«Damals»
Blog

Grossmutters Badezimmer-Plättli und was dahintersteckt

Endlager Schrottplatz: Wrack eines Lastwagens der Firma Sidler, 2011 (Bild Museum Burg Zug)

«Wer baute das siebentorige Theben? In den Büchern stehen die Namen von Königen. Haben die Könige die Felsbrocken herbeigeschleppt?»

«Wer baute das siebentorige Theben? In den Büchern stehen die Namen von Königen. Haben die Könige die Felsbrocken herbeigeschleppt?»

Der «lesende Arbeiter» aus Berthold Brechts Gedicht fragt nach den Erbauern unserer Städte und Dörfer. Es ist tatsächlich so: Mühe und Schweiss der Näherin, der präzise Blick des Architekten verschwinden mit der Fertigstellung eines Werks; das Haus, das Produkt ist der sichtbare Rest eines langwierigen Entstehungsprozesses. Wenn sich schon Autos in Rost auflösen und Kleider den Motten keine Stirn bieten können, wie flüchtig sind dann die Fertigkeiten, die Arbeit und das Werkzeug, die einen Motor zum Knattern bringen und mit welchen aus Stoff ein Anzug geschneidert wird!

Man möchte rufen: «Lasst die Könige in den Büchern – aber sucht auch den Herd der Köchin!» In diesem Sinn sammelt das Museum Burg Zug seit einigen Jahren auch mobile Zeugen der industriellen Vergangenheit. Während man entlang des Industriepfades Lorze die Hüllen von ehemaligen Spinnereien, Bahnviadukte oder Kosthäuser bestaunen kann, wandern deren Innereien ins Sammlungsdepot oder in ein Archiv. Denn sie gilt es als herausragendes Kulturerbe zu bewahren, sind sie doch einmalige Träger von Identität. Deshalb werden sie gereinigt und in Inventaren erfasst, quasi als «Vorratsspeicher» für künftige Geschichten.

Gewerbe oder Industrie?

Ein Beispiel gefällig? Vor 230 Jahren als Hafnerei in der Zuger Vorstadt gegründet, plättelt die Firma Sidler Zug AG heute Böden und Wände und baut nach wie vor Kachelöfen. Ende 2014 gelangten rund 1’000 Objekte ins Museum Burg: Wand- und Bodenplatten, ganze Öfen und einzelne Kacheln. Es existierte in Zug mit der Hafnerei Keiser zwischen 1856 und 1938 ein klassischer Handwerksbetrieb, der über die Region hinaus kunstvolle Öfen baute – meist als Kopien alter Öfen. Der Nachlass befindet sich in Museumsbesitz.

Noch handgefertigt: Frieskachel (Füllkachel), Kartusche mit Landschaft, Mitte 18. Jahrhundert (Bild Museum Burg Zug)

Noch handgefertigt: Frieskachel (Füllkachel), Kartusche mit Landschaft, Mitte 18. Jahrhundert (Bild Museum Burg Zug)

Der Betrieb Sidler verbindet hingegen Handwerk und Industrieproduktion: Zwar ist er ein Gewerbebetrieb, aber er nutzte schon früh Erzeugnisse der Industrie: Kacheln und Bodenplatten stellte er nicht selbst her, sondern bezog sie aus grossen Industriebetrieben aus der Schweiz und aus ganz Europa. Ohne diese Gewerbebetriebe hätten sich viele Industrieprodukte nicht so massenhaft verbreiten können. Wer kennt nicht Grossmutters oder Urgrossvaters Badezimmer mit den gesprenkelten «Plättli» aus den 1940er und 50er Jahren?

Grossmutters Muster, aber aus industrieller Produktion: Badezimmer-Plättli in Terrazzo-Optik, ca. 1940er Jahre (Bild Museum Burg Zug)

Grossmutters Muster, aber aus industrieller Produktion: Badezimmer-Plättli in Terrazzo-Optik, ca. 1940er Jahre (Bild Museum Burg Zug)

Was bleibt, was geht verloren?

Industrielle Güter gelten oft nicht als sammlungswürdig und landen bei Firmenräumungen daher schnell in der Mulde. Aber selbst wenn sich die Gelegenheit zur Rettung von solchen Gütern bietet stellt sich die Frage: Was soll gerettet werden? Was gibt man der Vernichtung und damit dem Vergessen preis? Genügt ein Foto eines Lastwagens, oder muss das Fahrzeug erhalten bleiben?

Endlager Schrottplatz: Wrack eines Lastwagens der Firma Sidler, 2011 (Bild Museum Burg Zug)

Endlager Schrottplatz: Wrack eines Lastwagens der Firma Sidler, 2011 (Bild Museum Burg Zug)

Endlager Archiv: Noch in Betrieb: undatierte Aufnahme eines Lastwagens der Firma Sidler

Endlager Archiv: Noch in Betrieb: undatierte Aufnahme eines Lastwagens der Firma Sidler

«Kleben» genügend Hinweise an einem Ding, um – vielleicht erst in der Zukunft – eine interessante Geschichte über deren Besitzerin oder dessen Benützer zu erzählen? Wer hat etwa den selbst gefertigten «Fliesenschneider» erfunden? «So viele Fragen.» Damit beschliesst Berthold Brecht sein Gedicht. Die Antworten liegen nicht auf der Hand. Aber wer sie sucht, findet sie in vielen Dingen.

Fliesenschneider, Marke Eigenbau. Um 1950 (Bild Museum Burg Zug)

Fliesenschneider, Marke Eigenbau. Um 1950 (Bild Museum Burg Zug)

Themen
«Damals»
Blog
Ob Hintergründe zu alten Gebäuden, Geschichten zu Plätzen, stadtbekannte Personen, bedeutende Ereignisse oder der Wandel von Stadtteilen – im «Damals»-Blog werden historische Veränderungen und Gegebenheiten thematisiert.
Deine Meinung ist gefragt
Deine E-Mailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert. Bitte beachte unsere Netiquette.
Zeichenanzahl: 0 / 1500.


0 Kommentare
    Apple Store IconGoogle Play Store Icon