«Damals»
Blog
Von der Familientragödie zum Denkmal

Wie Meggen zu seinem englischen Friedhof kam

Der englische Friedhof samt Kapelle befindet sich an der Kreuzbuchstrasse. (Bild: cbu)

Hinter einer Reihe Bäume versteckt, steht in Meggen ein alter Friedhof. Allein die Grabkreuze zeigen, dass es kein normaler Gottesacker ist. Die Geschichte dahinter ist reich an Anekdoten – und Tragödien.

Im gegenwärtigen Herbstwetter hat der englische Friedhof in Meggen eine ganz eigene Atmosphäre. Während er für die einen eine melancholische Ruhe ausstrahlt, dürfte er andere an eine Kulisse aus einem Gruselfilm der 1960er Jahre erinnern. Knorrige Bäume, die das Gelände umschliessen, verwitterte Grabsteine, Obelisken und keltische Kreuze, die krumm aus dem Boden ragen, und über allem thront eine gotische Kapelle auf einem Hügel.

In seiner Art bildet der englische Friedhof in Meggen für viele Unwissende ein Kuriosum, das auf den ersten Blick fehl am Platz zu sein scheint. Um jedoch den Grund hinter dem Friedhof und seiner Kapelle zu verstehen, müssen wir die Zeit fast 150 Jahre zurückdrehen.

Die Engländer kommen nach Luzern

Luzern und die Region um den Vierwaldstättersee sind seit Jahrhunderten beliebte Touristendestinationen. Während es heute vor allem Gäste aus Amerika oder dem asiatischen und dem arabischen Raum sind, erfreute sich die pittoreske Stadt im 19. Jahrhundert vor allem bei Besucherinnen aus England grosser Beliebtheit. Die Landschaftspanoramen, die kaum industrialisierte Stadt Luzern und nicht zuletzt auch die aufkeimende Schifffahrt auf dem Vierwaldstättersee beflügelten so manche Fantasie und Sehnsucht.

Davon zeugen unter anderem Landschaftsgemälde der Region, wie etwa jene, die der bekannte Maler William Turner bei seinen Besuchen in der Zentralschweiz angefertigt hat – und von denen einige in der Tate Gallery in London ausgestellt sind. Auch Queen Victoria war 1886 in Luzern zu Gast und kreativ tätig. Von Meggen aus malte sie ein Aquarell des Pilatus (zentralplus berichtete).

Gemälde wie dieses von Joseph Zelger waren bei englischen Gästen sehr begehrt. (Bild: zvg / Hannes Stöckli)

Ein florierendes Geschäft waren auch heimische Gemälde und Postkarten. Der Stanser Maler Joseph Zelger beispielsweise verkaufte zahlreiche naturalistische Werke an gut betuchte englische Touristen und gar an Queen Victoria selbst. Zelger unterhielt ein Atelier im Hotel Schweizerhof und führte gar eine Malschule für wohlhabende Damen. Eine davon war die junge Alice Florence Brandt, der wir später auf tragische Weise wiederbegegnen werden.

Adolphus Brandt: weg vom Londoner Smog

Wenden wir uns zuerst Alice Florence Brandts Vater zu. Adolphus Brandt entstammte einer vermögenden Grossfamilie, deren Spuren nach Hamburg zurückführen. Von hier aus zog es Adolphus’ Vater und seinen Onkel als Kaufleute und Händler bis nach Russland und London – wo Adolphus Brandt am 12. August 1814 in Hornsey bei London das Licht der Welt erblickte.

Wie der Architekt und Denkmalschützer Renzo Testorelli in seiner Abschlussarbeit «Der englische Friedhof und die Brandt-Kapelle» schreibt, war Adolphus Brandt ein kränklicher Mann, der viel Pflege bedurfte. 1853 heiratete er Elizabeth Alice Makepeace, und nach der Geburt der Tochter Alice verlagerte die Familie ihren Lebensmittelpunkt nach Luzern. Wohl auch, um dem Londoner Smog zu entgehen und die frische Luft der Zentralschweiz zu geniessen.

Die Familie kaufte die Villa Bellerive des englischen Arztes Ralph Hopper – noch bevor das Anwesen dem prunkvollen Neubau wich, der es bis heute geblieben ist (zentralplus berichtete). Hier wurde Adolphus Brandt aktiv und setzte sich unter anderem bei der Luzerner Regierung für die Anliegen der Anglikaner ein – einer christlichen Gemeinschaft der Kirche von England –, die sich in Luzern einen Treffpunkt wünschten. Einige Jahre später, am 19. September 1873, beginnt schliesslich die Geschichte des englischen Friedhofs – wenig überraschend – mit einem Todesfall.

Der englische Friedhof entsteht

Und zwar starb nicht etwa der hoch angesehene Adolphus Brandt, sondern seine einzige und erst 19-jährige Tochter Alice. Woran die junge Frau verstarb, ist nicht bekannt. Allerdings wird auch ihr eine ähnlich fragile Gesundheit nachgesagt wie die, unter der ihr Vater litt. Adolphus Brandt plante, seine verstorbene Tochter und später auch den Rest der Familie – inklusive sich selbst – in einer Familiengruft bestatten zu lassen.

Als Standort suchte sich der Engländer die Megger Hügelkuppe bei der heutigen Kreuzbuchstrasse aus – einen Ort, der einen herrlichen Ausblick auf das umliegende Panorama bot. Insgesamt erwarb Brandt 1,5 Jucharten Land – was etwa 50 Aren entspricht – vom Landwirt Josef Sigrist. Am 24. Oktober 1873, so schreibt es die zeitgenössische Presse, bewilligte der Luzerner Regierungsrat den Bau der Kapelle samt anglikanischem Friedhof.

Der englische Friedhof um das Jahr 1880. (Bild: ZHB Luzern Sondersammlung, Sign. LKa.59.1.36.p.)

Brandt plante eine Totenkapelle im Stil der englischen Neugotik. Die Pläne für das Gebäude stammten von einem Londoner Architekten, gebaut haben es die Architekten Segesser & Balthasar, die unter anderem auch das Hotel Europe und die Schlosskapelle beim Schloss Meggenhorn verantworteten. Zwischenzeitlich vermachte Brandt das Land an die Colonial and Continental Church Society London – wohl, um der Gemeinde Meggen ein Schnippchen zu schlagen und keine Steuern für das Land bezahlen zu müssen.

Anerkennung über die Schweizer Grenze hinaus

Mit der Schenkung an die Society wurde der Friedhof zum Privatgrundstück. Nach rund acht Monaten waren Kapelle, Friedhofsmauer und Park fertig gebaut. Die Anlage schaffte es gar bis in die britische Presse. Der «Guardian» bezeichnete den Ort am 23. Dezember 1874 als «quite a gem» – ein ziemliches Schmuckstück.

Mit der Fertigstellung wurde auch die verstorbene Tochter in die Familiengruft unter der Kapelle übersiedelt und zur letzten Ruhe gebettet. Später werden im Friedhofspark weitere in der Innerschweiz lebende Briten anglikanischen Glaubens nach entsprechendem Ritus bestattet. Adolphus Brandt selbst starb am 6. Juni 1884 und wurde an der Seite seiner Tochter in der Kapellengruft bestattet. 15 Jahre später folgte die Ehefrau Elizabeth Alice Brandt.

Die Brandt-Kapelle beeindruckt bis heute vor allem mit den hohen Spitzbogenfenstern und den darin enthaltenen Glasmalereien, angefertigt von angesehenen Künstlern aus England. Ansonsten präsentiert sich der Innenraum relativ karg und schmucklos – sieht man von den goldenen Malereien an der Holzdecke des Chores ab. Adolphus Brandt scheute für den Bau keine Kosten. Für die verstorbene Tochter war nur das Beste gut genug.

Es wird geschändet und saniert

Mit den Jahren verlor der englische Friedhof zunehmend an Bedeutung. Die letzte Bestattung nach anglikanischem Brauch fand in den 1950er Jahren statt. Dem ohnehin einsetzenden Zerfall der Anlage wurde auf widerwärtige Weise noch nachgeholfen. Ewige Totenruhe war den Brandts nämlich nicht vergönnt. Ende der 1960er Jahre stiegen Leichenschänder in die Gruft ein und brachen die Särge auf. Ein Zeitungsartikel der «Luzerner Neuste Nachrichten» vom 24. Oktober 1969 deutet auf diese Untat hin.

1972 übernahm die Gemeinde Meggen den Friedhof für einen symbolischen Betrag und verpflichtete sich, die Gräber noch weitere 50 Jahre zu unterhalten. Mit der Renovation der Brandt-Kapelle 1976 wurde auch die Gruft zugeschüttet, um sie vor weiteren Vandalenakten zu schützen. Selbiges gilt für die zweite Gruft auf dem Gelände. Unweit der Kapelle reservierte 1877 das wohlhabende Ehepaar Cranston aus Belfast eine Parzelle. Gemäss Testorelli ist der Sarg der Frau jedoch leer – weil sie in Athen verstarb und auch da begraben wurde.

Letzte Ruhestätte – bis heute

Seit 1980 stehen sowohl der Friedhof als auch die Kapelle unter Denkmalschutz. Nebst den Sanierungen der Kapelle und der Friedhofsmauer wurde in vergangenen Jahren auch die Parkanlage mit ihren Bäumen und Sträuchern aufgefrischt und gepflegt. Das zuständige Büro für Gartendenkmalpflege legte dabei grossen Wert darauf, den «Intentionen ihres Schöpfers Adolphus Brandt» zu folgen, wie es auf der Website heisst.

Der Plan scheint aufzugehen. Selbst wenn heute viele Gräber verwittert sind, sind sowohl die Kapelle als auch der Friedhof nach wie vor in Gebrauch. Wer einen Spaziergang durch die gepflegte Parkanlage macht, stellt fest, dass jüngste Grabinschriften erst ein knappes Jahr alt sind.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit Hannes Stöckli, Archivar Meggen
  • Augenschein vor Ort in Meggen
  • Abschlussarbeit MAS Denkmalpflege und Umnutzung von Renzo Testorelli, 2016
  • Website Büro für Gartendenkmalpflege
  • Abschnitt aus «Der Geschichtsfreund» von Anton Müller, 1950
«Damals»
Blog
Ob Hintergründe zu alten Gebäuden, Geschichten zu Plätzen, stadtbekannte Personen, bedeutende Ereignisse oder der Wandel von Stadtteilen – im «Damals»-Blog werden historische Veränderungen und Gegebenheiten thematisiert.
Deine Meinung ist gefragt
Deine E-Mailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert. Bitte beachte unsere Netiquette.
Zeichenanzahl: 0 / 1500.


0 Kommentare
    Apple Store IconGoogle Play Store Icon