Jahrhundertbauwerk hat Auswirkungen auf Luzern

Nach Bellinzona pendeln dank der Neat?

Luzern und Bellinzona kommen sich näher. (Bild: zVg)

Mit der Eröffnung des Gotthard-Basistunnels am 1. Juni rückt Bellinzona näher an Luzern. Beide Städte wollen daraus wirtschaftlich Kapital schlagen. Doch wie berechtigt ist das? «Schwierig zu sagen», gibt Luzern zu. Und hofft dennoch – unter anderem auf Unerwartetes.

Zeit ist ein knappes Gut. Alles, was schneller wird, interessiert deshalb. Dazu gehört auch das Jahrhundertprojekt am Gotthard. Ab dem 11. Dezember geht der Gotthard-Basistunnel fahrplanmässig in Betrieb. Dadurch sinkt die Reisezeit mit der Bahn von Nord nach Süd. Von Luzern nach Bellinzona etwa dauert es dann noch eineinhalb Stunden anstatt wie heute zwei bis zweieinhalb.

Sowohl Luzern mit 80’000 Einwohnern als auch Bellinzona mit bald 45’000 Einwohnern sind die ersten grösseren Städte dies- und jenseits des Gotthards. Beide Kantonshauptorte versprechen sich vom neuen Bahntunnel wirtschaftliche Impulse. Man wolle von der Nähe zum Landesteil auf der anderen Seite des Gotthardmassivs profitieren, teilen die beiden Städte diesen Montag mit.

«Je näher sich zwei interessante Regionen sind und sich für Tagesausflüge anbieten, desto besser für die Tourismusregionen.»

Thomas Scherer, bei der Stadt Luzern zuständig für Aussenbeziehungen, sagt: «Dazu werden neben dem politischen Engagement der Stadtbehörden Institutionen und Personen aus Wirtschaft, Kultur und Wissenschaft aufgefordert sein, Initiativen zu entwickeln.» Doch was könnte das genau heissen? Wir haben nachgefragt.

zentralplus: Thomas Scherer, mit der Bahn etwas schneller durch den Gotthard zu fahren, ist toll. Aber kann sich Luzern deswegen wirklich wirtschaftliche Vorteile erhoffen?

Thomas Scherer: Das ist eine schwierige Frage. Es wird sich erst langfristig und in Zukunft zeigen, was es wirtschaftlich bringt. Tatsache ist: Das Tessin rückt näher und das touristische Potenzial auf beiden Seiten des Gotthards ist gross. Und je näher sich zwei interessante Regionen sind und sich für Tagesausflüge anbieten, desto besser auch für die Tourismusregionen. Wahrscheinlich sind aber die wirtschaftlichen Vorteile, die sich Bellinzona direkt erhoffen darf, höher als jene von Luzern, weil sich Bellinzona näher «am Loch» befindet.

Thomas Scherer, Beauftragter für Aussenbeziehungen und Projekte bei der Stadt Luzern.

Thomas Scherer, Beauftragter für Aussenbeziehungen und Projekte bei der Stadt Luzern.

(Bild: zVg)

zentralplus: Kommen mehr Touristen aus dem Tessin oder Italien nach Luzern?

Scherer: Das wissen wir heute noch nicht. Denkbar wäre es schon. Jemand, der zum Beispiel in Bellinzona logiert, könnte sich überlegen, ans Lucerne Festival oder ans Blue Balls Festival in Luzern zu gehen.

zentralplus: Wie lockt man dann Gäste von Bellinzona hierher? Gibt es da schon Kampagnen?

Scherer: Da bestehen bestimmt mehrere Möglichkeiten, aber so weit fortgeschritten sind die Ideen noch nicht.

«Wir sind kein eigentliches Projektteam, sondern gehen sehr punktuell und pragmatisch vor.»

zentralplus: Welche politischen, wirtschaftlichen, kulturellen oder wissenschaftlichen Initiativen sind denn zu erwarten?  

Scherer: Seitens der Politik geht es vorerst darum, den Wagen ins Rollen zu bringen. Die beiden Städte wollen darauf aufmerksam machen, was alles mit dem neuen Ausbau der Neat möglich ist. Unsere Aufgabe ist es, die Chancen genauer anzuschauen. Nur mit schön reden bei der Eröffnung, wie bedeutsam dieser Bau für die Schweiz ist, ist es noch nicht getan.

Seitens der Wirtschaft könnten sich neben den touristischen Angeboten auch Möglichkeiten für den Arbeitsmarkt zeigen. Vor 20 Jahren pendelte etwa noch fast niemand von Luzern nach Bern oder umgekehrt. Heute ist so etwas gang und gäbe. Eventuell könnte Bellinzona–Luzern je nach wirtschaftlicher Entwicklung für Pendlerinnen und Pendler interessant werden.

Kulturell sind wie gesagt sicher die Festivals in Betracht zu ziehen und wissenschaftlich sind Austausch- oder Partnerangebote der Universität denkbar. Das müssen allerdings die Institutionen selber an die Hand nehmen.

zentralplus: Wer nimmt das in Luzern an die Hand, was kostet es und wer zahlt’s?

Scherer: Bis jetzt kümmerten wir uns hier im Umfeld des Stadtpräsidiums um diese Fragen. Wir sind kein eigentliches Projektteam, sondern gehen sehr punktuell und pragmatisch vor. Kosten sind ausser ein paar Fahrspesen noch keine entstanden. Für einzelne Anlässe fällt ein kleiner Aufwand für Werbematerial an. Da sprechen wir aber nicht von grossen Beträgen. Wir können sie aus dem laufenden Budget entnehmen.

Was konkret weiter passiert, wird sich zeigen. Die Städte Bellinzona und Luzern möchten die Wege des Zusammenarbeitens regelmässig prüfen und Ideen entwickeln – wie man so schön sagt: ergebnisoffen. Klar ist: Wir wollen nichts durchdrücken, sondern fördern. Und vielleicht kann das eine oder andere Projekt daraus entstehen.

Der Wochenmarkt in Bellinzona.

Der Wochenmarkt in Bellinzona.

(Bild: zVg)

zentralplus: Bellinzona ist schön, aber wer es einmal gesehen hat, geht wohl nicht grad wieder hin …

Scherer: Nein, ich finde, das ist kein Gegenargument, um trotzdem gemeinsam etwas zu machen. Ich selber war auch nur einmal in meinem Leben in Paris, das sagt auch nichts über Paris aus. Warum man mehr als einmal nach Bellinzona muss, könnte der dortige Tourismusdirektor besser erklären.

Tessiner Wochenmarkt in Luzern

Um auf die Chancen hinzuweisen, die mit der neuen Bahninfrastruktur verbunden sind, finden zwischen Mai 2016 und April 2017 in Luzern und Bellinzona diverse Anlässe statt.

  • Dienstag, 31. Mai 2016: Der Markt von Bellinzona zu Gast am Luzerner Wochenmarkt
  • Freitag, 26. August 2016: Go and Run in Bellinzona mit Luzerner Beteiligung
  • Freitag, 14. Oktober 2016: Einweihung des neuen Bahnhofs in Bellinzona
  • Samstag, 15. Oktober 2016: Der Wochenmarkt von Luzern zu Gast am Markt in Bellinzona
  • Samstag, 29. April 2017: Region Bellinzona/Alto Ticino ist Gastregion am Luzerner Stadtlauf

zentralplus: Das wirtschaftlich darbende Bellinzona erhofft sich durch den Tunnel einen «Hebel» zur Wiederbelebung der Stadt, er soll «gar einen Wendepunkt darstellen». Sind das nicht viel zu hohe Erwartungen?

Scherer: Ich denke, Bellinzona könnte sich in Zukunft dezidierter nach der Deutschschweiz ausrichten. Unterschiedliche wirtschaftliche Entwicklungen sind im Tessin nördlich und südlich des Ceneri nach wie vor Realität. Die kurze Fahrzeit durch den Gotthard wird für Bellinzona den Zugang zum Wirtschaftsraum Deutschschweiz erleichtern.

zentralplus: Aktionen wie die Wochenmärkte oder Stadtläufe auszutauschen sind sicher nett. Aber langfristig bringt das kaum etwas, oder?

Scherer: Es geht nicht darum, dass der Wochenmarkt oder der Stadtlauf sofort etwas bringt. Vielmehr sollen Leute erreicht werden mit der Botschaft: «Schaut, die Neat bringt Menschen nördlich und südlich der Alpen einander näher.»

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