Tierfreundin geht mit Schubkarre auf Luzerner Polizisten los
Weil sie ihren Ponys schmerzhafte Hungerkoliken ersparen wollte, hat sich eine Frau widerrechtlich Zutritt zum Heulager ihres Vermieters verschafft. Als die Polizei die 52-Jährige stellte, rastete sie aus. Das Resultat: zwei verletzte Gesetzeshüter – und eine Gerichtsvorladung.
Mit ihrer Blumenbluse, dem grau-melierten Haar und dem herzlichen Lächeln, mit dem sie ihren Anwalt auf dem Flur begrüsst, will die Dame so gar nicht zu dem Fall passen, der an diesem Freitagmorgen am Bezirksgericht Kriens verhandelt werden soll. Fast ist man versucht zu glauben, sie hätte sich im Gerichtssaal geirrt. Hat sie aber nicht, wie sich herausstellt.
Die unbedingte Geldstrafe, welche die Staatsanwaltschaft Luzern fordert, ist mit 4500 Franken ganz schön happig. Der zuständige Staatsanwalt vertritt die Anklage zwar nicht persönlich vor Gericht, die Vorwürfe sind aber ausführlich in dem Strafbefehl dargelegt, der heute verhandelt wird.
Zwei Polizeiangehörige soll die Frau verletzt haben, in dem sie ihnen im Zorn eine schwere Schubkarre entgegen schleuderte. Bei der darauffolgenden Festnahme soll sie auch noch zugebissen und eine Polizistin an der Hand verletzt haben.
Streit mit dem Vermieter ging dem Drama voraus
Wenn eine gesetzte Dame um die 50 Jahre so etwas tut, muss man sich schon fragen: Was zum Teufel ist da eigentlich passiert?
Hintergrund der ganzen Sache ist – wie so oft – ein Mietstreit. Die Ponybesitzerin hatte sich damals in einen Stall eingemietet. Der Vertrag beinhaltete unter anderem, dass der Vermieter das Futter für die Tiere bereitstellen sollte.
An jenem verhängnisvollen Tag allerdings war das Heu, das zur Fütterung vorgesehen war, schlecht geworden und von Pilzen befallen. Es konnte den Ponys nicht zugemutet werden.
«Wenn Ponys nicht essen können, bekommen sie Koliken und es droht ein Kreislaufkollaps.»
Beschuldigte vor Gericht
Die Frau hatte dies schon am Vortag bemerkt und den Vermieter gebeten, neues Heu zu bringen. Das tat der Mann aber nicht. Als die Frau auf den Hof kam, war das brauchbare Futter fast gänzlich aufgebraucht – und der Vermieter lehnte es ab, neues Heu heranzuschaffen.
Rat der Polizei: Das Heu auf zivilrechtlichem Weg einfordern
Die Tiere waren bereits unruhig geworden. «Ponys sind Dauerfresser, ihr Magen produziert ständig Säure. Wenn sie nicht essen können, bekommen sie Koliken und es droht ein Kreislaufkollaps», erzählt die Frau vor Gericht.
Um dies zu verhindern, rief die Frau die Polizei. «Sorgen Sie dafür, dass die Tiere Futter bekommen!», forderte sie. Sich einen Überblick über die Situation zur verschaffen, erwies sich für die beiden Einsatzkräfte allerdings als schwierig.
Denn die Frau beschimpfte ihren Vermieter bereits wüst, weil er sich weigerte, den Mietvertrag vollständig einzuhalten. Wie die Situation rechtlich zu beurteilen war, liess sich auf die Schnelle nicht klären. Die Polizistin und der Polizist rieten der Frau deshalb, die Lieferung des Heus auf dem zivilrechtlichen Weg einzufordern. Ein gänzlich untauglicher Rat für die Frau, der es darum ging, in einer Notsituation die Gesundheit ihrer Tiere zu schützen.
Die Frau war wild entschlossen, die Tiere von ihrem Leid zu erlösen
Als die Polizei schliesslich weg war, beschloss die Frau, selber zu handeln und dem Leiden der Tiere ein Ende zu setzen. Sie rief kurz auf der Einsatzleitzentrale an, dass sie sich nun das Heu selber aus dem Lager beschaffen werde. Kurzerhand schnappte sie sich eine Schubkarre und ging ans Werk.
Als der Vermieter dies bemerkte, verständigte er seinerseits wieder die Polizei und meldete, bei ihm werde gerade eingebrochen. Denn als er sich der wild entschlossenen Frau in den Weg gestellt hatte, war er rundheraus ignoriert worden. Daraufhin fuhren wieder die gleichen Polizisten vor Ort und stellten die Frau, als sie gerade – mit Heu beladen – das Gebäude verlassen wollte.
Die Schubkarre traf die Polizisten mit voller Wucht
Als die Beamten sie aufforderten, die Schubkarre sofort stehen zu lassen, platzte der Tierfreundin der Kragen. Sie riss die Heuballen in blinder Wut auseinander und schleuderte die leere Schubkarre mit Wucht von sich. Dabei traf sie ausgerechnet die Polizisten.
Einen solchen Ausraster der Frau konnten die beiden nicht dulden. Sie hatten durch den Angriff Schürfungen und Prellungen erlitten und entschieden, die Frau in Gewahrsam zu nehmen. Doch als sie es versuchten, wehrte sich die 52-Jährige lautstark. Mutmasslich biss sie dabei der Polizistin auch noch in die Hand. «Daran erinnere ich mich aber nicht», sagt die Beschuldigte vor Gericht.
«Es ist Aufgabe der Polizei, Gefahr abzuwenden, auch für Tiere.»
Der Verteidiger vor Gericht
Für die Staatsanwaltschaft ist klar: Mit ihrem Verhalten hat sich die Frau des Hausfriedensbruchs, der Nötigung des Vermieters und der mehrfachen Gewalt und Drohung gegen Behörden schuldig gemacht.
Angst um die Tiere führte zur Verzweiflungstat
Der Verteidiger hingegen sieht die Sache anders. Die Polizisten vor Ort hätten die Situation völlig falsch eingeschätzt. «Die Tiere litten bereits, weil sich ihr Magen mit Säure gefüllt hatte. Es ist Aufgabe der Polizei, Gefahr abzuwenden, nicht nur für Menschen, sondern auch für Tiere.»
Es sei ein Sonntagabend gewesen und seine Mandantin habe weder die Möglichkeit, das Geld noch die nötigen Transportmittel gehabt, um das Heu an einem anderen Ort zu besorgen. Die Tiere hätten die Nacht über hungern müssen – wodurch sich die Frau dann der Tierquälerei schuldig gemacht hätte.
Das Eindringen in das Heulager sei also verhältnismässig und gerechtfertigt gewesen, zumal es ja eigentlich Aufgabe des Vermieters gewesen sei, für genügend Futter zu sorgen.
Die Strafe soll deutlich reduziert werden
Die Frau betonte vor Gericht, sie habe einfach rot gesehen, die Polizisten aber nicht verletzten wollen. Dennoch ist auch ihr Verteidiger der Ansicht, dass sie sich der Gewalt gegen Beamte schuldig gemacht hat.
Aufgrund des aussergewöhnlichen Gemütszustandes der Frau, ihrer Verzweiflung und Sorge um das Wohlergehen der Tiere, müsse die Strafe aber deutlich reduziert werden, zumal die Frau über ein sehr tiefes Einkommen verfügt.
Statt der von der Staatsanwaltschaft geforderten 150 Tagessätze zu je 30 Franken forderte der Verteidiger 20 Tagessätze, auszusetzen auf Bewährung. Es bestehe keinerlei Rückfallgefahr, weil die Tiere inzwischen an einem anderen Ort sicher untergebracht seien.
Das Gericht hat sich zur Beratung zurückgezogen. Es wird das Urteil den Parteien zu einem späteren Zeitpunkt schriftlich mitteilen. zentralplus wird darüber berichten.