Luzerns Sonnenkönig kämpft für guten Geschmack

«Die Wohnkultur ist am Sterben»

Nicht stolpern! Das Löwenfell am Boden erinnert an den Filmklassiker «Dinner for One».

(Bild: Beat Studer)

Wer seine Wohnung mit Mobiliar aus der Zeit Napoleons schmücken möchte, ist bei Beat Studer in Luzern an der richtigen Adresse. Trotz sinkender Nachfrage und zunehmender Konkurrenz durch Massenware hält der kauzige Innendekorateur und Polsterer seit 30 Jahren eisern an seinem Handwerk fest. Denn Studer ist auf einer Mission: Er möchte die Kultur des Wohnens wiederbeleben.

Wer zu ihm wegen Plastikstühlen kommt, ist definitiv fehl am Platz. Das zeigt schon ein Blick durchs Schaufenster: Opulente Polstermöbel, mit knalligen Farben verzierte Tapeten und schwere Vorhänge zieren den Raum hinter der Glasscheibe – und entführen den Betrachter in eine längst vergangene Zeit. Geradezu lächerlich bescheiden wirkt da das Schild «BS» draussen über dem Eingang.

Die Initialen «BS» stehen für Beat Studer. Er ist sozusagen der Reiseleiter auf dem Trip ins 18. Jahrhundert. In eine Zeit, als mit der Französischen Revolution der Startschuss in Richtung Moderne gerade erst abgefeuert und dem Adel zusehends Feuer unterm Hintern gemacht wurde.

Feingeist Studer konserviert diese Epoche als leidenschaftlicher Innendekorateur und Tapissier in seinem Geschäft an der Theaterstrasse, nur einen Steinwurf von der Kapellbrücke entfernt. Seit 30 Jahren schon herrscht er hier als Sonnenkönig von Luzern. Jubiliert wird diesen Samstag (siehe Box).

Ein Handwerk für den Adel

«Innendekorateur ist nicht mein Beruf», betont der 58-jährige Studer. «Es ist meine Berufung.» Weltweit richten er und sein Team Immobilien ein. Nicht nur mit klassischem Interior, sondern durchaus auch mit einem Schuss Moderne. «Gerade eben haben wir ein Loft im Engadin eingerichtet», erzählt Studer. «Die Kombination aus Klassik und Moderne reizt mich.» Sein Kundenstamm reicht von Deutschland über die Niederlande bis hinüber nach England. Zumeist handle es sich dabei um wohlhabende Menschen, konstatiert er.

«Ich glaube, ich habe im 18. Jahrhundert schon einmal gelebt.»

Trotzdem, seine Lieblingsklientel sei nicht an die Dicke des Portemonnaies gebunden. «Am liebsten sind mir jene, die das Spezielle suchen und es sich leisten möchten. Auch wenn es sich dabei nur um einen Stuhl handelt», so Studer. Geld sei für ihn ohnehin keine Motivation. Was ihn antreibe, sei die Liebe zum Handwerk, die Freude an den Materialien, der Sinn für guten Geschmack und das Hochhalten echter Wohnkultur.

Der Innendekorateur Beat Studer in seiner Wohnung an der Theaterstrasse in Luzern.

Der Innendekorateur Beat Studer in seiner Wohnung an der Theaterstrasse in Luzern.

(Bild: pbu)

Der Echtheit verschrieben

Was Studer unter echter Wohnkultur versteht, zeigt sich beim Besuch seiner eigenen Wohnung. Diese befindet sich im selben Haus und kann als Showroom besichtigt und für Anlässe gemietet werden.

Eine lange Tradition

Das Tapissier-Décorateur-Handwerk wird an der Theaterstrasse 3 in Luzern seit über 100 Jahren gepflegt. Über drei Generationen hinweg erarbeitete sich die Joseph Willimann AG ein weltberühmtes Renommee – zu den Kunden zählten grosse Namen wie Audrey Hepburn, Aristoteles Onassis oder die Kennedys. Hier absolvierte Beat Studer seine Ausbildung als Innendekorateur. Nach kurzen Wanderjahren kehrte er 1983 in die Firma zurück und wurde 1986 zum Inhaber. Diesen Samstag feiert Beat Studer das 30-Jahr-Jubiläum seines Geschäfts.

Eines ist klar: In dieser Form gibt es die Wohnung mit Sicherheit kein zweites Mal. Ungewohnte Augen laufen Gefahr, infolge Reizüberflutung ins Trudeln zu geraten. Opulent, mächtig, royal, überladen, bunt, erschlagen – es ist schwer, sich für ein treffendes Adjektiv zu entscheiden.

Auf jeden Fall fühlt man sich in Studers Zuhause um einige Jahrhunderte in die Vergangenheit zurückversetzt. «Ich glaube, ich habe im 18. Jahrhundert schon einmal gelebt», versucht der Polsterer seine Leidenschaft für diese Epoche zu erklären.

Eigentlich wollte Studer Innenarchitekt werden, scheiterte aber an der Aufnahmeprüfung. «Zum Glück», wie er heute sagt. Er blieb Innendekorateur, perfektionierte das Handwerk durch praktische Erfahrung, absolvierte die Meisterprüfung und lernte die alten Möbel und Stoffe lieben.

«Ich spüre den Menschen in der Wohnung nicht mehr.»

Heute ist seine Wohnung eine einzige Trouvaillen-Sammlung: Ein Himmelbett mit einer Krone aus Straussenfedern, gläserne Kronleuchter, mit Seide bezogene Sessel, Deckengemälde, Panoramatapeten, dicke Vorhänge in allen Farben, ein Stuhl aus dem Mobiliar von Napoleon Bonaparte und ein Löwenfell am Boden, das an den Filmklassiker «Dinner for One» erinnert. Das Ganze wirkt museal.

Blick in den Salon. Mittig das russische Empire-Sofa mit eingearbeitetem Gold- und Silberstaub.

Blick in den Salon. Mittig das russische Empire-Sofa mit eingearbeitetem Gold- und Silberstaub.

(Bild: Beat Studer)

Kampf gegen den Einheitsbrei

Für Studer ist das Alltag. Und vor allem ist das für ihn das Echte. «Die Wohnkultur ist am Sterben», sagt er, während er auf dem russischen Empire-Sofa mit eingearbeitetem Gold- und Silberstaub Platz nimmt. «Ich spüre den Menschen in den Wohnungen nicht mehr.» Was er spüre, sei Ikea oder Interio. «Alle diese Leute haben dann auch noch das Gefühl, sie wohnten in der ultimativen Wohnung. Jeder Wohnkatalog zeigt das Gleiche und sagt uns, wir müssen so und so wohnen.» Diesbezüglich sehe er sich als Kulturpessimisten.

Seine Möbel hingegen besitzen Geschichte, sagt der 58-Jährige. «Man kann doch nicht immer alles entsorgen, was vor einem war. Ein Möbelstück, auf dem schon die Eltern oder die Grosseltern gesessen haben, das hat Lebensqualität, da steckt Kraft dahinter. Doch wir werfen unsere Vergangenheit weg. Alles ist heute austauschbar», sagt der Ästhet, der sein Geschäft am liebsten in Paris, London oder New York betreiben würde.

Das «Britische Zimmer». Hier nächtigen regelmässig Freunde des Luzerner Innendekorateurs.

Das «Britische Zimmer». Hier nächtigen regelmässig Freunde des Luzerner Innendekorateurs.

(Bild: Beat Studer)

Diese Tendenz bekommt er hautnah zu spüren. «Das Geschäft ist eindeutig härter geworden.» Früher, als er noch Antiquitätenhandel betrieb, habe es sehr gut rentiert. In den letzten zehn Jahren sei diese Branche aber komplett eingebrochen. «Ab und an plagen uns schon Sorgen, wie das alles weitergehen soll.» Die meisten seiner Berufskollegen hätten das Handtuch längst geworfen. Dies auch deshalb, weil sie voll auf Verkauf setzten. «Viele haben sich auf den Parkett- oder Teppichverkauf spezialisiert und alles andere fallen lassen.» Sie gebe es heute nicht mehr, weil die grossen Warenhäuser diese Sachen einiges günstiger anbieten, sagt Studer.

Zukunftssorgen und Nostalgie

Der Innendekorateur profitiert davon, dass er mit seiner Firma eine Marktlücke bediene. Für den Denkmalschutz ist er heute ein gefragter Mann. Viele seiner Kunden seien zu engen Freunden geworden. Und das Geld sei stets in die Firma geflossen. «Ich habe keinen teuren Sportwagen», meint er bescheiden. «Dafür eine schöne Wohnung.» Ohne das Entgegenkommen seines Vermieters, der einen «moderaten Hauszins» verlange, würde sein Geschäft allerdings nicht existieren, gibt Studer unumwunden zu.

«Wieso soll ich nicht in der Vergangenheit leben, wenn doch die Zukunft nicht besser aussieht?»

So kämpft Luzerns Sonnenkönig weiter. 10 bis 15 Jahre wolle er das schon noch machen, meint er. Seine Passion für den Beruf lässt auch gar nichts anderes übrig. Ist Studer ein Träumer? Jemand, der verkrampft an der Vergangenheit festhält und den Zeitgeist völlig verpasst hat? Studer lächelt und antwortet mit einer Gegenfrage: «Wieso soll ich nicht in der Vergangenheit leben, wenn doch die Zukunft nicht besser aussieht?»

 

Eine Reise in die Vergangenheit – das verspricht die Wohnung von Beat Studer:

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