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Während fast 300 Jahren Sitz von Kirchendiplomaten

Luzern, für den Heiligen Stuhl in Rom eine «Provinzstadt»

Aus: Bayard, Marc. (2019). Der Nuntius von Luzern und sein Archiv.

Ab 1586 setzte der Papst in Luzern eine ständige Nuntiatur ein. Für die päpstlichen Diplomaten war ihr Schweizer Sitz jedoch provinziell, die Luzerner Bevölkerung sahen sie als schlecht gekleidetes, wildes und barbarisches Volk. Die Aufgabe endete nach fast 300 Jahren, als der Bundesrat die diplomatischen Beziehungen zum Vatikan abbrach.

Durch den Papst entsendet, mit der wichtigen Aufgabe, die römisch-katholischen Interessen zu vertreten, ist ein Nuntius mit diplomatischen und religiösen Aufgaben versehen. Aber nicht nur. Dank der Aufarbeitung von Mario Galgano in seinem Werk: «Das Bild der Schweiz bei den Papstgesandten», lassen sich auch alltägliche Beschäftigungen der Nuntien festmachen. Und was noch viel interessanter ist: Es wird deutlich, wie die Schweiz im römisch-katholischen Kirchenstaat wahrgenommen wird.

Aktionsfeld des Luzerner Papstgesandten

Als päpstlicher Agent der katholischen Kirche in Rom war eine der wichtigsten Aufgaben der Nuntiatur, in Luzern die Ausbreitung des Protestantismus zu beobachten und einzuschätzen. Dies ist auch ein Grund, weshalb der Posten in Luzern für Rom von Wichtigkeit war.

Nach dem Konzil von Trient nahm sich die Katholische Kirche unter anderem vor, Bischöfe und Priester hinsichtlich der Ausübung ihres Amtes genauer zu kontrollieren. So wurde es auch zur Aufgabe der Luzerner Nuntiatur, den «richtigen» katholischen Glauben zu prüfen. So diente der Nuntius als Förderer und Überwacher der innerkirchlichen Reform.

Kontaktaufnahme nach Rom

Dank einer intensiven Aufarbeitung des ehemaligen Geheimarchivs des Vatikans, welches in «Vatikanisches Apostolisches Archiv» umbenannt wurde, lässt sich die Korrespondenz zwischen der Luzerner Nuntiatur und der zuständigen Stelle in Rom aufzeigen. Die Zuständigkeit in Rom forderte von ihren Nuntien eine Fülle an Material. Diese regelmässigen Sendungen beinhalteten mehrere Briefe, welche je nach Funktion andere Namen trugen. Die Sammlung dieser Briefe wurde als «Dispaccio» bezeichnet.

Unterschiedliche Briefe

Einem jeden «Dispaccio» lag ein Begleitschreiben bei, welches als Protokoll genutzt wurde. So war das Staatssekretariat in Rom in der Lage, nachzuvollziehen, ob die Sendung vollständig war. Auch die sogenannten Avvisi lagen der Sendung häufig bei. Sie waren kurze, unkommentierte Mitteilungen des Nuntius. Da sie die politische, militärische und religiöse Lage Luzerns und der Eidgenossenschaft beschrieben, waren sie zur Schaffung einer Meinungsbildung in Rom essenziell.

Die wichtigen Briefe wurden in den Sendungen kodiert transportiert. Das Risiko, dass ein solcher Brief abgefangen wurde, war gross, weshalb einer «Dispaccio» auch meistens nur einer beilag. Dabei beschrieb der Nuntius gewisse Probleme und Schwierigkeiten, welche absolute Geheimhaltung erforderten. Sie zeigten die unverfälschte Position des Nuntius zur Luzerner Gesellschaft auf.

War das umfassende Briefpaket in Luzern geschnürt, wurde es von Boten nach Rom transportiert. Der Weg ging dabei meist über Mailand oder Venedig und dauerte bei guten Wetterverhältnissen ungefähr zwei Wochen.

Der abtrünnige Mönch

Mitteilungen des Nuntius Ranuccio Scotti zeigen auf, wie die Briefe an das Staatssekretariat aussahen. In seiner Funktion besichtigte Scotti auch Klöster. Hier musste sich Scotti mit der Abtrünnigkeit eines katholischen Mönches beschäftigen.

Am 31. August 1636 verfasst Scotti eine Nachricht an das Staatssekretariat in Rom. Im Kloster St. Blasien, an der deutsch-eidgenössischen Grenze, komme es zu einem «Skandal».

Bruder Hadrian, «Beichvater» des Klosters in Luzern, hält sich im Sommer 1636 in St. Blasien auf. Am 15. August ist er plötzlich unauffindbar. Der Wächter des Klosters fängt allerdings ein paar pikante Briefe ab, welche den Aufenthaltsort Hadrians verraten. In diesem Brief bittet er eine «edle junge Frau», ihn doch an seinem neuen Domizil besuchen zu kommen.

Sein neuer Wohnort? Das protestantische Zürich. Nach Ankunft hat er sein Mönchsgewand abgelegt und seinem Amt als Geistlicher abgeschworen. Scotti versucht Bruder Hadrian zur Rückkehr zu bewegen. Er versendet einen Brief, in welchem er Hadrian in diesem Fall seine Sicherheit garantiert. Falls er sich dennoch entschliesse, in Zürich zu bleiben, so solle er wenigstens das Ordensgewand rücksenden, um ein Sakrileg zu vermeiden.

Was schlussendlich mit Hadrian passierte und ob er sein Gewand im drohenden Angesicht der verübten Blasphemie zurücksendete, bleibt zwar im Ungewissen. Es fällt jedoch auf, mit welcher Bestürzung Scotti den Vorfall schildert. Er spricht von einem «Skandal» und einem «traurigen Geschehniss». Seine Erschütterung zeigt, wie ernst das Anliegen ist.

Ranuccio Scotti als Söldneragent

Neben seinen religiösen Bemühungen sah sich Scotti auch als Agent, welcher für Soldaten einstand. In einem Brief vom 11. April 1634 berichtet er von einer Steuereintreibung in Unterwalden. Dort würde jeder Haushalt um eine Steuer belangt, welche die Ausgaben des Kantons im Kampf gegen die «Ketzer» wieder wettmachen solle. Dazu lud er die Abgeordneten des Unterwaldner Landtags vor. Dort stellt er ihnen einen Priester vor, welcher als Steuereintreiber fungieren soll. Und er kann durchsetzen, dass die eingetriebenen Gelder direkt an Soldaten fliessen, welche im Krieg mitgewirkt haben.

Hier wird deutlich, wie eng Religion und Politik in den Wirren des Dreissigjährigen Kriegs verbunden sind. Im Kampf gegen das protestantische «Ketzertum» ist der Papst das religiöse Oberhaupt, welches den Anspruch stellt, sich in militärische Vorgänge einzumischen.

Der Nuntius und das Luzerner Volk

Scotti war beliebt in Luzern und wurde nach Ende seiner Amtszeit gebührend verabschiedet. In einem Brief beschreibt er seine Abreise. «Es befand sich in Luzern zum Zeitpunkt meiner Abreise, die am Dienstag am Mittag erfolgte, so viele Leute, dass die Strassen voll waren, und die Bürger mussten in ihren Häusern von den Fenstern zuschauen.» Die hier beschriebene Zuneigung gegenüber dem Nuntius war allerdings keine Ausnahme, sondern eher die Regel. Nebst einigen Patrizierfamilien, welche anfangs um ihre Privilegien besorgt waren, berichten die Nuntien ausschliesslich von einer positiven Aufnahme vonseiten der LuzernerInnen.

Diese Beziehung war allerdings nicht immer reziprok. Während die Luzerner Bevölkerung den Nuntien mit Wohlwollen entgegensahen, schauten die Nuntien teilweise offen auf sie herab.

Trinkverhalten und «Genusssucht» in der Luzerner Provinz

Luzern wird in der Korrespondenz nach Rom oft als «Provinzstadt» bezeichnet, die LuzernerInnen als Provinzler. In der Hierarchie der kirchlichen Ordnung sahen sie sich natürlich überlegen. Die Nuntien beklagen sich in ihrem Briefverkehr über verschiedenste Umstände. Dem einen sei das nasskalte Wetter nicht genehm, der andere nörgelte über das Trinkverhalten und die «Genusssucht» der Eidgenossen. Die Nuntien stammten meist aus wohlhabenden Familien und echauffierten sich über den Mangel an Kultur und der «Grobheit». So verurteilen sie das einfache Essen und bezeichnen sie als schlecht gekleidetes, wildes und barbarisches Volk.

Einträgliches Amt endete plötzlich

Trotz all der Vorurteile gegenüber der Bevölkerung war der Posten als Nuntius vielversprechend für eine Karriere in der Katholischen Kirche auf dem Weg zur Kardinalswürde.

Mit Unterbrechungen blieb die Nuntiatur in Luzern bis 1873 erhalten. Dabei stellten sie als Diplomaten des katholischen Papstes seine Stellvertreter dar. Das Amt fand nach fast 300 Jahren ein jähes Ende, als der Bundesrat am 12. Dezember 1873 entschied, die diplomatischen Beziehungen zum Vatikan abzubrechen. Dies als Folge eines Protestes von Papst Pius IX. gegen Schweizer Säkularisierungsbestrebungen. Kurz darauf verliess der päpstliche Beauftragte Luzern – für immer.

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