Index macht Konservatismus messbar

Luzern ist um 0,3196 konservativer als Zug

Tradition wird im konservativ angehauchten Kanton Luzern gross geschrieben. (Bild: Emanuel Ammon/AURA)

Wie konservativ ist ein Kanton? zentral+ hat sich dieser Frage angenommen – mit einer Prise Mathematik und einem Schuss Augenzwinkern. Auf Anregung eines Lesers haben wir zusätzlich die Stadt Luzern mit der Landschaft verglichen. Auch geeignet für Menschen mit Mathephobie.

Der Blick auf die Karten der Ergebnisse nationaler Abstimmungen lässt oftmals die Gesinnung der Kantone vermuten. So gilt die französischsprachige Schweiz eher als weltoffen und liberal, die Deutschschweiz hingegen mehrheitlich als konservativ. Doch auch einander nahe liegende, oder gar aneinander grenzende Kantone zeigen diesbezüglich Differenzen auf.

So auch die Kantone Luzern und Zug. Während Luzern im Allgemeinen eher als konservativ bezeichnet wird, scheint der Kanton Zug sich als liberaler zu präsentieren. Doch dies sind lediglich Vermutungen, und Vermutungen reichen uns eben einfach nicht aus.

Eigens dazu hat zentral+ einen Konservatismus-Index entwickelt, um diese Vermutungen an messbaren Zahlen zu veranschaulichen. Dieser Index orientiert sich in erster Linie an den Ergebnissen kantonaler Abstimmungen im jeweiligen Kanton und den kantonsinternen Ergebnissen nationaler Abstimmungen – analysiert über die Jahre 2009 bis Anfang 2014. Zuletzt spielte auch die parteiliche Zusammensetzung des Kantonsrates eine gewichtige Rolle für den Index. Das Fazit vorneweg: Die Vermutungen bewahrheiten sich. Der Kanton Luzern ist um 0,3196 konservativer als Zug.

Umso höher der Wert, desto konservativer

Das Ergebnis ist keineswegs als wissenschaftlich zu bezeichnen – denn bei solchen Thematiken die Subjektivität vollständig auszumerzen ist beinahe unmöglich. Trotzdem haben wir analysiert, bewertet, gerechnet und ausgewertet; bestenfalls mit einem Hauch wissenschaftlicher Arbeitsweise. Und so erreicht der Kanton Zug auf unserem Konservatismus-Index den Wert 1,2749, sein Nachbarkanton Luzern kommt auf 1,5945. Je höher der Wert, desto konservativer ein Kanton.

Insgesamt rechneten wir also mit drei Zahlen, die für je einen Bereich aussagekräftig sind und schlussendlich als Ganzes den Konservatismus-Wert eines Kantons ergeben. Zumal sind dies die Ergebnisse kantonaler Abstimmungen, die den ersten Wert definieren. Luzern ist hierbei mit dem Wert 1 exakt im neutralen Bereich. Der Kanton Zug erweist sich mit 0,537 dabei als ausgesprochen liberal. Was die kantonalen Ergebnisse bei eidgenössischen Abstimmungen anbelangt, ist das Resultat eher überraschend: Wider Erwarten schneidet der Kanton Luzern (1,01951) liberaler ab als Zug (1,05853). Bei der Parteianalyse des jeweiligen Kantonsrates kommen wir auf beinahe identische Werte mit 0,7991 für Zug und 0,7896 für Luzern.

Wie die Bewertung von den einzelnen Abstimmungsergebnissen zu Stande kam, veranschaulicht die Initiative «Gegen Masseneinwanderung», über die das Schweizer Volk am 9. Februar 2014 abgestimmt hat. Dieser Abstimmungsvorlage haben wir den gewichtigsten Indikator-Wert (1,7) zugewiesen. Er umfasst die Anzahl Einschränkungen und Verbote gegenüber Ausländern und Asylsuchenden. Der Kanton Luzern hat diese Initiative mit 53,3 Prozent angenommen – Zug hingegen knapp mit 50,06 Prozent verworfen. Somit erhielt der Kanton Zug aufgrund der Ablehnung bei diesem Abstimmungsresultat den Wert 1,1 zugewiesen, Luzern aufgrund der Annahme den Wert 1,7.

Der Vergleich auf nationaler Ebene

Um einen Vergleich mit anderen Kantonen zu wagen, haben wir zusätzlich die Ergebnisse in Bezug auf die nationalen Abstimmungsresultate der Kantone Genf und Appenzell Innerrhoden, wobei ersterer eher als liberal, letzterer hingegen als konservativ gilt, untersucht. Der Kanton Genf ist mit einem Wert von 0,8243 eher liberal, der Kanton Appenzell Innerrhoden hingegen fällt mit 1,1 in die konservative Sparte. Somit sind die beiden Zentralschweizer Kantone Luzern und Zug in der gemässigt konservativen Skala einzuordnen – ja beinahe als neutral.

«Luzern hat nach wie vor starke konservative Züge»

Den Grund für die eher konservative Haltung des Kantons Luzern zu finden, ist nicht einfach. Louis Schelbert, Nationalrat der Grünen Luzern, begründet diese unter anderem in dessen Geschichte: «Historisch gehört der Kanton Luzern zu den konservativen Kantonen. Er blieb in der Reformation katholisch, wurde nur schwach industrialisiert und hatte eine konservative politische Mehrheit bis 1991. Das prägt.» Doch auch heute ist eine konservative Haltung des Kantons unverkennbar. «Danach wurde die Mehrheit der CVP gebrochen. Neu aufgestiegen ist in der Folge die SVP. Noch heute überwiegen daher in der Politik die konservativen Kräfte, seien sie in der CVP oder in der SVP», so Schelbert weiter und ergänzt, dass Luzern nach wie vor starke konservative Züge habe. «Sie prägen vieles, aber nicht alles.»

Luzern einfach als konservativ abzustempeln ist Louis Schelbert jedoch zu simpel, zumal sich der Kanton in einem Wandel befinde: «Abgesehen von der konservativen Prägung hat sich der Kanton in wichtigen Fragen fortschrittlich positioniert.» Heute sei der Kanton Luzern irgendwo dazwischen. Die Mehrheit sei mal hier, mal dort. «Ein Blick auf Abstimmungsergebnisse zeigt ein uneinheitliches Bild, sowohl in Bezug auf Werte, wie auf Strukturen. Luzern stimmte klar für die neue Bundesverfassung, für den UNO-Beitritt und die Bilateralen Verträge, lehnte dagegen die erleichterte Einbürgerung klar ab und sagte auch klar Ja zur Einwanderungsinitiative am 9. Februar», resümiert Schelbert.

«Der Kanton Luzern hatte eine konservative politische Mehrheit bis 1991. Das prägt.»

Louis Schelbert, Nationalrat der Grünen Luzern

Der Politologe Olivier Dolder von Interface Politikstudien findet den Grund für den Konservatismus des Kantons in dessen geografischen Gegebenheiten: «Luzern ist zweigeteilt. Während die Stadt eher linksliberal agiert, verhält sich der ländliche Kantonsteil mehrheitlich rechts und konservativ – und da die Landschaft über die Stadt dominiert, prägt dies den gesamten Kanton.» Zudem ist Luzern ein Landwirtschaftskanton, was wiederum ein Indikator für Konservatismus sei.

Luzern: Vergleich von Stadt und Land

Die Luzerner Landschaft ist konservativ, die Stadt hingegen agiert mehrheitlich liberal: Diese Zweiteilung des Kantons findet immer wieder Erwähnung. Auf Anregung eines Lesers haben wir diese Aussage untersucht. Dazu haben wir erneut die kantonalen und nationalen Abstimmungsresultate bis Anfang 2009 durchforstet – dieses Mal mit Blick auf die Resultate der Stadt im Vergleich mit denen des landschaftlichen Luzerns.

Die Ergebnisse erstaunen kaum. Sie unterstützen Dolders Aussage. Während die Stadt Luzern bei kantonalen Abstimmungen den liberalen Wert 0,9111 erreicht, weist die Landschaft mit 1,0259 konservativere Züge auf. Markanter wird dieser Unterschied beim Abstimmungsverhalten von nationalen Abstimmungen: Luzern-Land kommt auf den Konservatismus-Wert 1,045, die Stadt hingegen auf 0,8775.

Landbewohner ticken anders als «Städter»

Bei den meisten Abstimmungen sind sich die «Ländler» mit den «Städtern» einig. Doch in einigen Belangen ticken die urbanen Gebiete grundsätzlich anders als die ländlichen. Dass die Landschaft die Stadt auch mal dominieren kann, wird an diversen Resultaten – sowohl national als auch kantonal – ersichtlich. So geschehen beispielsweise bei der Änderung des Ruhetags- und Ladenschlussgesetz vom 17. Juni 2012. Die Stadt hat sich dafür, Luzern-Landschaft sich jedoch dagegen ausgesprochen. Die als konservativ eingeordnete Initiative «Gegen Masseneinwanderung», über die das Schweizer Stimmvolk am 9. Februar 2014 befand, verdeutlicht das Bild: Im Gegensatz zur Landschaft lehnte die Stadt Luzern die Vorlage ab. Da die ländlichen Stimmen in Luzern jedoch überwogen hatten, fiel das kantonale Ergebnis positiv aus.

«Konservative Politik setzt auf Bewährtes»

Ist nun konservativ oder liberal geprägte Politik tauglicher? Eine Frage, die sich so nicht beantworten lässt. Denn schliesslich lässt sich sowohl bei einer konservativen als auch bei einer liberalen Politik Positives und Negatives abgewinnen. «Konservatismus bedeutet grundsätzlich ‹Bewahren› – ist also eine traditionsbewusste Haltung», erklärt Olivier Dolder und führt aus, dass konservative Politik auf Bewährtes setze und nicht ständig alles zu verändern versuche, was durchaus als ein positives Merkmal gelte. Dem schliesst sich auch Dr. Manuel Brandenberg, Zuger SVP-Kantonsrat, an: «Für mich bedeutet konservativ, das gute, bewährte Hergebrachte zu bewahren und nicht zu verändern. Was sich jedoch nicht bewährt hat, hat man auch zu ändern.» Dabei solle man nicht töricht und gedankenlos sein, das Neue immer auch schon als das Bessere zu sehen. Schelbert seinerseits sagt zum Positiven im Konservatismus: «Als positiv ‹konservativ› würde ich etwa eine ökologische Haltung bezeichnen, also die Erhaltung (Förderung) von Biodiversität, einer intakten Umwelt und des Klimas.»

Wie wir zu den Werten kamen

Seit Anfang 2009 hat die Zuger Bevölkerung über 17 kantonale Vorlagen abgestimmt; im Kanton Luzern waren es deren 27. Auf Bundesebene waren es in den etwas mehr als fünf Jahren 41 Vorlagen, über die die Schweizer Bevölkerung zu entscheiden hatte. Dazu hat zentral+ jedes Abstimmungsresultat nach seinem konservativen Charakter bestimmt und diesem einen Index-Wert zugewiesen. Als niedrigster Indikator-Wert galten die Anzahl Ablehnungen von Gesetzesänderungen auf kantonaler und nationaler Ebene, wobei viele Ablehnungen eher als konservativ gelten. Deshalb, weil der Erhalt des momentan gegebenen Zustandes ein als konservativ zu bezeichnendes Merkmal ist. Aus diesem Grund erhielt jede Abstimmung, die von der Bevölkerung abgelehnt wurde, den Indikator-Wert 1,1. In die zweite Kategorie fielen abgelehnte Vorlagen betreffend liberaleren Formen zu beispielsweise Ladenöffnungszeiten, Bildungs- sowie Regierungpolitik. Diesen wurde der Indikator-Wert 1,3 zugeschrieben. Als gewichtiger eingestuft und mit dem Wert 1,5 versehen wurden Verbote und Einschränkungen gegenüber der individuellen Freiheit, die zur Regulierung dem Staat überlassen werden. Zuletzt bildeten die Anzahl Einschränkungen und Verbote gegenüber Ausländern und Asylsuchenden (auch «Anderskulturellen») den gewichtigsten Indikator-Wert mit 1,7.

Die Formel

(k1(Indikatorensumme1/Anzahl Abstimmungen) + e1(Indikatorensumme2/Anzahl Abstimmungen)) * p1(Indikatorensumme3/Anzahl Kantonsratsmitglieder) = Konservatismus-Wert

Legende

k1: Ergebnisse kantonaler Abstimmungen

e1: Ergebnisse nationaler Abstimmungen

p1: Die Zusammensetzung des Kantonsrats

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