Öffentlichkeitsgesetz: Diskussion nicht vom Tisch

«So abseits stehen wie Luzern kann in Zukunft niemand mehr»

Wird die Luzerner Regierung in Zukunft transparenter? (Bild: Robert Müller)

Im Luzerner Kantonsrat ist vor über einem Monat das Öffentlichkeitsprinzip gescheitert, weil die Politiker schon die Sparschraube im Kopf hatten. Doch die Aussichten der Bürger auf mehr Information und Transparenz in der Verwaltung bleiben intakt. Die Zeit arbeitet gegen die Geheimniskrämer.

Das Öffentlichkeitsgesetz flutschte Anfang November einfach bachab, und die Ablehnung warf keine hohen Wellen: Das Öffentlichkeitsprinzip stand bereits unter dem Einfluss der Spardebatten im Dezember. «Das hat sicher mitgespielt», sagt Kantonsrat Ludwig Peyer, Fraktionschef der CVP und Geschäftsführer des Verbandes der Luzerner Gemeinden (VLG), «die Spardiskussionen haben die kritische Haltung gegenüber dem Öffentlichkeitsprinzip verstärkt.»

«Die Diskussion kommt auch in Luzern wieder auf den Tisch.»

Martin Stoll, Geschäftsführer «Öffentlichkeitsgesetz.ch»

Damit bleibt den Luzernerinnen und Luzernern der Zugang zu amtlichen Dokumenten weiterhin verwehrt, mehr Transparenz und Durchblick ist für sie nicht möglich. Doch das wird nicht lange so bleiben. Davon ist Martin Stoll, Journalist und Geschäftsführer des Vereins Öffentlichkeitsgesetz.ch überzeugt. «Das Öffentlichkeitsprinzip ist schon beim Bund und in 19 Kantonen Realität. Die Diskussion kommt auch in Luzern wieder auf den Tisch. Der Kanton kann sie nicht aufhalten.» Doch davon später.

Linke ohne Chance

Fakt ist: Der Luzerner Kantonsrat will Dokumente aus der Verwaltung dort belassen, wo sie bisher lagen: Hinter gezogenen Vorhängen. 87 Kantonsräte der SVP, FDP und der CVP schickten das von der Regierung präsentierte Öffentlichkeitsgesetz bachab. Die SP, die Grünen und die Grünliberalen, die für die Vorlage waren, blieben chancenlos.  «Ausgerechnet die Bürgerlichen und vor allem die Rechtsbürgerlichen, die den Staat der Geldverschwendung bezichtigen und überhaupt die staatliche Tätigkeit beargwöhnen, sagen nein zu mehr Transparenz», sagt der Grüne Kantonsrat Hans Stutz, «doch das ist kein Widerspruch: der Wunsch nach Aufrechterhaltung ihrer Dominanz ist eben stärker.»

Im Kantonsrat meinten SVP, FDP und CVP, das Öffentlichkeitsprinzip führe zu hohen unberechenbaren Kosten und es blähe die Bürokratie auf. Ausserdem, so sagte etwa die Vitznauer FDP-Kantonsrätin Irene Keller, wolle man keine unnötigen Gesetze. Die Grünen, die den Vorstoss für das Öffentlichkeitsprinzip vor über vier Jahren eingereicht hatten, machen andere Gründe für das Scheitern der Vorlage aus.

«Die Bürgerlichen wollen ihre Informationsprivilegien nicht verlieren.»

Hans Stutz, Kantonsrat (Grüne)

Kantonsrat Hans Stutz: «Die Bürgerlichen wollen ihre Informationsprivilegien nicht verlieren. Dank ihren Ämtern im Kantonsrat oder in den Gemeinden haben sie einen privilegierteren und schnelleren Zugang zu amtlichen Dokumenten als gewöhnliche Bürger. Diesen Vorteil wollen sie nicht aus der Hand geben.» Das bestreitet CVP-Fraktionschef Ludwig Peyer: «Das war bei uns nie ein Argument. ‹Stimmen Aufwand und Ertrag?›, das war die Frage.»

Zug als Vorbild

Es bleibt alles wie gehabt. Wenn Bürgerinnen und Bürger aus privatem oder öffentlichem Interesse Einsicht in Verwaltungsdokumente nehmen wollen, müssen sie das mühsam begründen: Die Beweislast liegt auf ihren Schultern. Besser haben es die Bürger im Nachbarkanton Zug, wo das Öffentlichkeitsprinzip bereits gilt. Dort muss die Verwaltung die Beweise liefern, wenn sie die Einsicht in die grundsätzlich öffentlich zugänglichen Dokumente verweigern will.

«‹Stimmen Aufwand und Ertrag?›, das war die Frage.»

Ludwig Peyer, Kantonsrat (CVP)

Gerade Zug sei ein gutes Beispiel dafür, dass die Argumente der Luzerner Kantonsräte nicht stimmen, sagt Martin Stoll. «Dort gibt es mit rund 35 Gesuchen pro Jahr keine Aufblähung der Bürokratie, und es musste auch keine neue Stelle geschaffen werden, es entstanden keine Mehrkosten. Die Argumente in Luzern sind absurd und nicht mit Fakten belegt.» 

Wo das Öffentlichkeitsprinzip auch im Kanton Luzern Licht ins Dunkel bringen könnte, zeigen ein paar Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit: 

• In der sogenannten Polizeiaffäre erhalten die Journalisten ein paar Blätter Papier mit geschwärzten Textstellen. Dies wegen des Persönlichkeitsschutzes, den es zu respektieren gilt. Was aber sonst noch im umfangreichen Untersuchungsbericht steht, bleibt geheim. 

• Die kantonale IT-Affäre im Finanzdepartement ist für interessierte Bürger nicht nachvollziehbar. Mit dem Verweis auf ein strafrechtliches Verfahren gegen eine bestimmte Person verweigert die Regierung den Zugang zu Informationen. Was wirklich schieflief, wissen die Bürger bis heute nicht, auch ist nicht klar ist, wer politisch die Verantwortung trägt. 

• Die sogenannte Porno-Affäre in der Verwaltung. Das Finanzdepartement untersuchte den angeblichen Porno-Konsum von Verwaltungsangestellten. Den entsprechenden Bericht dazu veröffentlicht es nicht, Politiker und Bürger müssen der behördlichen Darstellung glauben, ohne sie überprüfen zu können. 

•  Der Baldeggersee wird weiterhin mit Jauche verschmutzt, die Steuerzahler zahlen den Schaden. Es entsteht der Eindruck, das Amt für Landwirtschaft und Wald schone die Verursacher, die Bauern. Mit dem Öffentlichkeitsprinzip könnten Bürger interne Richtlinien und erstellte Studien einsehen und das Vorgehen der Behörde überprüfen.

«Bürger haben ein Recht darauf, die Spur ihres Geldes zu kennen.»

Martin Stoll, Geschäftsführer «Öffentlichkeitsgesetz.ch»

Es gehe darum, ein Systemversagen in der Verwaltung offenzulegen, aber auch das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Verwaltung zu stärken, sagt Martin Stoll. «Sie haben ein Recht darauf, die Spur ihres Geldes zu kennen», führt er weiter aus, «es gibt ein erhöhtes öffentliches Interesse, was mit den Steuergeldern passiert.» Das Geheimprinzip sei aber «nicht sakrosankt, auch im Kanton Luzern nicht».

Aarhus-Protokoll ist eine Prüfung wert

Völlig rechtlos bleiben die Luzernerinnen und Luzerner dennoch nicht. Sie können weiterhin auf mühsame Weise versuchen, Einblick in amtliche Dokumente zu bekommen. Martin Stoll erwähnt eine weitere Möglichkeit, die bisher nicht erprobt wurde. Es geht um die sogenannte Aarhus-Konvention, die in Dänemark beschlossen wurde und seit 2001 in Kraft ist. Sie regelt den Zugang zu Informationen im Zusammenhang mit Umweltangelegenheiten.

«Früher oder später wird auch der Kanton Luzern das Öffentlichkeitsprinzip einführen.»

Martin Stoll, Geschäftsführer «Öffentlichkeitsgesetz.ch»

«Diese Konvention hat auch die Schweiz ratifiziert und sie gilt demnach auch im Kanton Luzern», sagt Martin Stoll. «Alles, was Einfluss auf die Umwelt hat, von Bauten und Strassen bis Agrarsubventionen und belastete Abwässer aus Spitälern, wird von ihr erfasst.» Diese Konvention räume jeder Person das Recht auf Informationen ein, doch es gebe in der Praxis wenig Erfahrungen damit. «Wir werden das in Zukunft genauer anschauen», sagt Martin Stoll.

Er setzt allerdings nicht allein auf das Aarhus-Protokoll. «Früher oder später wird auch der Kanton Luzern das Öffentlichkeitsprinzip einführen», ist er überzeugt, «denn so abseits stehen wie Luzern kann in Zukunft niemand mehr. Das Geheimprinzip ist nicht sakrosankt, auch im Kanton Luzern nicht.»

Erneute Debatte in zwei bis vier Jahren?

Der Grüne Kantonsrat Hans Stutz meint, es dürften noch Jahre vergehen, bis das Thema wieder auf dem Tisch sei. «Es gibt ein ungeschriebenes Gesetz, dass gescheiterte Vorlagen in der gleichen Legislatur nicht mehr neu lanciert werden», sagt er. Mit anderen Worten: Die Luzernerinnen und Luzerner müssen noch mindestens vier Jahre warten, bis ein erneuter Vorstoss eingereicht wird. CVP-Fraktionschef Ludwig Peyer geht davon aus, dass das Öffentlichkeitsprinzip in zwei bis vier Jahren nochmals zur Debatte stehen wird. «Es gibt ja eigentlich keine substanziellen Einwände dagegen», sagt er, «wir haben es staatspolitisch einfach nicht so hoch gewichtet wie die Linken.» 

Hans Stutz nimmt das mit einer gehörigen Portion Skepsis zur Kenntnis. «Ich warte auf einen neuen Vorwand, um die Transparenz wieder ablehnen zu können.» Doch er sagt auch: «Letztlich werden wir Transparenz-Befürworter gewinnen, die Frage ist nur noch, wann es so weit ist.»

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2 Kommentare
  • Profilfoto von daniel.wehner
    daniel.wehner, 22.12.2015, 23:44 Uhr

    Säuhäfeli, Säudeckeli, dieses Prinzip gilt in Luzern seit jeher. Und das soll auch so bleiben. Dafür haben die Bürgerlichen Politiker gesorgt. Mit Sparen hat das gar nichts zu tun, sondern mit dem Desinteresse an Transparenz und echter Demokratie. Und Porno-konsumierende Kantonsangestellte und Ungereimtheiten bei der Luzerner Polizei, die zum Abgang Henslers führten, sollen wohl unter dem Deckel bleiben. Wenn das Öffentlichkeits-Prinzip eines Tages doch kommt (durch ein Bundesgerichtsurteil wie beim Frauenstimmrecht in Appenzell??!), verschwinden Die Akten dann auf mysteriöse Weise. Das traue ich denen zu. So einfach ist das.

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  • Profilfoto von BeatStocker
    BeatStocker, 21.12.2015, 14:15 Uhr

    Das Scheinargument von Frau Keller, FDP Vitznau, ist völlig lächerlich und das pure Gegenteil von liberal. Das Öff-Prinzip kostet kaum und ist ein Pfeiler des direktdemokratischen Rechtsstaats. Kaum zu fassen, wie kleinkariert und spiessig die bürgerliche Sparwahnpolitik daher kommt. Wir haben im Kanton Luzern einen Guellengraben (Stadt-Land), der immer mehr stinkt.

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