, täglich ausser sonntags
  • Trouvaillenmarkt in der Wärchstatt: Freitag, 25. November (17 bis 21 Uhr), Samstag, 26. November (10 bis 16 Uhr)
  • Bruch-Weihnachten 2016: Freitag, 25. und Samstag, 26. November. Im ganzen Quartier machen viele Geschäfte, Ateliers und Vereine bei der Bruch-Weihnacht mit. Hier gibt es mehr Infos dazu.

Ein Schritt zu diesem Ziel ist auch das Beschäftigungsprogramm, bei dem sie in der Wärchstatt mitmacht. An einigen Halbtagen pro Woche ist sie hier, zurzeit eher unregelmässig. «Die Wärchstatt ist für mich fast ein Daheim. Man kennt sich und Drogen sind während der Stunden hier kein Thema.» Manchmal sei es zwar streng und der Verdienst minim. Trotzdem: «Dass etwas von mir gefordert wird, spornt mich an – herumeiern hilft mir nicht weiter.» 

Lieber werken statt rumhängen

Das finden auch die zwölf Männer unterschiedlichsten Alters, die gerade in der Kranz-Werkstatt arbeiten und konzentriert an den Gestecken die filigranen Drähte ziehen. Warum sie in diesem Programm sind, hat unterschiedliche Gründe. Viele, aber nicht ganz alle, haben eine Suchtproblematik und hängen mehr oder weniger in den Drogen.

«Der Job hier gibt mir Befriedigung. Es ist viel besser, als nur rumzuhängen.»
Roman J., arbeitet in der Wärchstatt Jobdach

In der Werkstatt ist das kein Thema: Es wird weder gedealt noch konsumiert. «Das ist ein Riesenunterschied zu Orten wie etwa der Gassenküche. Was dort abgeht, ist kaum auszuhalten», sagt Roman J. Der 54-Jährige war früher Computerfachmann. «Das ist lange her. Heute würde ich das nicht mehr auf die Reihe kriegen», sagt er. Dafür klappt es gut mit der Arbeit hier: Die letzten Wochen hat er die Lampen mit den Leuchtsternen gefertigt, die jetzt im Verkaufsraum stehen und heimelig glimmen.

Knifflig: Die Herstellung von Adventskränzen braucht Fingerspitzengefühl und Kreativität.

Knifflig: Die Herstellung von Adventskränzen braucht Fingerspitzengefühl und Kreativität.

(Bild: Christine Weber)

«Der Job hier gibt mir Befriedigung. Es ist viel besser als nur rumzuhängen», sagt Roman J. «So vergeht die Zeit schneller und ich komme unter die Leute.» Auch für die anderen Männer am Kranz-Tisch ist das ein wichtiger Grund. «Wir sind eine Art Family. Es wird viel gelacht und wir kennen uns alle», sagen sie.

In der Werkstatt wird gearbeitet und nicht therapiert

Die Wochen, wenn die Kränze hergestellt werden, gehören zur intensivsten Zeit. «Es ist für mich die schönste Zeit hier in der Wärchstatt. Und es gibt richtig viel zu tun», sagt Roman J. und die anderen nicken.

«Das ist eine Werkstatt und keine Therapiestation: Hier wird gearbeitet.»
Pius Eberli, Leiter Wärchstatt Verein Jobdach

Auch Wärchstatt-Leiter Pius Eberli hält fest: «Das ist eine Werkstatt und keine Therapiestation: Hier wird gearbeitet.» Zwar finden regelmässig Standortgespräche statt und bei Bedarf wird auch mal im Büro ein Problem erörtert. «Aber wer verladen zur Arbeit kommt, wird heimgeschickt.»

Seit rund 14 Jahren führt Eberli mit seinem Team die Wärchstatt, die zum Verein Jobdach gehört. Zugewiesen werden die Teilnehmenden grösstenteils von den Sozialdiensten Stadt und Kanton Luzern. Der Verdienst für die Teilnehmenden fällt um etwa 200 Franken höher aus, als wenn sie nur Sozialleistungen beziehen.

Wärchstatt-Leiter Pius Eberli im Gespräch mit einer Kundin, die sich für einen Adventskranz interessiert.

Wärchstatt-Leiter Pius Eberli im Gespräch mit einer Kundin, die sich für einen Adventskranz interessiert.

(Bild: Christine Weber)

Doch ums Geld geht es nur am Rande. «Im Zentrum steht eine Tagesstruktur inklusive einer sinnvollen Betätigung», sagt Eberli. Gearbeitet wird halbtags und Platz gibt es für 40 Leute. Die Wärchstatt führt Aufträge von Privaten und Firmen aus. Dazu gehören etwa Gartenpflege, Umzugsarbeiten oder das Restaurieren von alten Gartenmöbeln.

Zuverlässige Leute sind gefragt

«Aufträge haben wir genug. Eine Herausforderung ist es, genügend zuverlässige Teilnehmende zu haben», so Eberli. Das sei der Grund, dass vom Eingang eines Auftrags bis zur Erledigung viel Zeit eingerechnet wird. «Wenn wir plötzlich den besten Maler zum Zügeln brauchen müssen, weil jemand anders abgestürzt ist, braucht es halt länger, bis das Gartenmöbel gestrichen ist.»

Die Adventskränze sind jedenfalls pünktlich fertig geworden. «Wunderschön ist dieses Exemplar!», schwärmt eine Frau, die gerade einen Augenschein nimmt und zugreift: Die Kränze sind nicht nur schön, sondern auch günstig – sie kosten zwischen 30 und 60 Franken. Geschmökert und gekauft werden können die Sachen aus der Wärchstatt bis am 3. Dezember während des Advents- und Weihnachtsverkaufs (siehe Box).

Hier gibt es mehr Eindrücke vom Advents- und Weihnachtsverkauf Wärchstatt:

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