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Reichhaltiges Erbe in Gefahr

Nicht nur die Tomatensorte Sursee droht zu verschwinden

In meinem Gemüsegarten wachsen verschiedene alte Sorten nebeneinander. So gibt es viel Feines für die Küche und für die Samen für das kommende Jahr ist auch gesorgt. (Bild: mki)

Wussten Sie, dass es eine Tomatensorte Sursee gibt? Und eine Kefensorte nach Rothenburg benannt wurde? Wieso solche alten Sorten wichtig sind und wie es um die Sortenvielfalt von Kulturpflanzen steht, erfahren Sie in diesem Blogpost.

Die Sortenvielfalt von Kulturpflanzen ist ein Erbe der Menschheit, welches über Jahrtausende entstanden ist. Sie bildet das Fundament für die Versorgung mit Lebensmitteln. Die Vielfalt ist stark gefährdet. Es gibt aber auch für «Normalsterbliche» spannende Möglichkeiten, um alte Sorten zu erhalten. Damit die Sortenvielfalt wieder nach draussen kommt – in die Gärten und auf die Felder.

Sortenjagd mit Überraschungen

Seit mehr als dreissig Jahren helfe ich bei der Betreuung von alten Sorten mit und bin daher immer ein wenig im Jagdfieber. So wurde ich hellhörig, als mir ein Bewohner im Alterszentrum Sursee erzählte, er vermehre eine Tomatensorte seit mehr als 60 Jahren. Er war sich nicht mehr sicher, ob sein Vater die Samen ursprünglich bei «Samen Mauser» gekauft hat. Die Firma existiert nicht mehr – und der alte Herr ist vor ein paar Jahren gestorben. Die Tomatensorte wurde aber gerettet und heisst nun Sursee.

Salatgurken aus Eschenbach

Ein anderes Mal machten wir einen Ausflug nach Beromünster. Als wir durch das Chorherrenstift St. Michael schlenderten, sahen wir eine alte Frau im Gemüsegarten arbeiten. Zufällig trafen wir dann die gleiche Frau auf unserem Rückweg von der Waldkapelle. Mein Mann drängte mich, sie zu fragen, ob sie zufällig noch eine alte Sorte kultiviere – und tatsächlich! Nachdem sie sich zuerst über meine etwas dreiste Anfrage gewundert hatte, nahm sie uns mit in den Garten des Stifts – und schenkte mir eine Handvoll Samen einer alten Kefensorte.

Diese Sorte stamme noch von ihrer Grossmutter aus Rothenburg, erzählte sie mir. Auch diese Sorte wurde gerettet und trägt nun den Namen Rothenburg. Die Vielfalt steckt voller Überraschungen. Oder hätten Sie gewusst, dass es aus Eschenbach eine gelbe Salatgurkensorte gibt? Oder dass aus Schachen die Mooriemer Suppenbohne stammt?

Der Klostergarten Sursee aus der Luft: hier gedeiht schon seit langer Zeit kostbare Vielfalt. Klöster haben seit Jahrhunderten immer auch Züchtungsarbeit geleistet.
Der Klostergarten Sursee aus der Luft: Hier gedeiht schon seit langer Zeit kostbare Vielfalt. Klöster haben seit Jahrhunderten immer auch Züchtungsarbeit geleistet. (Bild: mki)

Sortenerhaltung ist gar nicht so einfach

Je nach Bestäubungsbiologie ist die Vermehrung einfacher oder schwieriger. Arten wie die Karotte blühen erst im zweiten Jahr – die Pflanze, von der man Samen wünscht, muss also überwintert werden. Dazu werden sie von Insekten bestäubt – das kann zu unerwünschten Kreuzungen führen.

Auch andere «Unfälle» können geschehen: So haben mir einmal die benachbarten Ziegen meine seltenen Sorten aufgefressen, und im Klostergarten hat mir einmal der Nachbar zwei seltene Getreidesorten abgemäht – er meinte, es sei Gras ... Aber man sollte sich deswegen nicht entmutigen lassen.

Entstehung der Sortenvielfalt

Bis vor ein paar Jahrzehnten lag die Züchtung von Saatgut in den Händen der einzelnen Anbauerinnen und von regional tätigen spezialisierten Firmen. Natürlich nahm man immer von besonders robusten und ertragreichen Pflanzen Saatgut für das nächste Jahr. Weil die Landschaft und das Klima sich von Ort zu Ort unterscheiden, entstanden so in jedem Tal und in jeder Region ganz eigene Sorten. Eine Kefensorte aus Weggis hat daher andere Eigenschaften als eine aus dem Wallis.

Die Vielfalt zeigt sich schon beim Saatgut: vier verschiedene Nutzpflanzen mit ihren Samen.
Die Vielfalt zeigt sich schon beim Saatgut: vier verschiedene Nutzpflanzen mit ihren Samen. (Bild: mki)

Heutige Situation

Heutzutage ist die Saatgutzüchtung ein weltweites Geschäft geworden, das in der Hand von wenigen Firmen liegt. In der Schweiz hatte es etwa in meiner Jugend noch mehrere Zuchtfirmen, die es heute nicht mehr gibt. Auch kommen heute fast nur noch sogenannte F1-Hybriden auf den Markt. Das bedeutet, dass es sich beim verkauften Saatgut nicht um eine «echte» Sorte handelt, sondern um ein Kreuzungsprodukt.

Hierfür werden zwei Elternpflanzen gekreuzt und die erste Folgegeneration (F1-Generation) hat dann besonders gleichförmige und ertragreiche Pflanzen. Von diesen F1-Pflanzen kann man aber kein Saatgut mehr nehmen – die Eigenschaften werden nicht an die nächste Generation weitergegeben, sondern es entsteht ein Wirrwar von grossen, kleinen, robusten und kränklichen Pflanzen, welche mit der gewünschten Sorte nicht identisch sind. Man muss also jedes Jahr wieder neues Saatgut kaufen – ein lukratives Geschäft!

Warum ist die Sortenvielfalt so wichtig?

Die genetische Vielfalt wird heute als Teil der Biodiversität verstanden – ihre Erhaltung ist von essenzieller Bedeutung für uns Menschen. Schliesslich wissen wir ja nicht, welche Anbauverhältnisse und Krankheitserreger die Zukunft bringt. Vielleicht wird dann plötzlich eine Sorte interessant, die zwar keine Höchsterträge bringt, aber beispielsweise sommerliche Trockenheit gut erträgt oder gegen einen Pilz resistent ist.

Das kann ich für die Sortenerhaltung tun

Es gibt ganz viele Möglichkeiten, aktiv zu werden. Die schmackhafteste ist: Alte Sorten aufessen! In den Läden sind heute glücklicherweise rote und weisse Karotten und violette Kartoffeln zu finden. Was wir konsumieren, wird auch angebaut und lebt so weiter. Daneben kann man auch helfen, alte Sorten zu vermehren und zuhause anzubauen, etwa mit ProSpecieRara. Oder an einem Dreschtag mitmachen, wo gezeigt wird, wie Saatgut gewonnen und verarbeitet wird. Auch in einer Saatguttauschbörse oder Saatgutbibliothek zu tauschen, sind wichtige Beiträge.

Saatgut für alle

In Luzern läuft in diesem Frühjahr einiges zum Thema Saatgut – eine Ausstellung in der Stadtbibliothek und eine Saatgut-Tauschbörse sind geplant. Aber es kommt noch besser: In der Umweltberatung wird am 12. Februar eine permanente Saatgutbibliothek eröffnet – so wie sie schon in anderen Städten wie St. Gallen, Langenthal oder Bern existieren. Die Idee ist einfach: Ein Koffer oder eine Kiste mit Saatguttüten wird eingerichtet, Besucher der Bibliothek wählen Saatgut aus und legen auch gerne wieder etwas hinein. Es ist ein freies und kostenloses Tauschsystem.

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1 Kommentar
  • Profilfoto von Hegard
    Hegard, 19.01.2022, 11:44 Uhr

    Ich liebe Tomaten,ich habe schon als Kind mehr Tomaten gegessen als Äpfel.
    Aber mir grausts wenn ich die Heutigen geschmacklosen Industrie Tomaten sehe.Ich bevorzuge Datteltomaten die süsslich schmecken.
    Ich habe schon rechts um kehrt gemacht,wenn ich sah,wie ein Gourmet Koch die sauren Tomaten mit Zucker überhäuft hat.
    Wenn gewisse Tomate nicht so viel Säure hätten,würde auch nicht so viel Zucker eingearbeitet.
    Leider sehen die Industrie Tomaten nicht mal Erde.und dort fängt es an,ist die Erde PH neutral,haben sie auch weniger Säure=weniger Zucker=gesünder.

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