Bericht birgt Überraschungen

Endlich harte Fakten: So wirkt Tempo 30 im Kanton Luzern

Auf einem Abschnitt der Bernstrasse in der Stadt Luzern gilt seit 2021 Tempo 30. (Bild: zvg)

Der Kanton Luzern hat den Effekt von Tempo-30-Zonen untersucht. Die Ergebnisse zeigen: Manche Argumente von Gegnern als auch von Befürworten sind falsch.

Wie schnell durch Ortschaften gefahren werden sollte, ist heftig umstritten. Warum? Autos mit 30 km/h sind leiser, verursachen seltener Verkehrsunfälle und verbrauchen weniger Benzin, sagen Tempo-30-Befürworter. Doch stimmt das? Die Wirkung von Tempo 30 auf Hauptstrassen innerorts hat der Kanton Luzern nun in einem Bericht untersucht (zentralplus berichtete).

Neben der Rechtslage zeigt der Planungsbericht, wie Tempo 30 auf den öffentlichen Verkehr, die Rettungsdienste und den Autoverkehr wirkt. Dafür ist der Kanton wissenschaftlich vorgegangen, hat Simulationen, Interviews und lokale Daten genutzt, schreibt die Staatskanzlei am Dienstag. zentralplus fasst die Resultate zusammen.

Tempo 30 verlängert Reisezeiten im Kanton Luzern

Ein Kernthema des Berichts ist die Verlängerung der Reisezeiten durch die Einführung von Tempo 30. Die Ergebnisse zeigen: Führt man in den Ortskernen auf den «verkehrsorientierten» Strassen Tempo 30 ein, sind Autofahrer zu Stosszeiten zwei bis vier Prozent länger unterwegs. Für die 25 Kilometer lange Route Hitzkirch – Luzern brauchen Fahrerinnen im Feierabendverkehr bei Tempo 30 in den Gemeindezentren eine Minute mehr.

So verändern sich die Reisezeiten, wenn in den Kerngebieten der Ortschaften Tempo 30 gilt. (Bild: zvg)

Grösser ist der Unterschied der Reisezeit ausserhalb der Stosszeiten – so etwa nachts. Dann können Autos nämlich konstanter Tempo 50 fahren und Tempo 30 wirkt bremsend. Durch eine Einführung von Tempo 30 verlängere sich die Reisezeit zu Nebenverkehrszeiten daher im Schnitt um vier bis sieben Prozent, so der Bericht.

Ebenfalls länger unterwegs sind Busse. Für eine Haltestelle braucht ein Bus bei Tempo 30 in den Ortskernen im Schnitt vier Sekunden länger. Mit Busspuren oder Busbevorzugungen lasse sich der Zeitverlust jedoch ausgleichen, steht im Bericht. Das zeigt auch die Praxis: Die Einführung von Tempo 30 auf der Bernstrasse in Luzern und Udligenswilerstrasse in Adligenswil habe keine Auswirkungen auf den Busbetrieb gehabt.

Tempo 30 fördert Schleichverkehr durch Quartiere nicht

Ein Hauptargument gegen Tempo 30 auf Hauptstrassen ist die Angst vor Schleichverkehr durch Quartiere. Unter anderem aus diesem Grund haben die SVP Luzern und mehrere Verkehrsverbände letzten Sommer die Volksinitiative «Tempo 50 auf Hauptverkehrsachsen innerorts» aufgegleist (zentralplus berichtete). Aktuell ist sie beim Regierungsrat hängig.

Der Bericht des Kantons kommt nun jedoch zu einem anderen Schluss. Die Gefahr von Ausweichverkehr hänge weniger stark von der erlaubten Höchstgeschwindigkeit ab als angenommen. «Tritt Stau auf den übergeordneten Strassen auf, weichen Fahrzeuge in die Quartiere aus – egal, ob auf den übergeordneten Strassen Tempo 50 oder Tempo 30 gilt.»

Seit gut 15 Jahren gilt hier Tempo 30: Das Zentrum der Berner Grossgemeinde Köniz. (Bild: bic)

Bedeutet: Um Schleichverkehr in Quartieren zu verhindern, muss der Verkehr auf den Hautstrassen fliessen. Das wiederum kann Tempo 30 in Stosszeiten leicht positiv beeinflussen, zeigt der Bericht. «Der Verkehrsfluss bei dichtem Verkehr und Tempo 30 ist gering höher als bei Tempo 50. Bei wenig dichtem Verkehr ist es umgekehrt.»

Ausserdem gibt es eine Palette an ergänzenden Massnahmen. Mit Einbahnstrassen zum Beispiel kann der Verkehr durch Quartiere verringert werden. Ebenfalls müssen die Hauptstrassen «als übergeordnete Strassen erkennbar bleiben», auch wenn auf ihnen Tempo 30 gilt. So lässt sich der Schleichverkehr verringern, steht im Bericht.

Tempo 30 trägt nicht zu weniger Emissionen bei

Aber auch Argumente der Tempo-30-Befürworter kommen unter die Räder. Zum Beispiel, dass eine geringe Geschwindigkeit gut für die Umwelt sei. Dem ist nicht so, zeigen die Ergebnisse des Kantons. «Die Einführung von Tempo 30 führt ohne weitere Massnahmen nicht zu tieferen Luftschadstoffemissionen.» Auch der Treibstoffverbrauch sei nicht prinzipiell geringer.

Treibstoffverbrauch und Emissionen würden stärker davon abhängen, wie oft gebremst und angefahren wird. Und nicht von der erlaubten Höchstgeschwindigkeit. Andere Argumente der Tempo-30-Befürworter stützt der Bericht dagegen: Die Geschwindigkeitsreduktion verringere den Lärm, besonders nachts und in Städten, erhöhe die Verkehrssicherheit und steigere das Wohlbefinden der Anwohner.

Zehn Kriterien für Tempo-30-Gesuche in Luzern

Aktuell testet der Kanton Luzern ein Bewertungsraster, um Tempo-30-Anträge von Gemeinden oder dem Kanton zu prüfen. Es enthält zehn Entscheidungskriterien. Bei der Beurteilung gilt: Die Tempo-30-Zonen auf Hauptstrassen innerorts sollen möglichst kurz sein. Ausserdem müssen sie verhältnismässig sein, auch in Bezug auf lange Reisestrecken durch den Kanton.

Mit den Kriterien will der Kanton die Umsetzung von Tempo 30 auf Hauptstrassen in Ortschaften «nicht forcieren». Das Raster soll nur dabei helfen, die Gesuche zu bearbeiten, betont die Staatskanzlei. Aktuell hat der Kanton den Gemeinden davon abgeraten, neue Gesuche zu stellen (zentralplus berichtete). Das könnte sich nun ändern.

Kanton will Meinung der Gemeinden zu Tempo-30-Handhabung

Denn am Dienstag hat der Kanton den Entwurf eines Planungsberichts zum Tempo 30 in die Vernehmlassung geschickt. Noch bis am 3. Mai können Gemeinden, Parteien und Verbände ihre Einschätzungen dazu abgeben. Im Sommer soll dann der Kantonsrat darüber beraten. Er hatte den Regierungsrat per Motion beauftragt, den Bericht zu erstellen.

Danach soll ein Merkblatt für die Gemeinden erstellt werden. Dieses soll aufzeigen, wie der Kanton Luzern Tempo-30-Gesuche bewertet. Dabei stützt er sich hauptsächlich auf Bundesrecht. «Mit dem Merkblatt kann sichergestellt werden, dass nur qualitativ hochwertige Gesuche mit guten Chancen eingereicht werden», steht im Bericht.

Auf Hauptstrassen sind Gutachten nötig

Tempo 30 auf Hauptstrassen innerorts beschäftigte vor kurzem auch Bundesbern. Beide Parlamentskammern überwiesen eine Motion des Luzerner FDP-Nationalrats Peter Schilliger (zentralplus berichtete), obwohl sich der Bundesrat dagegen ausgesprochen hatte. Mit dem Vorstoss soll Tempo 50 auf «verkehrsorientierten» Strassen innerorts im Gesetz festgehalten werden.

Der Bundesrat findet, die Hürden für Tempo 30 auf diesen Strassen seien bereits hoch. Für das Gesuch müssen die Gemeinden ein Gutachten vorlegen, das den Zweck der Geschwindigkeitsbegrenzung nachweist. Auf siedlungsorientierten Strassen – also auf Nebenstrassen und in Wohnquartieren – ist ein solches Gutachten seit Anfang 2023 nicht mehr nötig.

Dem Planungsbericht im Kanton Luzern kommt die nationale Dynamik nicht in die Quere. Die Staatskanzlei schreibt, der Bericht fasse die aktuelle Rechtslage zusammen. Zudem müsse der Bundesrat erst eine Vorlage erarbeiten, wie die Motion von Schilliger im Strassenverkehrsgesetz umgesetzt werden kann. Sprich: In Bundesbern kann es dauern.

Verwendete Quellen
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