«Wir sind alles blau-weisse Kinder»

Warum für diese Fussballverrückte ein Sitzplatz die Hölle wäre

Andrea Geiger hat ihr Herz an den FC Luzern verloren. (Bild: jdi)

Andrea Geiger besucht die Fussballspiele des FC Luzern seit mehr als 40 Jahren. Gegenüber zentralplus erzählt sie von ihrem Filmriss nach der Meisterfeier 1989, ihrer Wut auf Bernhard Alpstaeg und ihrer Liebe zu Pyros.

Fast alle guten Fussballgeschichten beginnen mit dem «Papi». So auch jene von Andrea Geiger. Als junger Teenager zog es sie auf die altehrwürdige Allmend. Zusammen mit einer Freundin – und anfangs in Begleitung ihres Vaters. Geiger musste sich für FCL-Fan-Verhältnisse «nur» ein halbes Jahrzehnt lang gedulden, bis sie im Sommer 1989 einen ersten Titel bejubeln konnte. «Das war etwas vom Besten, was ich je erlebt habe», sagt sie bei einem Kaffee auf der Terrasse eines Restaurants an der Moosmattstrasse, nahe dem Stadion Allmend.

Die 54-Jährige war damals 20. Sie habe Erinnerungen ans Spiel, an die Pokalübergabe – aber diejenigen von der Meisterfeier seien alle weg. «Ich hatte weder einen Kater noch eine Ahnung, wie ich heimgekommen war», schildert Geiger die Situation am Tag danach.

In guten wie in schlechten Zeiten

Besser erinnert sie sich an den Cupsieg 1992. An ihrer Seite war damals nicht mehr ihr Vater, sondern ihr Ehemann, Daniel Geiger. «Es war schön, obschon der Abstieg in die Nati B bereits klar war», so ihr Fazit. Dann kam die Party beim Casino – wo jedes Auto, das vorbeifuhr, hupen musste.

Mit dem FCL durchlebte Geiger aber auch dunkle Zeiten. Zum Beispiel dann, als der Verein um die Jahrtausendwende herum fast bankrott gegangen wäre. Am Ende des 100. Jubiläumsjahrs meldete die FC Luzern AG nämlich Konkurs an. Ein halbes Jahr später, im Mai 2002, konnte dieser abgewendet werden. Auch dank Geldern des Kantons und der Stadt Luzern, die gut 600’000 Franken einschossen. Sie und ihr Mann seien direkt zum Stadion, als klar gewesen sei, dass die Lizenz für die kommende Saison gesichert gewesen sei, sagt Geiger.

Düster seien auch die Jahre darauf, vor allem diejenigen in der Challenge League, gewesen, als kaum mehr Zuschauer den Weg auf die Allmend fanden. «Unsere Freunde meinten, sie kämen nicht mehr», so Geiger, «doch für uns beide war klar: ‹Wir bleiben. In guten wie in schlechten Zeiten›.»

-12 Grad ist zu kalt

Mit Phrasen wie diesen werfen Fussballromantikerinnen gerne um sich. Doch Andrea Geiger meint das durchaus wörtlich. Nur die Arbeit habe sie gelegentlich davon abhalten können, die Heimspiele des FCL zu besuchen. Und dann war da noch dieses eine Spiel, ungefähr im Februar 2012, wie Geiger schätzt. Der FC Zürich sei auf der Allmend zu Gast gewesen. Bei -12 Grad. Zu kalt für einen Matchbesuch. Und tatsächlich – das Alibi passt! In der Nacht vom 4. Februar 2012 sanken die Temperaturen in der Stadt Luzern gar auf eisige -13,8 Grad.

Die Arbeit, die Kälte – und schliesslich Corona: Sie alle haben verhindert, dass Geiger ihren Herzensverein im Stadion unterstützen konnte. «Wir waren immer sehr vorsichtig», beteuert sie, auf die Pandemie angesprochen. Doch sei im Mai 2021 dennoch klar gewesen, dass sie im Falle eines Cupsiegs feiern gehen würde. Essen hätte sie nicht gekonnt, den Match habe sie stehend vor dem Fernseher mitverfolgt – und der Sache bis am Schluss nicht getraut.

Schliesslich pfiff der Schiedsrichter das Spiel beim Stand von 3:1 für den FCL ab – und das fussballverrückte Ehepaar machte sich auf in die Stadt. «Der Marsch vom Vögeligärtli zur Allmend – da läufts mir heute noch kalt den Rücken runter», schwärmt Andrea Geiger. Dass die Mannschaft im Wankdorf «ohni üs» Cupsieger werden musste, findet sie «scho no speziell».

Alpstaeg muss weg

Der dritte Cupsieg der Clubgeschichte fiel in eine Zeit, die FCL-Vizepräsident Josef Bieri jüngst als «Friede, Freude, Eierkuchen» bezeichnete (zentralplus berichtete). Doch vor einem Jahr hat auch die Öffentlichkeit mitgekriegt, wie sehr es hinter den Kulissen brodelte. «Hässig» sei sie damals gewesen, sagt Geiger, «vor allem am 2. Oktober». Offensichtlich kennt sie das Datum auswendig, an dem Alpstaeg sein folgenschweres Interview im «Blick» gab (zentralplus berichtete).

«Vor und im Stadion fühle ich mich sicher.»

Andrea Geiger, FCL-Fan

Nach allem, was passiert ist, steht für Geiger fest: «Eine Zukunft mit Alpstaeg ist nicht vorstellbar. Es ist zu viel Geschirr zerschlagen worden.» Solange er FCL-Aktionär sei, werde keine Ruhe einkehren.

Andrea Geiger kennt David Z.* persönlich

Ruhe haben dieser Tage die Luzerner Stadtbewohner. Anders als noch vor einem halben Jahr kommt es rund um die Heimspiele des FC Luzern kaum mehr zu Ausschreitungen. Eines der Hauptprobleme bei diesen sei, so Geiger, dass die Gästefans auf ihren Fanmärschen direkt an der Zone 5 vorbeigehen würden, wo es immer wieder knalle (zentralplus berichtete). Auch komme es darauf an, welcher Club zu Gast sei (zentralplus berichtete).

«Vor und im Stadion fühle ich mich aber sicher», sagt sie. Doch zu den letzten Ausschreitungen kam es direkt vor den Messehallen, als es einer Gruppe schwedischer Fans gelang, der Luzerner Polizei zu entwischen, um beim Stadionausgang wahllos auf Luzerner einzuprügeln. Es kam zu Gummischrotschüssen – und infolgedessen zur Erblindung des FCL-Fans David Z. Ein Kollateralschaden – bei Weitem nicht der Einzige seiner Art (zentralplus berichtete).

«Wir sind alle mit demselben Ziel da.»

Andrea Geiger, FCL-Fan

Geiger kennt David Z. persönlich und findet: «Was ihm widerfahren ist, ist sehr, sehr traurig.» Doch könne sie nicht beurteilen, was genau schiefgegangen sei, weil sie die Situation nicht beobachtet habe.

«Ich mag Pyros – solange sie nicht rumgeworfen werden»

Umso aufmerksamer wird Andrea Geiger das Heimspiel vom Sonntagnachmittag gegen Yverdon Sport FC verfolgen. Und zwar stehend. Die Sitzplätze seien kein Ort für sie: «Ich bin viel zu nervös und zu laut, um am Match einfach still da zu sitzen.»

Früher habe sie viele Leute aus der aktiven Fanszene gekannt – über ihre ebenso fussballverrückte Tochter. Auch heute noch käme es immer wieder zu einem kurzen Schwatz mit den Leuten, die sich auch für das Feuerwerk im Stadion verantwortlich zeigen würden. «Doch ich mag an der Kurve eben nicht nur die Stimmung und die Choreos, sondern auch die Pyros», stellt Geiger klar, um anzufügen: «Solange sie nicht rumgeworfen werden.»

Ihr Umfeld reagiere regelmässig erstaunt darüber, dass sie sich Woche für Woche derart sorglos mitten in die Kurve stellt. Als Frau. Mit Wurzeln in Indien. Doch habe sie in all den Jahren im Stadion weder mit Sexismus noch mit Rassismus schlechte Erfahrungen gemacht. «Mich interessiert es ja auch nicht, wer neben mir steht.» Denn das mache es doch aus: «Wir sind alle mit demselben Ziel da. Wir sind alles blau-weisse Kinder.» Die irgendwann mal vom «Papi» auf die Allmend mitgenommen wurden. Oder, im Fall von Andrea Geigers Kindern, eben vom «Mami».

*Name der Redaktion bekannt

Verwendete Quellen
  • Persönliches Treffen mit Andrea Geiger
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4 Kommentare
  • Profilfoto von MOSSAD-bruchstrasse
    MOSSAD-bruchstrasse, 23.10.2023, 15:11 Uhr

    Gebet dem Pöbel Brot und Spiele um ihn bei Laune zu halten

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  • Profilfoto von Marie-Françoise Arouet
    Marie-Françoise Arouet, 22.10.2023, 07:23 Uhr

    Ein wahrlich erfülltes Leben. Oder wie ein im Bruchquartier stadtbekannter freischaffender Philosoph meinte: Das ist einfach ein anderes Sprachspiel.
    Da wünscht man sich doch einfach noch viel öfters einen Filmriss.

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    • Profilfoto von MOSSAD-bruchstrasse
      MOSSAD-bruchstrasse, 22.10.2023, 10:06 Uhr

      dito

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    • Profilfoto von Isaac de Pinto
      Isaac de Pinto, 23.10.2023, 08:18 Uhr

      Halten Sie sich doch an den lieben Voltaire der meinte: «Alles was du sagst, sollte wahr sein. Aber nicht alles, was wahr ist, solltest du auch sagen.» Ich finde diese Randgeschichten um den FCL wundertoll und schön.

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