Urs Liechti hat Kultstatus als Satiriker in Luzern

Der Pöstler bringt illustres Publikum zum Lachen

Der Postangestellte Urs Liechti nimmt mit seinen satirischen Sprüchen alles und jeden auf die Schippe.

(Bild: Christine Weber)

Eigentlich ist er Postangestellter. Daneben schlägt das Herz von Urs Liechti für die Satire. Und wie! Jedes Jahr verfasst er für das «Gnagi-Essen» Sprüche und Verse über den Zustand der Schweiz und insbesondere jenen von Luzern: witzig, bitterböse und sackironisch.

Vorneweg für jene, die weder mit der Fasnacht noch mit dem traditonellen Gnagi-Essen der Zünftler etwas am Hut haben: Ein Pausenclown ist Urs Liechti nicht. Der 51-Jährige zitiert während des Gesprächs ganz nebenbei und aus dem Stegreif lange Passagen von William Shakespeare, Erich Kästner und Kurt Tucholsky.

Nicht nur die Literatur bedeutet ihm viel, er ist auch ein leidenschaftlicher Opern- und Musikliebhaber und einer der treusten Gäste im Kleintheater. «Das ist meine zweite Heimat. An diesem sehr wichtigen Ort trifft man die grossartigsten Künstler-Geister», sagt Liechti.

«Ich habe keine Schere im Kopf und bin weder auf dem linken noch auf dem rechten Auge blind.»
Urs Liechti, Postangestellter und Satiriker

Was aus der Feder des Sprücheklopfers kommt, ist witzig und träff, intelligent und bitterbös – aber nie unter der Gürtellinie. Ausgeteilt wird nach links und nach rechts, auf die Schippe genommen wird alles und jeder. «Ich nehme kein Blatt vor den Mund, habe keine Schere im Kopf und bin weder auf dem linken noch auf dem rechten Auge blind.» Die Narrenfreitheit ist ihm wichtig, ganz egal, vor welchem Publikum er steht. «Da würde ich mir auf gar keinen Fall dreinreden lassen!», sagt er und zitiert Tucholsky: «Was darf Satire? Alles!»

Lokale Politiker bieten satirischen Steilpass

Politische Schwergewichte wie Bundesrat Schneider Ammann kommen bei ihm genauso an die Kasse wie die Skirennfahrerin Vreni Schneider, die ehemalige Luzerner Stadträtin Ursula Stämmer oder der abgewählte Stadtpräsident Stefan Roth. «Solche Figuren bieten eine hervorragende Ausgangslage. Für mich ist das ein satirischer Steilpass», sagt Liechti. Dass die Betroffenen selber auch mitlachen, liegt daran, dass Liechti nie primitiv wird. Auch wenn es mal gröber zu und her geht in seinen Texten, ganz böse ist dieser Postmann nicht. «Meine Haltung ist human. Und ich mache mich nie lächerlich über die Schwächeren», sagt er.


Die ehemalige SP-Stadträtin Ursula Stämmer hat beim Gnagi-Essen auch schon ihr Fett abbekommen.

Seit zehn Jahren amtet Urs Liechti beim Gnagi-Essen als Landschreiber. Als solcher hat er die Aufgabe, dem Publikum einen Abriss über die Ereignisse des Jahres zu geben. Und zwar mit einer Art rasantem Protokoll, das nach Lust und Laune des Landschreibers verfasst und vorgetragen wird. 2007 ist Liechti als Landschreiber eingestiegen, dieses Jahr fungiert er nur noch als Gastredner. «Ich will mich nicht weitere Jahre verbindlich festlegen», sagt er. Kein Wunder: Die Vorbereitung für seinen Vortrag ist nämlich keine Hauruck-Übung, sondern beschäftigt ihn während des ganzen Jahres.

Zwanzig Minuten lang trägt er seine Sprüche jeweils vor – natürlich auswendig. In rasantem Tempo fegt er über die Themen und Ereignisse und bringt die Pointen knackig und schräg auf den Punkt. «Meine Verse ernten tosenden Beifall. Und das bei etwa 450 Gästen», sagt Liechti schmunzelnd und ist selber erstaunt darüber. Zu diesem seltsamen Job ist er nämlich wie die Jungfrau zum Kind gekommen: «Ich bin auch ein politisches Tier», erzählt er, und darum ist er auch in die Rolle des Landschreibers hineingerutscht.

«Um die knochentrockene Materie etwas aufzumischen, streute ich eigenmächtig witzige Passagen in die Protokolle.»
Urs Liechti

Der Postangestellte Liechti engagierte sich unter anderem bei der damaligen Christlich-Sozialen Partei (CSP), er war dort Protokollführer. «Um die knochentrockene Materie etwas aufzumischen, streute ich eigenmächtig witzige Passagen in die Protokolle.» Das wurde von einem stadtbekannten Mann bemerkt und geschätzt: Rudolf Bürgi alias «Blueme-Bürgi». Der Blumenhändler war nicht nur Politiker bei der CVP (später CSP), sondern auch ein Stadtoriginal.

Inspirierende Freundschaft mit Blumen-Bürgi

Zwischen den beiden ungleichen Männern entwickelte sich eine enge Freundschaft, die bis zum Tod von Blueme-Bürgi 2014 angedauert hat. Gemeinsam feilten die beiden an Reden und Sprüchen herum, und zwar hinter dem dicht bepackten Schreibtisch im Blumenladen von Bürgi an der Zürichstrasse. «Das war eine äusserst inspirierende Angelegenheit!», schwärmt Urs Liechti.

Ruedi Bürgi war es denn auch, der auf das Talent des jüngeren Freundes aufmerksam wurde und Urs Liechti für die Gnagi-Essen als Landschreiber empfohlen hat. Gesagt und getan: Schon sein erster Auftritt vor zehn Jahren war ein Bravour-Stück. «Obschon ich grausam aufgeregt war. Aber das hat zum Glück niemand gemerkt», sagt Liechti und lacht im Rückblick.

Seither findet der Sprüche-Macher immer genügend Material für die Unterhaltung des Publikums. Letztes Jahr gehörte natürlich Ex-Stapi Stefan Roth zu jenen, die Urs Liechti auf die Schippe genommen hat:


Die Turbulenzen um Ex-Stapi Stefan Roth dürfen nicht fehlen in Liechtis Spruch-Sammlung.

Illustre Runde zum Lachen bringen

Am seltsamen Anlass Gnagi-Essen der Zünftler treffen sich Hinz und Kunz. Politische Meinungen und soziale Ansichten sind so unterschiedlich wie Tag und Nacht. Diese illustre Runde mit ironischen Sprüchen zum Lachen zu bringen, ist eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit. Das dachte sich auch Liechti, als er überredet wurde, den Landschreiber zu geben. Aber er hatte eine Idee. Und die bewährte sich über all die Jahre. «Ich mache Sprüche mit nur vier Zeilen. So kann ich vierzig teils komplett unterschiedliche Themen kurz und bündig abdecken.»

Insgesamt hat Urs Liechti in den letzten Jahren über 500 Verse verfasst. Bei den Zünftlern geniesst er schon lange Kultstatus. Das Gleiche gilt für Politiker und Künstler. «Sogar Organist Wolfang Sieber, Künstler Wetz oder Ex-Regierungsrat Anton Schwingruber haben sich bei mir mit einem Brief für meine Beiträge bedankt», sagt Liechti und wühlt im Stapel Fanpost auf seinem Tisch. Zum Vorschein kommen auch Dutzende Couverts und Blätter, die mit seinen Notizen übersät sind. Hier ein Blitzgedanke und da eine Idee – flüchtig hingekritzelt, um später auf Satiretauglichkeit untersucht zu werden.

Urs Liechti notiert seine Ideen und Gedanken auf Couverts und anderen Zetteln.

Urs Liechti notiert seine Ideen und Gedanken auf Couverts und anderen Zetteln.

(Bild: Christine Weber)

Von Prostitution bis zu Politik

«Meine Inspirationen finde ich beim Radiohören, Zeitunglesen und im Alltag», sagt Liechti und gibt ein Müsterchen: Täglich ist der Postbeamte frühmorgens gegen 4 Uhr zu Fuss unterwegs auf dem Weg zu seiner Schicht. Dabei geht es Richtung Bahnhof durch die Tribschenstadt, wo lange Zeit der Strassenstrich war. Tempi passati. Immer weniger Frauen standen an der Strasse herum und warteten auf Freier. «Plötzlich stand da nur noch eine einzige Prostituierte. Da ist mir dieser Vers dazu eingefallen», sagt Liechti und legt los:


Urs Liechti über den CO2-neutralen Strassenstrich (Video: web)

Liechti ist extrem gut informiert über das Geschehen in Luzern und der Schweiz. Dabei gehört er zu den letzten Mohikanern, die weder einen Computer und Internet noch ein Handy haben. Seine Sender sind anders ausgerichtet, und das funktioniert bestens, auch, wenn man ihn zu sprechen wünscht. «Wer mich sucht, findet mich auch», sagt er. Zum Beispiel am Postfach-Schalter hinter dem Bahnhof.

Seit Jahrzehnten bei der Post

Seit 35 Jahren arbeitet er dort in Frühschicht und kennt vermutlich jeden Kunden, der in der Schalterhalle ein- und ausgeht. Liechti ist mit Abstand der Dienstälteste unter seinen Kollegen. «Ich habe schon längst gelbes Blut!», sagt er und lacht.

«Aus Selbstschutz geh ich nicht an die Fasnacht. Ich muss schliesslich morgens um vier wieder zur Arbeit!»
Urs Liechti

Seine Arbeit bei der Post ist auch mit ein Grund, warum Liechti persönlich mit der Fasnacht nichts am Hut hat. Ein einziges Mal habe er vor Jahren mitgemacht. Und zwar so kräftig, dass er sich auf Nimmerwiedersehen von diesem Trubel verabschiedet habe. «Aus Selbstschutz geh ich nicht an die Fasnacht. Ich muss schliesslich morgens um vier wieder zur Arbeit!» Und zudem braucht er einen klaren Kopf und viel Zeit, um in seiner Freizeit Inspirationen und Ideen für die nächste Runde Sprüche anlässlich des Gnagi-Essens zu sammeln. Denn eines ist klar: So locker die Sprüche daherkommen, so viel Phantasie und Arbeit braucht es, bis die Pointe wirklich sitzt.

Urs Liechti ist nicht nur bei der Gnagi-Zunft ein begehrter Sprücheklopfer. Auch im Fasnachtsmagazin «Knallfrosch» werden seine Verse jedes Jahr veröffentlicht. Zwar sind alle Texte anonym publiziert – aber jene von Urs Liechti sind ganz einfach an ihrer Form zu erkennen: Vierzeiler. 

Der diesjährige «Knallfrosch» zur Fasnacht erscheint am 16. Februar.

Der diesjährige «Knallfrosch» zur Fasnacht erscheint am 16. Februar.

(Bild: Christine Weber)

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