Geflutet und in Farbe getaucht – so hätte die Bahnhofstrasse auch aussehen können
Extrovertiert, klassisch, leger: 57 Architektenteams wollten die Bahnhofstrasse umgestalten. Das Siegerprojekt ist bekannt. Doch auch die knapp unterlegenen Arbeiten sind sehr interessant. Speziell eines davon ist recht gewagt.
Die Neugestaltung der Luzerner Bahnhofstrasse sorgt nicht nur in der Bevölkerung für grosses Interesse. Am Projektwettbewerb beteiligten sich sage und schreibe 57 Architektenteams.
Anfang Juli präsentierte der Stadtrat den Sieger «Take a walk on the bright side» von Koepfli Partner GmbH. Dieser hat sich als Vorbild den Schweizerhofquai genommen: Zwei Baumreihen, Kombination aus Mergel und Asphalt, Sitzmöglichkeiten, Sommerrestaurants. Das ist nicht spektakulär, dafür bezahlbar. Sechs Millionen darf die Umgestaltung kosten, voraussichtlich am 15. Dezember wird das Stadtparlament über einen Projektierungskredit abstimmen.
Die anderen 56 Wettbewerbsprojekte landen nun also im Güselkübel. Das ist schade, denn es hat ein paar sehr interessante darunter. Deshalb zeigt zentralplus hier die zweit- bis siebtrangierten Projekte.
Platz 7: Der Lässige
Die Verfasser des Projekts «Arrivée» (Heinrich Landschaftsarchitektur) wollten die Gunst der Jury mit einem langgestreckten Promenadenraum begeistern, der vom KKL und Bahnhofplatz bis vor die Jesuitenkirche gereicht hätte. Als Hauptmaterial war sandgestrahlter Asphalt vorgesehen.
Im Jurybericht steht: «Die grundlegende Idee des Projektansatzes besteht aus vielen, kleinräumigen und meist unabhängig betrachteten und entwickelten Teileingriffen.» Allerdings sei konzeptionell keine übergeordnete Absicht erkennbar. Was das genau bedeutet, bleibt dem Laien eher unklar. Für die Heinrich Landschaftsarchitekten hingegen bedeutet es das Aus.
Platz 6: Der Extrovertierte
Das Projekt «Lu» von Beglinger + Bryan Landschaftsarchitekten hätte die Bahnhofstrasse am farbigsten und feuchtesten gemacht. Denn vorgesehen waren versetzte Hochstamm-Baumreihen. Diese hätten laut Jurybericht «insbesondere im Frühling mit blütenreichen Kleinbäumen einen neuen Farbakzent in den Boulevard bringen» sollen. Nicht nur die Stadtgärtner hätten daran bestimmt Freude gehabt.
Doch die bäumige Farbenpracht war nicht alles: Für den Spazierbereich war ein blau gefärbter und veredelter Gussaphalt vorgesehen. Plus: Auf dem Theaterplatz hätte ein Wasserspiel realisiert werden sollen, samt Möglichkeit, den Platz zu fluten! Das wär zwar ein Gaudi für Kinder gewesen, die Jury aber sah es anders. Der Ansatz des Projekts sei «wenig integrierend und kontextuell». Und vermutlich schlicht zu überbordend. Auch hätten die vielen Bäume an der Bahnhofstrasse für Probleme mit dem Verkehr gesorgt.
Platz 5: Der Klassische
Weniger spektakulär gingen die extra Landschaftsarchitekten ans Werk. Unaufgeregt und dezent war ihr Projekt «Bouquet» der autofreien Bahnhofstrasse. Die Jury lobte: «Der Geist der Gründerzeit weht nach in der sorgfältigen Ausarbeitung der vorgeschlagenen Elemente und der Pflege des Bestandes.» Demnach hätte die heutige Asphaltstrasse durch einen ruhigeren Belag ersetzt werden sollen. Der Gastrobereich war ausschliessling entlang der Häuserzeile geplant.
Vor der Jesuitenkriche hätte ein grüner Park entstehen sollen. Aber gerade dieser Teil wurde von der Jury bemängelt: «Vor allem im Bereich des Theaterplatzes bleibt das Projekt unentschieden in seinem Bekenntnis zur Neugestaltung.» Trotzdem: Ein schöner grüner Park anstelle der heutigen eher trostlosen Rasenfläche neben der Jesuitenkirche – dagegen hätte wohl niemand etwas.
Platz 4: Der Elegante
Das spannende am Projekt «Andante» der ASP Landschaftsarchitekten war die Umgestaltung des Theaterplatzes. Die heutige Wiese neben der Jesuitenkirche hätte einem Natursteinbelag weichen müssen. Dort hätten etwa der Wochen- und Monatsmarkt stattfinden sollen.
Die Jury lobte an diesem Wettbewerbsbeitrag: «Der Projektvorschlag Andante versucht mit einem kräftigen Eingriff die heutige Wahrnehmung des Ortes als Strasse zu überwinden.» Das würde auf lange Sicht zwar einen hochwertigen Stadtraum bieten. Jedoch hinterliess auch dieses Projekt bei der Jury zu viele offene Fragen, weshalb es nicht für Platz 1 gereicht hat.
Platz 3: Der Simple
Das Projekt «Lucius» von Hager Partner bezieht sich laut Jury auf die Uferkanten des 19. Jahrhunderts und schlägt in der Bahnhofstrasse eine doppelte Baumreihe als Flaniermeile vor. Materialisiert ist die Bahnhofstrasse wie auch der Theaterplatz schlicht in Asphalt. Ein grosser Brunnen neben der Kirche hätte das Wasserelement weiter betont.
Entlang der Reuss wären auf diese Weise einige Boulevardrestaurants möglich gewesen. Doch die Jury war nicht vollumfänglich überzeugt. Das Projekt leide zu stark daran, «atmosphärisch nüchtern und unterkühlt» zu wirken. Auf den Visualisierungen sieht es zwar nicht «unterkühlt» aus – aber mit Visualisierungen lassen sich Schwächen bekanntlich ja gut übertünchen.
Platz 2: Der Bäumige
Das Gestaltungskonzept des Projekts «Parisol» von Andreas Geser Landschaftsarchitekten besteht aus einem zweireihigen Baumdach. Dieses sah vor, die bestehende Kastanien-Baumreihe zu ergänzen, sodass eine optische und räumliche Verbindung bis hin zum nördlichen Bahnhofplatz und der dortigen Baumreihe hergestellt werden kann.
Der Theaterplatz hätte mit grossformatigen Platten versehen werden sollen. Diese «schaffen eine Art Bühne. Neu gepflanzte Baumgruppen mit Sitzmöglichkeiten schaffen den Hintergrund der Bühne und einen neuen Puffer gegenüber der unbelebten Ostfassade der Jesuitenkirche», schreibt die Jury dazu. Problematisch an diesem Projekt ist laut Jury jedoch die verkehrstechnische Erschliessung der Bahnhofstrasse, etwa für die Velofahrer. Und ausgerechnet die Velofahrer zu behindern, die ja nebst den Fussgängern am meisten von der autofreien Bahnhofstrasse profitieren sollten, ist sicherlich keine gute Idee.
Einstimmiger Entscheid
Zum Handkuss kam dann also das Projekt von Koepfli Partner GmbH. Und zwar sehr klar: Der Entscheid fiel einstimmig aus. Der Projektname «Take a Walk On The Bright Side» verweist laut Jury übrigens auf den Umstand, dass die Bahnhofstrasse kein schattiger Ort sei. «Der Uferbereich ist von Frühjahr bis Herbst besonnt und im Gegensatz zur rechten Uferpartie lässt sich an der Bahnhofstrasse der Abend mit Sonnenstrahlen geniessen.»
Nicht nur auf der Reussseite, auch entlang der Häuserreihe ist eine weitere Baumreihe vorgesehen. Dort allerdings nur in Pflanzgefässen, da in diesem Bereich wegen den vielen Leitungen im Boden und der Flexibilität für Veranstaltungen keine Bäume in den Boden gepflanzt werde könnten. Der Gehbereich entlang der Häuserzeile bleibt erhalten und soll Platz bieten zum Beispiel für die Boulevardgastronomie. Auch eine verschiebbare Buvette ist geplant.
Zudem wird auch bei diesem Projekt die Wiese vor der Jesuitenkirche komplett umgestaltet und zu einem grünen Park mit Bäumen umfunktioniert. Der Siegerbeitrag schafft laut Jury mit finanziell vertretbaren Mitteln (ein wichtiger Punkt) einen «atmosphärisch und räumlich starken Rahmen für das linke Reussufer». Die Bahnhofstrasse und der Theaterplatz würden so auf unspektakuläre Weise zu attraktiven Orten für das Luzerner Alltagsleben ausgezeichnet. Man darf gespannt sein, wie das am Schluss in der Realität aussieht.
2018 stimmt die Bevölkerung ab
Die Bahnhofstrasse wird so weit als möglich autofrei gestaltet, weil die Stadtluzerner 2013 einer entsprechenden Initiative zugestimmt haben. Die Volksabstimmung zum Sechs-Millionen-Realisierungskredit findet voraussichtlich 2018 statt – sofern dagegen das Referendum ergriffen wird. Ab 2019 sollen die Bahnhofstrasse (in zwei Etappen) und der Theaterplatz umgebaut werden. Noch nicht restlos geklärt sind zwei Punkte. Erstens: Wohin mit den vielen Velos, die heute reussseitig entlang der Strasse parkiert sind? Zweitens: Wie kann der Autoverkehr reibungslos abgewickelt werden? Eine spezielle Knacknuss betrefffend Verkehr sind die beiden betroffenen Parkhäuser, deren Zu- und Ausfahrten neu geregelt werden müssen.
Hinweis: In der Wettbewerbs-Jury sassen: Adrian Borgula (Stadtrat Luzern), Bernhard Jurt (Leiter Tiefbauamt), Mario Lütolf (Leiter Stadtraum und Veranstaltungen), Jürg Rehsteiner (Stadtarchitekt), Roland Koch (Verkehrsexperte Tiefbauamt), Lorenz Eugster (Landschaftsarchitekt/Städtebau, Zürich), Marie-Noëlle Adolph (Landschaftsarchitektin, Meilen), Jacqueline Parish (Landschaftsarchitektin, Zürich), Armando Meletta (Architekt, Luzern), Stephan Erne (Verkehrsplaner, Effretikon), Dominik Frei (Leiter Ressort Stadtgestaltung Luzern).