Wegen fehlerhafter Verurteilung einer Journalistin

Fall Gundula kommt den Kanton Luzern teuer zu stehen

Jana Avanzini ist gemäss Bundesgericht keine Hausbesetzerin – und muss deshalb im Fall Gundula auch keine Kosten tragen. (Bild: cbu/zvg)

Jana Avanzini ist keine Hausfriedensbrecherin. Das hat das Bundesgericht entschieden, nachdem die Journalistin 2016 eine Villa an der Obergrundstrasse in Luzern betreten hatte, um über die dortige Besetzung zu berichten. Jetzt hat das Kantonsgericht im Fall Gundula entschieden, wer die Gerichts- und die Anwaltskosten zahlen muss. Dabei zeigt sich: Für den Kanton Luzern wird es noch teurer als für den dänischen Multimillionär Jørgen Bodum.

In der Schweiz Recht zu bekommen ist teuer. Oder es kann zumindest teuer werden, wenn die Gegenpartei vor Gericht über unbegrenzte finanzielle Mittel verfügt. Diese bittere Erfahrung musste die damalige zentralplus-Journalistin Jana Avanzini im Fall Gundula machen.

2016 hatte sie ein besetztes Haus an der Obergrundstrasse betreten. Der miserable Zustand der historischen Villen wurde damals wie heute heftig diskutiert (zentralplus berichtete). Es gab darüber diametral widersprüchliche Angaben. Deshalb machte sich Jana Avanzini vor Ort selbst ein Bild und schrieb eine Reportage (zentralplus berichtete).

Keine Grundlage für eine Verurteilung – gemerkt hat's in Luzern keiner

Damit beging sie keinen Hausfriedensbruch, wie das Bundesgericht entschied. Die Journalistin habe das fremde Grundstück mit der Absicht betreten, über die Vorgänge im Haus einen Artikel zu schreiben. Das bedeutet: Sie hat sich nicht an der Straftat beteiligt, auf die sich die Strafanzeige der Hausbesitzerin – eine Firma von Jørgen Bodum – bezog. Und damit gibt es keine Grundlage mehr für eine VerurteilungAvanzinis im Fall Gundula.

Damit hätte die Sache vom Tisch sein können. Doch der in Luzern lebende Kaffeekannenproduzent trat nach. Er forderte vor Kantonsgericht, dass die junge Frau sämtliche Kosten für den Rechtsstreit übernehmen soll (zentralplus berichtete). Und zwar, weil sie mit ihrem Verhalten den Anlass für die Eröffnung des Strafverfahrens gegeben habe.

Jana Avanzini hat nichts falsch gemacht – die Behörden haben versagt

Damit scheitert er nun grandios. Das Kantonsgericht hält klipp und klar fest, dass sämtliche Handlungen der Strafbehörden – nach heutiger Beurteilung – von «Anbeginn obsolet» gewesen seien. Die Auferlegung der Kosten an eine Beschuldigte falle ausser Betracht, wenn die «Behörden aus Übereifer, aufgrund unrichtiger Beurteilung der Rechtslage oder vorschnell eine Strafuntersuchung eingeleitet haben». Was vorliegend der Fall war.

«Letztlich ärgert mich das fast am meisten: Dass so viel Steuergeld eingesetzt werden musste, weil Jørgen Bodum an mir ein Exempel statuieren wollte.»

Journalistin Jana Avanzini

Eher hätte umgekehrt ein Schuh draus werden können. Bei Antragsdelikten – also in Fällen, in denen die Behörden nicht von sich aus aktiv werden – können die Verfahrenskosten an den Privatkläger überwälzt werden. Dieser soll «grundsätzlich das volle Kostenrisiko tragen», wie es im Urteil heisst.

Allerdings lässt das Kantonsgericht im vorliegenden Entscheid durchaus Selbstkritik im Fall Gundula durchblicken. Immerhin hatten Staatsanwaltschaft, Bezirksgericht und Kantonsgericht die Journalistin zunächst für schuldig befunden. Die Kosten des Untersuchungs- und des erstinstanzlichen Verfahrens übernimmt deshalb der Staat.

15'000 Franken Steuergeld

Die Bodum-Firma muss jedoch die Kosten des Berufungsverfahrens zahlen. Und einen Drittel des nun vorliegenden Entscheids über die Kosten. Hinzu kommen die Anwaltskosten von Jana Avanzini, für die Bodum nach dem gleichen Schlüssel ebenfalls aufkommen muss.

Konkret musste der Staat über alle Instanzen gerechnet im Fall Gundula für rund 15'000 Franken Anwalts- und Gerichtskosten aufkommen. «Letztlich ärgert mich das fast am meisten: Dass so viel Steuergeld eingesetzt werden musste, weil Jørgen Bodum an mir ein Exempel statuieren wollte», sagt dazu Jana Avanzini gegenüber zentralplus.

Immenser Aufwand betrieben, um eine Verurteilung zu erreichen

Mit dem vorliegenden Urteil ist nun auch abschätzbar, dass die Privatklage Jørgen Bodum am Ende des Tages wohl zwischen 40’000 und 50'000 Franken kosten dürfte. Sein Anwalt bestreitet dies. Neben den Gerichts- und Parteientschädigungen schenken aber vor allem seine eigenen Anwaltskosten mit umfassenden Anträgen als Privatkläger ein.

Ob er auch die Kostenaufteilung an das Bundesgericht weiterziehen wird, konnte dessen Rechtsvertreter zum heutigen Zeitpunkt nicht sagen. «Es ist festzustellen, dass das Kantonsgericht nun immerhin und zu Recht einen Grossteil der Verfahrenskosten sowie der Anwaltskosten der Beschuldigten dem Kanton Luzern anlastet», sagt Reto Marbacher auf Anfrage.

Dank Fall Gundula: Polster für den nächsten juristischen Angriff

Naturgemäss anders zeigt sich die Situation bei zentralplus. Zur Erinnerung: Die Prozesskosten von Jana Avanzini wurden durch Spenden, Crowdfundings und durch zentralplus beglichen. Von den Auslagen, die sich zwischenzeitlich auf 39'894 Franken beliefen, kann nun ein Anteil rückerstattet werden. So etwa der Beitrag von Reporter ohne Grenzen über 5'000 Franken, wie dies die Spenden-Vereinbarung für den Erfolgsfall vorsieht.

«Das zeigt uns, dass es sich durchaus lohnt, Druckversuchen bei unliebsamen Artikeln standzuhalten.» 

zentralplus CEO Christian Hug

«Dass wir die Auslagen in vierstelliger Höhe zurückerhalten, die wir als frühere Arbeitgeberin von Jana übernommen haben, freut uns sehr», sagt dazu CEO Christian Hug. Mindestens ebenso wichtig sei für zentralplus jedoch gewesen, hier wie auch in früheren Gerichtsprozessen gegen das Unternehmen oder dessen Mitarbeiterinnen Recht erhalten zu haben. «Das zeigt uns, dass es sich durchaus lohnt, Druckversuchen bei unliebsamen Artikeln standzuhalten». 

Diesem Zweck sollen auch die Mittel dienen, die aus dem Fall Bodum übrig bleiben. Da Jana Avanzini für ihre eigenen Aufwände vom Gericht keine Entschädigung zugesprochen erhielt, wird ihr aus der Rückzahlung ein Anteil der persönlichen Spesen übernommen.

«Die schätzungsweise 3'000 bis 5'000 Franken, die dann noch übrig bleiben, werden wir, wie beim Crowdfunding kommuniziert, für künftige juristische Auseinandersetzungen zurücklegen.» Denn eines ist sicher: Das Klagerisiko wird für Medien nicht kleiner. Und wie schnell Gerichtsfälle ins Geld gehen können, zeigt explizit die Causa Gundula.

Verwendete Quellen
  • Urteil des Kantonsgerichts 4M 21 38
  • Urteil des Bundesgerichts 6B_1214/2020
20 Kommentare
Apple Store IconGoogle Play Store Icon