Verlierer werden verprügelt

Luzerner Schüler ahmen Serie «Squid Game» nach

Verschiedene Kinderspiele in «Squid Game» kennt man auch bei uns – zum Beispiel Seilziehen. (Bild: Unsplash/@hagalnaud)

Dass Kinder auf dem Pausenplatz Spiele spielen, ist an sich nichts Neues. Doch: In Anlehnung an die koreanische Trendserie «Squid Game» werden die Verlierer neu beleidigt, ausgegrenzt und sogar verprügelt. Zentralschweizer Schulen sind alarmiert.

«Zitig läse, Zitig läse, STOP!» Wenn dann der Fuss noch wackelt, bist du raus. Im Falle des koreanischen Netflix-Hits «Squid Game» wortwörtlich. In der Serie treten 456 zutiefst verschuldete Personen in einem Wettkampf um 45,6 Milliarden Won (umgerechnet rund 30 Millionen Franken) an. Sie messen sich dabei in Kinderspielen wie «Zitigläse», Seilziehen oder Murmeln. Der Clou: Verliert man, wird man von den anonymen Spielleitern kaltblütig erschossen.

Mit diesem simplen Konzept hat die Serie die Welt im Sturm erobert. Sie gilt als die erfolgreichste Netflix-Produktion überhaupt und trendet seit Wochen im Internet und den sozialen Medien. Kein Wunder also, dass die Serie ihren Weg auch in die Schweiz gefunden hat – und inzwischen auch auf die Pausenplätze.

Verlierer werden beleidigt und verprügelt

An den Zentralschweizer Schulen ist man ob der Entwicklung alarmiert, wie eine Anfrage von zentralplus zeigt. An mehreren Primarschulen in der Stadt Luzern seien Kinder ab Kindergartenalter dabei beobachtet worden, wie sie Szenen aus der Serie nachahmen, so die Luzerner Volksschulrektorin Vreni Völkle. Brisant dabei: «Squid Game» wird aufgrund der brutalen Inhalte frühestens ab einem Alter von 16 Jahren empfohlen. Also rund elf Jahre älter, als es die jüngsten Nachahmer sind.

Bereits der offizielle Trailer macht deutlich: Die Serie ist nicht für Kinder geeignet.

Nur das Nachahmen der Spiele wäre noch kein Problem. Doch die Kinder übernehmen auch den gewalttätigen Charakter. In der Serie werden Verlierer getötet. Auf den Schulhöfen werden sie stattdessen beleidigt, ausgegrenzt und auch verprügelt, wie Völkle beschreibt. In Luzern ist die Prügelei bisher ein Einzelfall. In Zürich hingegen kam es zu Schlägereien, bei denen die Pausenaufsichten Mühe hatten, diese unter Kontrolle zu bringen, wie der «Tages-Anzeiger» berichtet.

Schulen setzen auf Dialog

Die Zentralschweizer Rektoren haben diese jüngsten Vorkommnisse auf dem Schirm. Sie setzen deshalb nun aktiv auf Dialog und Aufklärung. In den Schulen der Gemeinde Emmen versuche man stets, mit den Kindern und Jugendlichen über die Internet- und Medientrends zu sprechen, so Christoph Heutschi, Prorektor der Schulen Emmen. Umso mehr, wenn die Trends auch analog aufgegriffen werden – so wie bei «Squid Game». Denn auch an Emmer Schulen sind Szenen auf den Pausenplätzen nachgespielt worden.

Auch ein Blick über die Kantonsgrenze nach Zug zeigt: Auch wenn es in der Stadt Zug noch zu keinen Vorfällen kam, ist man auch da alarmiert. Gemäss Urs Landolt, Rektor der Stadtschulen Zug, hätten die Schulsozialarbeiterinnen das Thema bereits diskutiert. Sollte die Serie auch auf Zuger Pausenplätzen nachgespielt werden, könne man direkt reagieren. Weiter hätten auch einige Lehrer die Initiative ergriffen und diskutieren die Serie in Fächern wie «Ethik, Religionen, Gemeinschaften» und «Medien und Informatik».

Eltern werden sensibilisiert

Nebst dem Dialog und der schulischen Auseinandersetzung mit den Schülern beziehen die Rektoren auch die Eltern mit ein. Gemäss Christoph Hugi, Präsident des Zürcher Lehrerverbands, seien auch sie in der Pflicht, darauf zu achten, dass Kinder keine Inhalte schauen, die nicht für sie geeignet sind, wie er gegenüber der «NZZ» sagt.

In Luzern wird deshalb auf allgemeine Sensibilisierung gesetzt. Einige Stadtluzerner Lehrerinnen haben sich inzwischen brieflich an die Eltern gewandt und die Situation erklärt, so Vreni Völkle. Weiter habe das Rektorat den Elternräten weiterführende Links zum Thema Medien und Gewalt verschickt.

Auch in Emmen haben die Eltern deshalb einen Brief erhalten. Durch die jeweilige Klassenlehrperson habe man die Eltern «für das Thema sensibilisiert und mit Hintergrundinformationen sowie medienpädagogischen Einschätzungen zu Serie und Hype versorgt», so Heutschi. Der Brief stütze sich inhaltlich auf die Ausführungen des Blogs «Medienpädagogik Praxis».

Schutz nicht immer möglich

Auf den beiden Plattformen wird den Eltern geraten, auf das Kind einzugehen. Zunächst ist es nicht problematisch, wenn die Spiele nachgeahmt werden. Wenn jedoch die Verliererinnen «zur Strafe diffamiert oder verprügelt werden, sind Grenzen überschritten, die es wiederherzustellen gilt», mahnt Medienpädagoge Björn Friedrich im Blog.

Falls das Kind alt und reif genug sei, kann es hilfreich sein, eine Folge gemeinsam zu schauen und dann den Inhalt zu diskutieren. Zudem sollten Eltern herausfinden, wieso das Kind die Serie schaut und ein Gespräch suchen, sollte es nur aus Gruppendruck sein. Ist das Kind noch zu jung, gäbe es gerade bei gängigen Streamingdiensten wie Netflix die Möglichkeit, Accounts mit beschränktem Zugriff oder Jugendschutzeinstellungen einzurichten.

Das bietet jedoch keinen abschliessenden Schutz vor unangemessenen Inhalten. Gemäss Christoph Heutschi beschränke sich der Zugang zur Serie nicht nur auf den ursprünglichen Streamingdienst Netflix. Kinder und Jugendliche kämen beispielsweise auch über soziale Medien wie Youtube, Instagram oder Tiktok damit in Kontakt.

Für die «Squid Game»-Fans: Der Schöpfer der Serie, Hwang Dong-hyuk, hat am Mittwoch gegenüber der «Associated Press» bestätigt, dass er eine zweite Staffel machen möchte. Derzeit ist jedoch noch Geduld gefragt: Der genaue Zeitplan ist noch unklar.

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