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Architekturkritik, Städtebau

Bill-Gütsch-Board

Die neue Gütschbahntalstation von Daniele Marques und Iwan Bühler nimmt wegen ihrer Zeichenhaftigkeit offensichtlich Bezug zu einem 1967 von den Amerikanischen Architekten Venturi und Rauch entworfenen Projekt für eine National Football Hall of Fame.

«Bill-Ding-Board» nannten die Architekten Ventruri und Rauch ihr Projekt für eine National Football Hall of Fame, einer «Mischung von ominös überdimensionierter Reklamewand (billboard) und daran angehängten Ausstellungs- bzw. Kultraum», wie Stanislaus von Moos in der Werk-Monografie der Architekten das Projekt 1979 beschreibt. Mit Projekten wie diesem begründete das Team um Robert Venturi und Denise Scott Brown die vertiefte Auseinandersetzung mit der alltäglichen Architektur unserer Städte. Diese Beschäftigung hält bis heute an. Es gibt kaum ein Projekt, das sich nicht auf Venturi & Co. bezieht! 

Knappe fünfzig Jahre später liesse sich auch bei der neuen Gütschbahntalstation von Daniele Marques und Iwan Bühler wegen der inhaltlichen Ähnlichkeiten der Geist von Venturi und Scott Brown Architects (VSBA) heraufbeschwören. Wie bei der National Football Hall of Fame von 1967 ist auch die Bahnstation in erster Linie eine überdimensionierte Reklamewand, die sich im Gewirr von Strassen, Masten, Lichtsignalen, Brücken und Lärmschutzwänden behaupten will. Eine «Bill-Gütsch-Board» also, die sich an den Erkenntnissen von VSBA orientiert? 

Die weisse Betonfläche setzt ein von weitem sichtbares Zeichen. Wer von der Luzerner Altstadt her kommt, kann die Station trotz der stark beeinträchtigten Umgebung nicht übersehen. Die Scheibe leuchtet aus der Umgebung hervor. Sie nutzt den dunklen Hintergrund, um in Kontrast zur Umgebung zu treten. Sie scheint über dem Boden in der Luft zu schweben. 

Von nahem ist die Station in erster Linie puristisches Design. Alles perfekt gestaltet, die Materialien und Oberflächen mit Bedacht gewählt. Kein Detail wird dem Zufall überlassen – eine Gegenwelt zur Umgebung der Baselstrasse. Den Architekten Marques und Bühler ist es hier gelungen, auf engem Raum ein Manifest für den Minimalismus zu realisieren, das von der Spannung der Umgebung und der Lichtführung lebt. Der Unterschied zur Architektur von VSBA könnte nicht grösser sein. Ich fühlte mich in einer anderen Welt angekommen. 

Beim Blick zurück viel mir die Fassade der Sentikirche auf. Vor 200 Jahren hatte hier Josef Singer die damals 150-jährige Fassade modernisiert und mit klassizistischen Formen ebenfalls zu einem Schild erhoben. Die Gütschbahntalstation steht also nicht isoliert, sondern in Nachbarschaft zu diesem historischen Schlüsselbauwerk, das dem Verkehrsknoten ein Gesicht gibt. Und die Architektur geht sogar auf die Proportionen des Singer’schen Kirchenportals ein. Eine Verortung findet statt, vom Zeichen zum Städtebau. Chapeau messieurs! 

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