Luzerner alt Regierungsrätin Yvonne Schärli

«Die Gleichstellungsstrategie scheint ein Kompromisswerk des Bundesrats zu sein»

Hätte sich mehr vom Bundesrat und der ersten, nationalen Gleichstellungsstrategie erwartet: Yvonne Schärli, Luzerner alt Regierungsrätin. (Bild: Archivbild: bra)

Es ist das erste Mal überhaupt in der Schweizer Geschichte, dass der Bundesrat eine nationale Gleichstellungsstrategie beschlossen hat. Grund zu feiern gibt es laut der Luzerner alt Regierungsrätin Yvonne Schärli jedoch nicht. Die Präsidentin der Eidgenössischen Kommission für Frauenfragen hätte deutlich mehr erwartet.

Seit der Einführung des Frauenstimmrechts vor 50 Jahren hat die Schweiz in der Gleichstellung viele Fortschritte gemacht. Vollständig erreicht ist sie allerdings noch nicht. Das zeigen sowohl nationale als auch internationale Ranglisten.

«Wir können und wir müssen uns verbessern», findet der Bundesrat. Um die Lücken zu schliessen, hat er kürzlich die Gleichstellungsstrategie 2030 verabschiedet. Sein Ziel: «Frauen und Männer beteiligen sich gleichgestellt am wirtschaftlichen, familiären und gesellschaftlichen Leben. Sie geniessen während ihres ganzen Lebens die gleiche soziale Sicherheit und verwirklichen sich in einem respektvollen Umfeld ohne Diskriminierung und Gewalt.»

Inhalt ist die Förderung der beruflichen Gleichstellung, die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie und die Bekämpfung von Diskriminierung, Sexismus und Gewalt.

Das sind die Ziele des Bundesrats

Die konkreten Massnahmen führt der Bundesrat in einem 14-seitigen Bericht auf. Um die Lohndiskriminierung zu beseitigen, werden «qualitativ und hochwertige Tools» eingesetzt. Zudem wird das Rentenalter 65 Jahre für alle angestrebt. Um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf voranzutreiben, soll eine nationale Strategie mit den Kantonen verabschiedet werden. Ziel des Bundesrats ist es zudem, das Armutsrisiko von Familien, insbesondere von alleinerziehenden Müttern und Vätern, zu reduzieren.

«Wir können und wir müssen uns verbessern.»

Der Bundesrat

Der Bundesrat möchte auch Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt reduzieren und Massnahmen zum Opferschutz verstärken. Ein Aktionsplan zur Istanbul-Konvention soll her, im Bereich Diskriminierung unter anderem ein Bericht über die Benachteiligung der Frauen in der medizinischen Forschung, Prävention und Pflege. So will der Bundesrat die Gleichstellung von Frau und Mann bis ins Jahr 2030 «tatsächlich» verwirklichen.

Für diese erste Gleichstellungsstrategie erntete der Bundesrat viel Kritik von links. Auch die eidgenössische Kommission für Frauenfragen zeigt sich enttäuscht. Sie bedauert die «bescheidene Zielsetzung und zurückhaltende Themenwahl».

«Realpolitisch und wenig ambitioniert», so Schärli

«Seit Langem fordern wir diese Strategie, nun ist sie da, das ist sehr positiv», schreibt die Präsidentin der Kommission, alt Regierungsrätin Yvonne Schärli, auf Anfrage. Enttäuscht ist die Luzernerin dennoch: «Sie geht zu wenig weit und scheint ein Kompromisswerk des Bundesrates zu sein.»

«Es fehlen verbindlichere und messbarere Ziele.»

Yvonne Schärli, Präsidentin Eidgenössische Kommission für Frauenfragen

Die Gleichstellungsstrategie bleibe in der Zielsetzung realpolitisch und wenig ambitioniert, fährt sie fort. Die drei wichtigsten Hauptkritikpunkte Schärlis: In weiten Teilen fasse der Bundesrat darin bereits bestehende Bemühungen zusammen. Der Themenbereich Care-Arbeit werde bei den Massnahmen zu wenig berücksichtigt. «Zudem fehlen verbindlichere und messbarere Ziele.»

Auch hätte sie sich mehr Ziele und Massnahmen gewünscht zu Themen wie intersektionale Betrachtung bei Gewalt gegenüber der LGBGQI-Community – und nicht nur bei Mann und Frau. Weiter hätte sie erwartet, dass der Fokus auf Care-Arbeit sowie die Elternzeit gerichtet wird – und nicht auf Erwerbsarbeit und nur Vaterschafts- und Mutterschaftsurlaub, wie es der Bundesrat macht.

Ziele, die Löhne in «frauentypischen» Berufen zu verbessern, fehlen

Auch SP-Nationalrätin Tamara Funiciello kritisierte, dass vieles zwar gut klinge – aber bloss laue Luft sei. Grösstenteils handle es sich dabei um «Teppichetagenfeminismus», sagte sie gegenüber dem «Blick». «Für Büezerinnen hingegen passiert sehr wenig.»

«Die Gleichstellungsstrategie kommt tatsächlich zu spät.»

Yvonne Schärli

Yvonne Schärli sieht das ähnlich: «Es fehlen klare Ziele im Zusammenhang mit einer Reduktion des Frauenanteils im Tieflohnsektor, bei der Mehrfachbeschäftigung sowie bei besseren Arbeitsbedingungen und Entlöhnungen in frauentypischen Berufsfeldern wie Pflege, Erziehung und Betreuung.»

Wie Schärli schreibt, habe sich der Druck auf den Bundesrat in letzter Zeit erhöht. Da waren die Wahlen 2019. Der Frauenstreik, die MeToo-Bewegung. Die zahlreichen Forderungen von Frauenverbänden und -organisationen, Gewerkschaften und einzelner Parteien. «Die Gleichstellungsstrategie kommt tatsächlich zu spät.»

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1 Kommentar
  • Profilfoto von Peter Bitterli
    Peter Bitterli, 09.05.2021, 19:26 Uhr

    Chancengleichheit ist ein zentrales Gebot einer liberalen und demokratischen Gesellschaft. Sie ist unbedingt herzustellen, wo sie gegebenenfalls noch absent oder mangelhaft wäre. Gleichstellung ist undemokratischer, im schlimmsten Fall wirtschaftlich schädlicher Unsinn. Im Gefolge der sogenannten Gleichstellung zwischen den Geschlechtern explodieren zudem die diversen Gruppen von selbsternannten Anspruchsberechtigten aufgrund von allerlei angeblichen Opfermerkmalen bis hin zu dem Punkt, wo die Quotierung sich zu korruptester Bürokratie entwickelt haben wird.

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