«Damals»
Blog

Weihnachten auf dem Kandishof

Die Familie Lussi auf dem Kandishof, Dierikon, um 1910. Vorne sitzend der Urgrossvater, rechts von ihm seine älteste Tochter, die nach dem Tod der Mutter ihre Geschwister erzog. Stehend in der Mitte Kurt Lussi's Grossvater.

Wie feierte man früher Weihnachten? Volkskundler Kurt Lussi ging auf Spurensuche und erzählt seine ganz persönliche Familiengeschichte vom Kandishof im luzernischen Dierikon. Entgegen den Ausführungen in vielen Weihnachtsbüchern gab es bei der Bauernfamilie wenig echt Brauchtümliches, dafür mehr Bodenverhaftetes.

Weihnachtsmärkte, Guetzli, Adventskranz, Glühwein: «Was gibt es an vorweihnachtlichen Bräuchen, die nicht schon eingehend beschrieben worden sind?» Vielleicht finde ich einen Hinweis in Josef Konrad Scheubers Bauerngebetbuch von 1960. Im Abschnitt «Lichtfroher Advent» lese ich: «Am Vorabend eines jeden Adventssonntags darf eines der Kinder (Erstkommunikant, Messdiener, das Jüngste) eine neue Kerze anzünden. Unter diesem Lichterkranz betet die Familie allabendlich den Rosenkranz, hier singt man die alten, frommen Weihnachtslieder, hier beten die Kinder zum St. Niklaus und zum Christkind und kerben ihre gebrachten Öpferlein in einen Holzstab ein.» Aha. Letzteres tönt vielversprechend und scheint nicht allgemein bekannt zu sein. Also rufe ich meinen Vater an, der auf dem Kandishof im luzernischen Dierikon aufgewachsen ist. Er ist ein Bauernsohn und muss es wissen.

«Im Advent hemmer welle guet ässe»
Vater von Kurt Lussi 

An die Sache mit den Holzstäbchen kann er sich nicht erinnern und auch das Rosenkranzgebet scheint bei ihm keinen bleibenden Eindruck hinterlassen zu haben. Unter den Begriff «vorweihnächtliches Brauchtum» fällt bei ihm anderes ein: «Im Advänt hemmer welle guet ässe!», hebt er an und bringt mich damit aus meinem Konzept, das sich um Begriffe wie Fasten, Einkehr und Besinnung rankt. Ganz so idyllisch, wie im Bauerngebetbuch beschrieben, war es damals offenbar doch nicht. Schnell kommt er zum Kern der Sache. Bereits im Frühherbst, erfahre ich, bestellte sein Vater – also mein Grossvater – den Störmetzger. Hans Furrer hiess der Mann, der in Ebikon in der Nähe des Gasthauses Löwen wohnte und ab Anfang November ständig bei den Bauern der Gegend unterwegs war. Der Termin, auf den er auf den Kandishof bestellt war, sprach sich bei der Verwandtschaft schnell herum. Am Schlachttag kamen sie dann von weither angereist, um zu verzehren, was zuerst weg musste: Blutwürste, Leberwürste, Füessli und Schnörrli. Aber keine Bratwürste. Die legte meine Grossmutter fein säuberlich auf Holzbretter und brachte sie in den Estrich. Damals waren die Winter noch streng und die Dächer nicht isoliert. Die Würste waren schnell gefroren und hielten dadurch bis in den Januar. Der Bauchspeck und die zum Räuchern bestimmten Würste hing man in die grosse Rauchkammer im Estrich. Die besseren Fleischstücke wurden eingepökelt. Die gab’s an Weihnachten. Den reinen Schweinsspeck, Schmutz genannt, erhitzte man in grossen Eisenpfannen und füllte das austretende Fett in Hafe genannte Töpfe aus blau glasiertem Steingut. An den Schmutzhafen in der Kandishof-Küche kann ich mich noch gut erinnern. Er stand zusammen mit dem Salztopf links vom Feuerherd auf einer Holzbank, und wenn Tante Therese Rösti zubereitete, bediente sie sich grosszügig daraus. «Eine richtige Rösti muss glänzen», pflegte sie zu sagen.

Bratwürste, Eingepöckeltes, Geräuchertes: In dieser Reihenfolge wurden die Vorräte den Advent über und in der Weihnachtszeit verzehrt. So war es während des Krieges, betont mein Vater und fährt fort, dass sich am Schlachttag die Verwandtschaft nicht nur «Haut und Bauch» vollschlug, sondern auch nie mit leeren Händen nach Hause ging. Denn damals war das «märklifreie» Fleisch als vorweihnächtliche «Zugabe» sehr geschätzt. Dazu muss man wissen, dass das Fleisch in den Kriegsjahren rationiert und nur mit Lebensmittelmarken erhältlich war.

«Und Weihnachtsgebäck?» frage ich nach. Schliesslich geht es hier um Weihnachtsbräuche und nicht ums Metzgen. Ja, Gebäck gab es auch, selbst in den Kriegsjahren. Vorherrschend waren Zimtsterne, Chräbeli und Mailänderli. Zur Hauptsache aber hatte man Birnenweggen, denn zu dieser Zeit hatte der Kandishof einen grossen Bestand an Obstbäumen. Birnen von besserer Qualität wurden gedörrt, der Rest gemostet. In der Adventszeit weichte meine Grossmutter die Dörrbirnen ein, zerstampfte sie zu einem Chrosi genannten Brei, dem sie noch etwas Zimt zufügte. Aufgabe der Buben war es dann, das Gemisch zur heute noch existierenden Mühle und Bäckerei Brunner am Fuss des Mühlihogers in Dierikon zu bringen. Daraus stellte der Mühlibeck die Birnenweggen her. Rund dreissig Stück liessen sich aus dem gelieferten Chrosi backen, selten weniger, meistens mehr, erinnert sich mein Vater. Man holte sie mit Ross und Wagen ab und schichtete sie sorgfältig in grosse Zeinen, die man in einem kühlen Zimmer aufbewahrte. Der Vorrat reichte in der Regel bis in den Januar.

Doch wo bleiben die alten Lieder, die Lichter, die Weihnachtsgeschichten und frommen Texte? Um nochmals Scheubers Bauerngebetbuch zu zitieren: «Man nütze die freien Stunden und Abende, um mit der ganzen Familie wahre Vorbereitung auf die Ankunft Christi in der Weihnacht zu halten.» Nun denn, wie so oft, klaffen auch hier Wunschdenken und Wirklichkeit auseinander. Auf den Bauernhöfen war die Arbeit hart, der Arbeitstag auch im Winter lang und am Abend ging man daher zeitig schlafen. Für Besinnliches, Beschauliches und Brauchtümliches ohne direkten Nutzen blieb wenig Zeit.

Themen
«Damals»
Blog
Ob Hintergründe zu alten Gebäuden, Geschichten zu Plätzen, stadtbekannte Personen, bedeutende Ereignisse oder der Wandel von Stadtteilen – im «Damals»-Blog werden historische Veränderungen und Gegebenheiten thematisiert.
Deine Meinung ist gefragt
Deine E-Mailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert. Bitte beachte unsere Netiquette.
Zeichenanzahl: 0 / 1500.


1 Kommentar
  • Profilfoto von Peter Lussi
    Peter Lussi, 24.11.2019, 14:06 Uhr

    Hallo Kurt
    Interessant dein Bericht vom Kandishof. Ich als dein Cousin finde nebst dem Bericht auch das
    Photo sehr gut.
    Danke und Aufwiedersehen.

    Gruss Peter

    👍0Gefällt mir👏0Applaus🤔0Nachdenklich👎0Daumen runter
Apple Store IconGoogle Play Store Icon