Psychiatrie in Luzern und Zug teils überlastet

Corona schlägt den Menschen aufs Gemüt

Seit Corona hat die Zahl der ambulanten psychiatrischen Behandlungen in der Zentralschweiz zugenommen. Experten werten dies als positives Zeichen. (Bild: unsplash.com/Nik Shuliahin)

Kälte, Dunkelheit, Pandemie: Das kann die Stimmung ganz schön verdüstern. Während die stationären Zuger und Luzerner Psychiatrien kaum etwas von der Krise spüren, sind andere Bereiche derzeit überlastet. Ein Umstand, den Fachärzte überraschenderweise positiv werten.

Der November packt die Tage in dicken Nebel, um 17 Uhr wird es bereits Nacht, es ist kalt. Keine besonders guten Umstände, damit sich die Laune hebt. Dazu sitzt uns Corona omnipräsent im Nacken, zeigt uns nach wie vor den Meister.

Dass uns die aktuelle Lage psychisch krank macht, kann aber nicht vollends bestätigt werden. Jedenfalls nicht, wenn man mit Psychiatern aus Zug und Luzern spricht.

«Wir werden nach wie vor nicht überschwemmt mit Patienten bei unseren stationären Angeboten», erklärt Josef Jenewein, der Chefarzt der Klinik Zugersee. «Nur gerade bei etwa zehn Patienten seit Anfang der Krise war klar erkennbar, dass Corona Hauptverursacherin des Problems war.»

Sinn erkennen hilft beim Akzeptieren

Dass auch nun, mitten im Herbst, die Zahl der Patienten nicht deutlich steigt, erklärt sich Jenewein wie folgt: «Wenn wir in bestimmten Ereignissen oder Veränderungen Sinn erkennen, ist es leichter, diese auszuhalten. Wenn wir also sehen, dass etwa die verstärkten Einschränkungen der Corona-Massnahmen Wirkung zeigen und die Zahlen runtergehen, macht das die Sache einfacher zu akzeptieren.»

«Wir befinden uns quasi in einem Live-Experiment.»

Josef Jenewein, Chefarzt Klinik Zugersee

Der Chefarzt hat denn auch viel Lob für die Bevölkerung übrig: «Wir befinden uns quasi in einem Live-Experiment. Dass der Grossteil der Bevölkerung so gut mit der Situation zurechtkommt, erstaunt und freut mich.»

Gleichwohl warnt er davor, den kleineren Teil zu ignorieren. «Wir müssen aber darauf achten, dass Menschen, die weniger gut zurechtkommen, unkomplizierte Hilfe erhalten. Bei allem Social Distancing darf die Menschlichkeit nicht verloren gehen.»

Zeitweise weniger stationäre Behandlungen in Luzern

Ähnlich sieht die Lage in Luzern aus. Julius Kurmann, Chefarzt Stationäre Dienste bei der Luzerner Psychiatrie (Lups), sagt auf Anfrage: «Während der ersten Welle konnten wir gar einen leichten Rückgang an stationären Behandlungen feststellen.» Dies dürfte gemäss Kurmann damit in Verbindung stehen, dass einige Menschen Angst gehabt hätten, sich in den Kliniken mit dem Virus anzustecken. «Zudem hatten verschiedene Zuweiser praktisch ein vom Bundesrat beschlossenes ‹Behandlungsverbot›.» Weiter wurde die Hospitalisationsdauer einiger Patienten verkürzt, indem sie teilweise freiwillig früher ausgetreten seien.

Die Aussagen aus Zug und Luzern stimmen zunächst positiv. Kurmann relativiert jedoch sogleich: «Im nichtstationären Bereich, also bei den Ambulatorien, im Home Treatment und auch in der Kinder- und Jugendpsychiatrie stieg die Zahl der notwendigen Behandlungen.»

Ambulatorien sind überlastet

Er führt aus: «Die psychiatrischen Ambulatorien im Kanton Luzern sind derzeit noch stärker überlastet als schon vor Corona.» Eine Zunahme der Anfragen beziehungsweise der Wartezeiten habe sich bereits während der ersten Welle abgezeichnet.

«Im Frühling konnte man raus, im Garten arbeiten, es war lange hell.» Julius Kurmann

«Stellen Sie sich vor, Sie hätten eine Depression. Diese haben Sie einigermassen im Griff, indem Sie einen strukturierten Alltag führen, zwei Mal wöchentlich ins Fitness gehen, sich regelmässig mit Menschen treffen und daneben Medikamente nehmen.» Kurmann weiter: «Wenn nun alle Angebote geschlossen haben, welche Ihnen Struktur gegeben haben, sind Sie plötzlich sehr auf sich selber konzentriert. Das kann grosse Ängste auslösen und dazu führen, dass man sich an einen Psychiater wendet und um therapeutische Gespräche bittet.»

Eine ähnliche Situation sieht Kurmann jetzt zudem jahreszeitenbedingt. «Im Frühling konnte man raus, im Garten arbeiten, es war lange hell. Mit der dunklen Jahreszeit könnte es sein, dass die Isolation und das Alleinsein zunehmend als belastend wahrgenommen wird.»

Viele können sich Psychotherapie nicht leisten

Während die psychiatrischen Ambulatorien überlastet sind, spüren die selbständig arbeitenden Psychologen eher einen Rückgang bei den Behandlungen. «Wir führen zwar keine Statistik, da wir im ambulanten Bereich eigenständig arbeiten», sagt Reinhard Felix, Mitglied beim Verband PsychologInnen Zentralschweiz. «Doch habe ich gesehen, dass 10 Prozent der Therapeuten noch über freie Plätze verfügen. Das ist mehr als üblich.»

Felix findet denn auch eine Erklärung dafür: «Das Problem liegt an der Finanzierung. Psychotherapie läuft nicht über die Grundversicherung. Da viele aktuell in finanzieller Unsicherheit leben, verzichten einige auf eine Behandlung.» Oder aber sie würden versuchen, stattdessen eine psychiatrische Behandlung zu bekommen, da diese von der Grundversicherung gedeckt werde.

Die positive Seite des Ansturms

Weil die Ambulatorien überlastet seien, gelte es, sich mit frei praktizierenden Psychiatern und Psychologinnen abzusprechen, um den Patienten gemeinsam zu helfen. «Ausserdem machen wir eine Triage, um zu erfassen, wer die Hilfe wirklich prioritär braucht», sagt Kurmann.

«Ich werte die grosse Zahl ambulanter Behandlungen als gutes Zeichen, denn das bedeutet, dass sich Menschen früh genug Hilfe holen.»

Josef Jenewein, Chefarzt Klinik Zugersee

Eine Zunahme bei den Ambulatorien stellt Jenewein auch im Kanton Zug fest. Dafür könne es verschiedene Gründe geben. «So kann es sein, dass gewisse Menschen nur eine einzige Beratung brauchen, um Strategien im Umgang mit der Situation zu erarbeiten. Oder aber kann es sein, dass der nahende Winter der Tropfen ist, der ein bereits volles Fass zum Überlaufen bringt.»

Jenewein sieht die Tatsache, dass Menschen ambulante psychiatrische oder psychologische Angebote nutzen, sehr positiv: «Ich werte das als gutes Zeichen, denn das bedeutet, dass sich Menschen früh genug Hilfe holen.»

Ein kummervoller Blick in die Zukunft

«Was künftig ein Problem werden könnte, sind Arbeitslosigkeit oder finanzielle Probleme», sagt Josef Jenewein von der Klinik Zugersee. Bestimmte Wirtschaftszweige, wie beispielsweise die Gastronomie, sind sehr stark betroffen von der Krise. «Ich hoffe, dass der Staat hilft, diese prekäre Situation abzufangen», so der Chefarzt, denn: «Wenn jemand viel in ein Unternehmen investiert hat und dann Konkurs geht, kann das zu einer heftigen psychischen Krise führen.»

Julius Kurmann findet noch deutlichere Worte. «Wir glauben, dass die Zunahme an stationär behandlungsbedürftigen Patienten eher nach der Pandemie passiert, dann nämlich, wenn die wirtschaftlichen Folgen erst recht spürbar sind.»

Er beschwichtigt jedoch: «Die stationäre psychiatrische Versorgung durch gut ausgebildete Fachkräfte ist in der ganzen Schweiz grundsätzlich genügend.» Der Luzerner Chefarzt weiter: «Es braucht auch bei einer allfälligen Zunahme der Fälle voraussichtlich keine zusätzlichen stationären Therapieplätze. Dies, sofern die Ambulatorien gut ausgestattet sind.»

Deine Ideefür das Community-Voting

Die Redaktion sichtet die Ideen regelmässig und erstellt daraus monatliche Votings. Mehr zu unseren Regeln, wenn du dich an unseren Redaktionstisch setzt.

Deine Meinung ist gefragt
Deine E-Mailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert. Bitte beachte unsere Netiquette.
Zeichenanzahl: 0 / 1500.


1 Kommentar
  • Profilfoto von mebinger
    mebinger, 23.11.2020, 11:34 Uhr

    Beendet endlich diese unnötigen, barbarischen, blasphemischen und depperten, weil nutzlosen Massnahmen, bevor die Politik alles zerstört hat, was da Leben ausmacht, die Politik trötet zehnmal mehr als Corona

    👍0Gefällt mir👏0Applaus🤔0Nachdenklich👎0Daumen runter
Apple Store IconGoogle Play Store Icon