Kampf der Luzerner «Listenflut»

Wie soll künftig gewählt werden? Parteien zanken sich

Die GLP und SVP wollen das System für die Luzerner Kantonsrsratswahlen ändern. (Bild: cbu)

Die GLP und die SVP möchten die «Listenflut» bei den Luzerner Kantonsratswahlen bekämpfen. Das gefällt nicht allen Parteien. Ein Experte erklärt, wer davon profitieren würde.

Gleich zwei Luzerner Parteien möchten derzeit das Wahlverfahren im Kanton ändern. Im Falle der GLP ist die Sache bereits definitiv: Die Partei hat kürzlich beim Kanton ihre Initiative «Faire Wahlen ohne Listenflut» eingereicht. Am 23. März 2024 begann die entsprechende Sammelfrist. Die GLP hat somit ab diesem Datum ein Jahr Zeit, die nötigen Unterschriften für ihr Anliegen zusammenzubekommen.

Noch nicht ganz so weit ist die SVP. Aber Dieter Haller, Kantonsrat und Vizepräsident der Kantonalpartei, hofft, dass die SVP-Delegierten am 18. April in Hochdorf seiner Idee einer «Stopp-Listenflut»-Initiative zustimmen werden (zentralplus berichtete).

Jede Stimme soll künftig gleich viel zählen

Die GLP möchte mit ihrer Initiative den «doppelten Wahlproporz» einführen, damit jede Stimme gleich viel zählt. Dieses Wahlverfahren wird auch als «doppelter Pukelsheim» bezeichnet. Die Kantone Zug und Schwyz beispielsweise wählen ihr kantonales Parlament mit dieser Wahlmethode. Im aktuellen System seien die Parteien gezwungen, Listenverbindungen mit anderen Parteien einzugehen, um zu verhindern, dass ihre Reststimmen verfallen, schreibt die GLP. Zudem würde «der massive Auswuchs an Listenverbindungen» die Wahlentscheidung der Wähler erschweren.

In ihrem Falle sei der Slogan «Ohne Listenflut» zutreffend, erklärt András Özvegyi, Co-Präsident GLP des Kantons Luzern, auf Anfrage. «Beim doppelten Proporz werden die Sitze in einem ersten Schritt nach dem prozentualen Wähleranteil im ganzen Kanton aufgeteilt. In einem zweiten Schritt werden die Wahlkreise ermittelt, welche die zugeteilten Sitze der Parteien besetzen dürfen. Das macht jede Stimme gleichwertig und Listenverbindungen überflüssig.»

SVP gegen überparteiliche Listenverbindungen

Die von Dieter Haller ausgeheckte Initiative will überparteiliche Listenverbindungen gleich ganz untersagen. Weiterhin erlaubt sollen aber Verbindungen innerhalb der gleichen Partei – also zum Beispiel mit der jeweiligen Jungpartei – sein.

Damit werde die SVP des Kantons Luzern am Proporzwahlsystem festhalten, erklärt Dieter Haller: «Die Verhältniswahlen werden nach den für die Wahl des Nationalrates geltenden Bestimmungen durchgeführt, mit der Ausnahme, dass Listenverbindungen nicht mehr zulässig sind.» Unterlistenverbindungen sollen noch erlaubt sein, aber mit der Beschränkung auf eine Liste.

Wenig Sympathie für den Vorschlag der jeweils anderen Seite

Gegenüber den Vorschlägen der je anderen Seite äussern sich sowohl die GLP als auch die SVP kritisch. András Özvegyi von der GLP sagt, er habe von der Idee der SVP bloss mal aus der Zeitung vernommen. Er findet es schade, dass die SVP bei ihrem Vorschlag nicht auch an die Einführung des doppelten Pukelsheim denke: «Eventuell hat die SVP nicht begriffen, wie genial und fair dieses Verfahren ist und dass es eben auch das Anliegen der SVP berücksichtigt. Es braucht jedenfalls einige Zeit, bis man dies versteht. Aber es gilt in Fachkreisen als anerkannt und wird ja bereits in acht Kantonen angewendet.»

Auf der anderen Seite meint Dieter Haller von der SVP: «Die GLP möchte aus Eigeninteresse das gesamte Wahlsystem ändern, indem sie den doppelten Pukelsheim fordert, in der Hoffnung, dadurch Zusatzmandate zu gewinnen.» Mit dem doppelten Pukelsheim werde aber die Basisdemokratie der Wahlkreise ausgehebelt, da zuerst in einer Oberzuteilung die Stimmen auf der gesamten Kantonsebene betrachtet würden. «Politik aus reinen Eigeninteressen, wie sie die GLP betreibt, erachten wir als unseriös, zumal versucht wird, die Demokratie der Wahlkreise auszuhebeln.»

Die Mitte gegen ein gänzliches Verbot von Unterlisten

Was hält man von diesen Ideen bei den anderen Luzerner Parteien? Karin Stadelmann, Präsidentin der Luzerner Mitte, meint: «Es ist sicherlich so, dass die vielen Listen eine Herausforderung für das Wahlvolk darstellen. Dieses hat Mühe, die Übersicht zu behalten. Das Risiko ist gross, dass es deswegen nicht an die Urnen geht.» Doch bei aller Kritik dürfe man nicht vergessen, dass sich viele Persönlichkeiten auf einer Neben- oder Unterliste für ihre Partei und für spezifische Interessen engagieren würden. «Der Mitte Luzern ist es wichtig, dass zukünftig weiterhin der Wählerwille aus allen Wahlkreisen auch in die Sitzverteilung einfliesst.» Mit dem aktuellen System in Luzern sei dies gewährleistet. «Die Mitte zeigt sich aber bereit, über eine Begrenzung von Unterlisten zu diskutieren, aber Unterlisten sollten nicht gänzlich verboten werden.»

Jacqueline Theiler, Präsidentin der Luzerner FDP, ist der Ansicht, dass Listenverbindungen ihre Vor- und Nachteile hätten. «Eine Vielzahl Kandidierende ist ein Zeichen für gelebte Demokratie. Listenverbindungen können aber auch zu Intransparenz führen.»

Grüne gehen von einer gewissen Selbstregulierung aus

SP-Sekretär Sebastian Dissler weist darauf hin, dass die beiden Initiativen die kantonale Ebene betreffen. «Eine ‹Listenflut› ist in erster Linie bei den eidgenössischen Wahlen ein Thema, welche von den Initiativen gar nicht betroffen ist.»

Raoul Niederberger von den Grünen äussert sich konkret zum Vorschlag der SVP: «Grundsätzlich sehen die Grünen Luzern kein Problem in Listen- und Unterlistenverbindungen und unterstützen ein Verbot auch nicht.» Listen- und Unterlistenverbindungen würden es auch kleineren Parteien und insbesondere Jungparteien ermöglichen, Sitze in Parlamenten zu gewinnen und somit zu vielfältigeren Parlamenten beizutragen. «Es mag sein, dass anlässlich der letzten Kantonsratswahlen dieses System stark ausgereizt wurde und es teils absurde Züge annahm.»

Die Grünen Luzern gingen jedoch davon aus, dass sich diesbezüglich eine gewisse Selbstregulierung einstellen werde. «Wir sind denn auch etwas überrascht, dass eine solche Initiative ausgerechnet aus den Reihen der SVP stammt, welche sich sonst immer gegen mehr staatliche Regulierungen einsetzt und auf die Selbstregulierung abstellt.»

Parlament wird zu Spiegelbild der Wählerschaft

Was aber lässt sich zu diesen beiden Initiativen aus wissenschaftlicher Sicht sagen? Der Zürcher Wahlrechtsexperte Andrea Töndury ordnet das Ganze auf Anfrage ein. Zum Thema «Listenflut» sagt er: «Die Einführung des doppelten Pukelsheim macht klassische Listenverbindungen – wie bei Hagenbach-Bischoff etwa bei Nationalratswahlen – überflüssig. Sie bringen schlicht nichts, weil auch kleinere Parteien jenen Anteil an Mandaten erhalten, der auch ihrem Wähleranteil entspricht.»

Zur Erinnerung: «Hagenbach-Bischoff» ist ebenfalls ein Wahlsystem für Proporzwahlen. Es kommt bei den Nationalratswahlen zum Zuge oder im Falle des Kantons Luzern derzeit bei der Wahl des Kantonsparlamentes.

Andrea Töndury ergänzt, dass die GLP-Initiative sich zugunsten der Erfolgsgleichheit auswirke, indem die politische Zusammensetzung des Parlamentes und der Wählerschaft zur Übereinstimmung gebracht würde. Das Parlament werde so zu einem verkleinerten Spiegelbild der Wählerschaft.

«SVP-Initiative begünstigt die grossen Parteien»

«Listenverbindungen sind bei Hagenbach-Bischoff deshalb attraktiv, weil das System nicht nach kaufmännischer Rundung funktioniert, sondern zugunsten wählerstarker Listen verfälscht ist: Solche Listen erhalten zulasten kleiner Parteien mehr Mandate. Hagenbach-Bischoff genügt dem Anspruch auf politische Chancengleichheit daher nicht. Je grösser die Liste, desto besser für die verbundenen Parteien.» Deshalb komme es auch zu der erwähnten «Listenflut».

«Die SVP-Initiative begünstigt die grossen Parteien, weil kleine Parteien dann nicht mehr durch eine Listenverbindung gross werden können.» Das Verbot von Listenverbindungen benachteilige also beim System Hagenbach-Bischoff die Chancen kleiner Parteien zusätzlich, erklärt Andrea Töndury.

Der Zürcher Wahlrechtsspezialist fügt noch etwas Grundsätzliches an: «Listenverbindungen stehen allgemein in einem Spannungsverhältnis zu Wahl- und Abstimmungsfreiheit (Art. 34 der Bundesverfassung), weil die Wähler allenfalls eine abgelehnte Partei mitwählen müssen.» So würden zum Beispiel FDP-Wähler bei einer Listenverbindung mit der SVP auch diese Partei mitwählen.

So macht es der Kanton Zug

Seit dem Jahre 2014 wählt der Kanton Zug sein Parlament nach dem doppeltproportionalen Sitzzuteilungsverfahren, dem sogenannten doppelten Pukelsheim. Auf Anfrage verweist die Zuger Staatskanzlei auf das kantonale Wahlgesetz. Dieses besagt, dass Listenverbindungen – und folglich auch Unterlistenverbindungen – bei den Kantonsratswahlen nicht möglich sind. «Listenverbindungen sind ausgeschlossen», heisst es in § 52c Abs. 4 des Zuger Wahlgesetzes. 

Rahel Camenzind vom Luzerner Justiz- und Sicherheitsdepartement erklärt zur Frage der Listenverbindungen: «Listen- und Unterlistenverbindungen sind beim doppelten Pukelsheim nicht vorgesehen.» Luzian Franzini, Co-Präsident der Zuger Alternative – die Grünen, erinnert daran, dass der Kanton Zug aufgrund eines Urteils des Bundesgerichtes zur Einführung dieses Wahlsystems gezwungen wurde. «Im Kanton Luzern sind die Wahlkreise genügend gross, so dass das Bundesgericht nichts zu beanstanden hat. Aber auch dort würde der doppelte Pukelsheim besser garantieren, dass keine Stimmen verloren gehen. Im Moment ist es beispielsweise so, dass Stimmen für die Grünen im Wahlkreis Entlebuch verloren sind und nicht für einen Sitz in einem Wahlkreis in einer anderen Gemeinde angerechnet werden.»

Verwendete Quellen
  • Initiativtext Grünliberale Luzern
  • Schriftlicher Austausch mit:
  • András Özvegyi, GLP Luzern
  • Dieter Haller, SVP Luzern
  • Karin Stadelmann, Mitte Luzern
  • Jacqueline Theiler, FDP Luzern
  • Raoul Niederberger, Grüne Luzern
  • Sebastian Dissler, SP Luzern
  • Luzian Franzini, Alternative – die Grünen, Zug
  • Andrea Töndury, Wahlrechtsspezialist, Zürich
  • Justiz- und Sicherheitsdepartement Luzern
  • Staatskanzlei Kanton Zug
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