So oft reisst der Wolf in Zug und Luzern

Warum Wolf M362 geschützt – oder eben doch abgeschossen gehört

Für die einen ist er eine blutrünstige Bestie, für die anderen ein Einheimischer mit naturgegebenem Existenzrecht: der Wolf. (Bild: Adobe Stock)

Der Wolf bewegt. Doch wie verbreitet ist der Wolf in Zug und Luzern überhaupt? Und wie kommen die hiesigen Bauern mit ihm klar? zentralplus liefert Zahlen und Antworten.

Die Viralität eines Artikels kann darüber Aufschluss geben, wie sehr ein bestimmtes Thema die Gesellschaft bewegt. Selbstredend wird die Signifikanz dieses Parameters durch etliche Faktoren, wie etwa die Kompatibilität mit Google relativiert. Doch wenn es um den Wolf geht, lassen die blanken Klickzahlen von zentralplus keinen Zweifel zu: Das Raubtier treibt die Luzerner und Zugerinnen um. Dabei genügt eine einfache Sichtung des Vierbeiners, der mit dem relativ beliebten Hund verwandt, jedoch deutlich umstrittener ist.

Auch in den Kantonen Luzern und Zug, dem «Revier» von zentralplus. Mindestens ein Wolf lebe im Kanton Luzern, sagt David Gerke. Er ist Geschäftsführer der Gruppe Wolf Schweiz, spricht aber auch im Namen von Pro Natura Luzern und Zug.

Ist M362 der Einzige?

«Seit Anfang Jahr gab es sowohl im Entlebuch und im Gebiet westlich des Sempachersees mehrere Wolfsnachweise», präzisiert Gerke – wobei nicht ausgeschlossen sei, dass es sich um zwei verschiedene Wölfe handle. Genetisch sei bisher aber nur ein einzelner männlicher Wolf nachgewiesen worden. Sein Name: M362.

Im oberen Entlebuch sei zudem gelegentlich der Wolf M76 anzutreffen, der seit vielen Jahren im Emmental lebe – und daher kein hiesiger sei.

Im Kanton Zug hingegen komme es laut Gerke nur sporadisch zu Sichtungen einzelner Wölfe. «Wahrscheinlich handelt es sich dabei nur um durchziehende Tiere.» Anders als im Kanton Luzern gebe es keinen Nachweis für eine regelmässige Wolfspräsenz.

So oft kommt es zu Wolfsrissen

Dementsprechend kam es in den vergangenen Jahren auch zu keinen Wolfsrissen im Kanton Zug. Hingegen weiss David Gerke von sechs Wolfsangriffen auf Nutztiere von Luzerner Bauern im laufenden Jahr, während es vergangenes Jahr noch fünf gewesen seien.

«Wölfe, die den fachgerechten Herdenschutz nicht respektieren und Nutztiere reissen, dürfen bereits seit Beginn der Rückkehr des Wolfes in die Schweiz abgeschossen werden.»

David Gerke, Geschäftsführer der Gruppe Wolf Schweiz

Von den Schafen und Ziegen, die diesen Sommer auf Luzerner Weiden verbracht haben, sind weniger als 9 Prozent aller Todesfälle auf Wolfsrisse zurückzuführen. Anders sieht es in den Bergkantonen aus. So waren es in Graubünden 21 Prozent respektive 260 Wolfsrisse. Dort verfügt der Bund denn auch immer wieder Wolfsabschüsse, zuletzt im August deren vier. Gleichzeitig ist die Zahl der Bündner Wolfsrisse im Vergleich zum Vorjahr fast um die Hälfte gesunken – was einem nationalen Trend entspricht.

Tierschützer befürworten Wolfsabschuss

Auch die Anpassung der Jagdverordnung durch Albert Röstis Bundesamt für Umwelt (Bafu) dürfte auf nationaler Ebene Veränderungen im Umgang mit dem Wolf mit sich bringen. Künftig, so steht es im Entwurf, soll es möglich sein, ganze Rudel abzuschiessen – und zwar präventiv, also ohne, dass die Wölfe Nutztiere gerissen haben.

Werden in der Schweiz bald ganze Wolfsrudel abgeschossen? (Bild: flickr)

Die neue Jagdverordnung sorgt bei Tierschutzorganisationen für Unmut. «Sie wird zu einem wahren Massaker an den Wölfen führen», lässt sich Sara Wehrli von Pro Natura auf «SRF» zitieren. «Rudel abzuschiessen, einfach weil sie gemäss irgendwelchen Excel-Bestandesplanungen ‹überzählig› sind, lehnen wir entschieden ab», stellt auch David Gerke klar.

Herdenschutz ist nicht freiwillig

Doch Tierschutzorganisationen sind nicht gegen Wolfsabschüsse per se. Denn diese seien nichts Neues: «Wölfe, die den fachgerechten Herdenschutz nicht respektieren und Nutztiere reissen, dürfen bereits seit Beginn der Rückkehr des Wolfes in die Schweiz abgeschossen werden», erklärt Gerke. Doch würden die Zahlen zeigen, dass die wenigsten Wolfsrisse an geschützten Herden auftreten. Meistens würden die Massnahmen der Bauern funktionieren – und andernfalls könne interveniert werden.

«Bei den Bauern herrscht Nervosität, sie machen sich Sorgen um ihre Tiere.»

Raphael Felder, Geschäftsführer des Luzerner Bauernverbands

Was bedeutet dies für M362 aus Sicht des Tierschutzes? Der Luzerner Wolf überwinde eben nicht regelmässig Herdenschutzmassnahmen. Nötig seien mindestens sechs Risse innert vier Monaten. Zudem hätten die betroffenen Bauern, soweit ihm bekannt, den zumutbaren Herdenschutz nicht erfüllt. M362 abzuschiessen wäre daher weder zulässig noch angebracht, subsumiert David Gerke.

Luzerner Bauernverband sieht Abschuss als alternativlos

Und wie sieht das der Luzerner Bauernverband? Auf dem ganzen Kantonsgebiet sei es 2023 vermehrt zu Wolfsrissen gekommen, erklärt Geschäftsführer Raphael Felder, sodass auch die Wolfsproblematik sehr präsent sei. Präsenter als in den Vorjahren. «Bei den Bauern herrscht Nervosität, sie machen sich Sorgen um ihre Tiere», sagt er.

Gleichzeitig könnten die Herdenschutzmassnahmen nicht weiter ausgebaut werden. Den Bauern gingen die Alternativen aus. Darum unterstütze der Bauernverband die momentane Stossrichtung des Bundes. Im Klartext heisst das: M362 soll zum Abschuss freigegeben werden.

Aufwendige Herdenschutzmassnahmen

Dies klingt radikal. Doch einerseits verursachten die Herdenschutzmassnahmen einen «nicht zu unterschätzenden Aufwand», begründet Felder. Wolfssichere Zäune etwa müssten rund 1,5 Meter hoch sein, während herkömmliche Zäune für Schafe und Ziegen nur ca. 0,9 Meter hoch seien. Und die Anbringung solcher Zäune sei insbesondere im unwegsamen Gelände sehr mühsam. Zudem kämen Bauern wegen der baulichen Massnahmen in Konflikt mit dem Tourismus oder den Jägern und schränkten den Wildwechsel ein.

«Doch wenn der Wolf Tiere einer Herde angreift, überschreitet er eine Grenze und – dieser Meinung sind viele Luzerner Bauern – gehört dann abgeschossen.»

Raphael Felder, Geschäftsführer des Luzerner Bauernverbands

Eine Alternative zu den Zäunen stellt das Einstallen der Tiere über Nacht dar. «Doch auch hier entsteht selbstredend ein grosser Mehraufwand für die Bauern», erklärt Felder. Zwar würden die obligatorischen Herdenschutzmassnahmen mit Fördergeldern unterstützt – doch das decke weder die Materialkosten noch den Personalaufwand.

Psychische Belastung für Bauern

Anderseits seien Bauern frustriert, weil Wölfe trotz aufwendigen Herdenschutzmassnahmen an ihre Tiere herankämen. «Das stellt die Wirksamkeit der Massnahmen infrage.»

Felder weiss, dass die Wolfsrisse für betroffene Bauern sehr unangenehm sind: «Der Bauer fühlt sich für das Tier verantwortlich, und so ein gerissenes Tier – das ist kein schöner Anblick und führt zu grossen psychischen Belastungen.» Dennoch seien viele Bauern nicht per se gegen den Wolf. «Doch wenn der Wolf Tiere einer Herde angreift, überschreitet er eine Grenze und – dieser Meinung sind viele Luzerner Bauern – gehört dann abgeschossen.» Vor allem, wenn er trotz Herdenschutzmassnahmen Tiere reisst.

Der Bauernverand bemühe sich um Lösungen, welche die Situation der Bauern im Umgang mit dem Wolf verbesserten. «Per Sommer 2024 ist ein Notfallteam geplant, das im Fall eines Wolfsrisses – ähnlich wie die Feuerwehr – sofort ausrücken und vor Ort unterstützen kann», verrät Felder im Hinblick auf die nächste Alpsaison.

Ob M362 dann noch durch den Kanton Luzern streifen wird, ist unklar. Der Bund könnte die neue Jagdverordnung bereits im kommenden Dezember in Kraft setzen.

Verwendete Quellen
  • Schriftlicher Austausch mit David Gerke, Geschäftsführer der Gruppe Wolf Schweiz
  • Telefonat mit Raphael Felder, Geschäftsführer des Luzerner Bauernverbands
  • Medienmitteilung des Bundesrats zur revidierten Jagdverordnung im Juli
  • Artikel in der «Südostschweiz»
  • Artikel auf «SRF»
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