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Reformierte Kirche Rotkreuz

Beauty aus Beton: Der Glaubensbunker macht wieder Freude

Der renommierte Schweizer Kirchenarchitekt Benedikt Huber realisierte 1970 in Rotkreuz ein Gotteshaus von musealer Schönheit. Die reformierte Kirche Rotkreuz symbolisiert die Aufbruchstimmung der Moderne. Eine kürzlich erfolgte Sanierung führt den Sichtbetonbau wieder stärker ans Original.

Skeptische Geister sprachen von einem «Glaubensbunker», als das Werk von Benedikt Huber am 16. Mai 1971 auf dem Dorfhügel von Rotkreuz feierlich eingeweiht wurde; Fans von unbehandelten Betonbauten hingegen von einem mutigen architektonischen Wurf, der die progressive Kirche symbolisierte.

Wie immer man sich heute zum Bauwerk stellt, unbestritten ist: Das einst polarisierende Gotteshaus steht im Kanton Zug für einen aussergewöhnlichen Vertreter des Brutalismus: einem Baustil der Moderne, der sich weltweit ab 1950 etablierte. Der Begriff «Brutalismus» leitet sich ab vom französischen «béton brut» (roher Beton) und bezeichnet die Verwendung von Beton in seiner nach dem Ausschalen sichtbaren Form.

Durch ihre exponierte Lage auf einem Hügel im Dorfzentrum ist die Kirche von allen Seiten gut sichtbar. Je nach Betrachtungsstandort nimmt sie eine andere Gestalt an. (Bild: Regine Giesecke)

Huber schuf in Rotkreuz ein von neuen liturgischen und gestalterisches Ideen beeinflusstes Werk, das durch seine klar durchdachte Ästhetik besticht. Unkonventionell das Volumen, scharf die Kanten, polygonal der Grundriss, skulptural das Glockengeschoss, wuchtig das Pultdach, konsequent die Materialisierung, die nebst schalungsrohem Sichtbeton auf Rauputz, Eternit, Klinker und Holz setzt.

Unterschutzstellung war unbestritten

Im Innern beeindruckt das Gebäude durch eine grosszügige Eingangshalle sowie einen diagonal ausgerichteten Kirchenraum mit tribünenähnlicher Stufung, die allen Kirchgängern beste Sicht auf den Abendmahltisch erlaubt. Je nachdem, von wo man den Baukörper betrachtet, gibt er ein komplett anderes Erscheinungsbild ab. Erst beim Umrunden erschliesst er sich in seiner vollen Grösse.

Es überrascht nicht, dass auch die Zuger Denkmalpflege die Kirche schon länger auf dem Radar hatte. Sie nahm den Bau 2017 ins Inventar der schützenswerten Denkmäler auf, ein Jahr später wurde er auf Antrag der Eigentümerin – die reformierte Kirche Kanton Zug – unter Schutz gestellt.

Im Wissen um den baukulturellen Wert der Kirche, aber auch angesichts einiger zeitbedingter Schäden, die dringend behoben werden mussten, genehmigten die Mitglieder des Grossen Kirchenrats im Frühjahr 2021 schliesslich einen Sanierungskredit in der Höhe von knapp 1,9 Millionen Franken. «Die Unterschutzstellung war im Kirchenrat unbestritten», erinnert sich Bauverwalter Hans Fischer. Dass es sich bei der Rotkreuzer Kirche um ein spezielles Gotteshaus handelt, war dem Bauverwalter schon immer vage bewusst. «Aber erst die Denkmalpflege und insbesondere der durch sie erstellte Fachbericht öffneten uns die Augen», so Fischer.

Protestanten forderten eigene Kirche

Das Dokument beschreibt nicht nur die Qualitäten des Baus im Detail, sondern kontextualisiert diese auch. «Die neuen Möglichkeiten des Stahlbetons liessen vormals undenkbare, plastisch frei geformte Entwürfe überhaupt erst zu», schreibt Fachmann Michael Cerezo. Darüber hinaus sei der markante Bau ein wichtiger Zeuge des rasanten Wachstums in Rotkreuz in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und der in dieser Zeit stark anwachsenden reformierten Kirchgemeinde.

Diese reagierte mit dem Projekt auf den Ruf der protestantischen Rischer Bevölkerung nach einer eigenen Kirche. Architekt Huber war dafür prädestiniert: Er zählte damals zu den renommiertesten Schweizer Kirchenarchitekten und baute weitere Kirchen und Kirchzentren, so etwa in Basel, Zürich, Kehrsatz BE, Riehen BL, Murgenthal AG. Was oft vergessen geht: An den meisten Projekten war auch seine Ehefrau, Martha Huber, beteiligt. Als Innenarchitektin brachte sie eine wichtige Expertise mit und prägte vor allem die Innenräume.

In Rotkreuz standen die Sanierung der Sichtbetonfassade und des Eternitdachs, eine barrierefreie Erschliessung sowie die Um- beziehungsweise Neugestaltung der sanitären Einrichtungen im Zentrum. Einbauten, Zwischenböden und Oberflächen, die im Rahmen von früheren Eingriffen angebracht wurden und nicht der Qualität der Originalbauten entsprachen, wurden entfernt oder durch passende Elemente ersetzt. Die Federführung oblag dem Baarer Büro Guntli Architektur.

Einheitliche gestalterische Handschrift

Gelungen ist auch die Auffrischung der Versammlungsräume, die multifunktional genutzt werden können. Hier realisierte man eine neue Gastroküche, entfernte die Täferdecke, holte die Betondecke hervor und installierte elegante LED-Leuchten, wobei die sichtbaren Installationen explizit zu einem Teil dieser Gestaltung wurden. Gleichermassen stilvoll wie praktisch ist die bauzeitliche raumtrennende Faltwand aus Holz, die sich wie eine Handorgel auf- oder zuziehen lässt.

Gelungen ist auch die Auffrischung des multifunktionalen Versammlungsraums. Hier holte man die Betondecke hervor und installierte elegante LED-Leuchten. (Bild: Regine Giesecke)

Im ganzen Haus ist nun wieder eine einheitliche gestalterische Handschrift sichtbar, die sich von den Schreinerarbeiten über die Wand- und Deckenleuchten bis zum Handlauf zieht. Innen- und Aussenräume harmonieren, wirken schlicht und stimmig. Insbesondere wurden zur Freude treuer Gottesdienstbesucher die abgenutzten textilen Sitzpolster auf den Kirchenbänken durch wertige Lederpolster ersetzt – mit solchen waren die Holzbänke auch ursprünglich ausgestattet.

Der Klinkerboden zieht sich vom Entrée bis in den Kirchenraum. Die Wände sind entweder aus Sichtbeton oder rau verputzt und weiss gestrichen. Auf dekorative Elemente wurde bewusst verzichtet. (Bild: Regine Giesecke)

Wobei gesagt sein muss: Ein Besuch dieser schnörkellosen Sakral-Ikone lohnt sich völlig unabhängig von der Religionszugehörigkeit und Kirchentreue, denn der Bau ist von musealer Schönheit und für baukulturell interessierte Leute ein Muss. Die Kirche steht auf Augenhöhe mit jenen Bauten des Brutalismus, die in der jüngst veröffentlichten Publikation «Brutales Luzern» von Giacomo Paravicini und Michael Scherer gewürdigt werden.

Auch Umgebung wurde optimiert

Weil gute Architektur immer auch eine gute Umgebungsgestaltung beinhaltet, hat man parallel zur Sanierung des Bauwerks auch den Aussenraum optimiert. Landschaftsarchitekt Benedikt Stähli spricht von einer «Bereinigung», bei der es darum ging, gewisse ältere, mit der Architektur eher weniger kompatible Elemente zu eliminieren und die dadurch entstandene Fläche mit gezielten Massnahmen aufzuwerten.

Wegen Rissen, Abplatzungen und Feuchtigkeit musste die Sichtbetonfassade saniert werden. Das Fassadenbild wirkt dank eines Schutzanstrichs wieder frisch und einheitlich. (Bild: Regine Giesecke)

Dies ging einher mit einer Anpassung des Baum- und Heckenbestands, der Sanierung von Sitzbänken, der Neuorganisation der Parkplätze sowie der Modifizierung des Beleuchtungskonzepts, welches modern, zurückhaltend und zweckmässig ist. Der mit Verbundsteinen gepflasterte Vorplatz ist neu mit einem Brunnen des Nidwaldner Bildhauers Roland Heini ausgestattet. Das formschöne Objekt verstärkt die Idee des Platzes als ungezwungener Begegnungsort, von welchem man – dank der erhöhten Lage – beste Sicht auf das Rotkreuzer Dorfzentrum geniesst.

Der mit Verbundsteinen gepflasterte Vorplatz ist neu mit einem Brunnen des Nidwaldner Bildhauers Roland Heini ausgestattet. Das Betonbecken passt sowohl punkto Material wie Form hervorragend zum Bau. (Bild: Regine Giesecke)

Tauchen wir zum Schluss nochmals ein in die Gedankenwelt von Benedikt Huber, der als ETH-Professor und Redaktor der Zeitschrift «Werk» immer wieder interessante Texte publizierte und darin seine Meinung zu architektonischen Themen kundtat. Im Artikel «Die Aufgabe, eine Kirche zu bauen» beschreibt Huber, inwiefern Sakralbauten eine besondere Herausforderung darstellen. Im Gegensatz zu den katholischen Kollegen, die von der Kirche klare Anweisungen über Form und Inhalt ihrer Bauten erhalten, würden beim protestantischen Kirchenbau präzise Vorgaben meist fehlen.

«So ist der Architekt gezwungen, die Aufgabe des Gotteshauses selber zu interpretieren und in der Architektur zum Ausdruck zu bringen: eine grosse, wichtige und verantwortungsvolle Aufgabe.» Benedikt Huber war ihr gewachsen.

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2 Kommentare
  • Profilfoto von Daniel Durrer
    Daniel Durrer, 18.04.2024, 13:37 Uhr

    Besten Dank für den interessanten Beitrag – ein Besuch bei Gelegenheit wird sich sicher lohnen. Leider vermisse ich den Hinweis auf die planenden/ausführenden Architekten der Sanierung – sie sind sicher massgeblich dafür verantwortlich, dass der Kirchenbau wieder in seiner ganzen 'musealen Schönheit' zur Geltung kommt – ihnen gebührt meiner Ansicht nach, neben einer Erwähnung im Artikel, auch eine entsprechende Würdigung…

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    • Profilfoto von Redaktion zentralplus
      Redaktion zentralplus, 18.04.2024, 15:08 Uhr

      Sie haben den Hinweis vermutlich übersehen. Sie finden ihn unter dem Zwischentitel «Protestanten forderten eigene Kirche» im letzten Abschnitt.

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