Ein Streifzug entlang der Baarerstrasse

Das verruchte Zug: Sex, Ferraris und Buttergipfeli

Die Baarerstrasse, ein Schmelztiegel der Kulturen und eine wichtige Verkehrsachse zwischen Zug und Baar. (Bild: zentralplus/pbu)

Die Baarerstrasse: Teure Autos, anonyme Hochhäuser und Briefkastenfirmen gehören zu ihr wie die Kirschtorte zu Zug. Die Grossstadtwüste zwischen Zug und Baar ist lärmig, ein bisschen gefährlich und ganz sicher aufregend. Auf unserem Streifzug sind wir auf Schlägereien, Räuber, spannende Ideen und viel Nostalgie gestossen.

Wir stehen weit hinten an der Baarerstrasse. Gerade noch in Zug, fast schon in Baar. Die Autos fahren im Sekundentakt durch. Die Sonne scheint unerbittlich auf den Asphalt und ein paar Bäume versuchen, der zugebauten Strasse etwas Natur zurückzugeben. Hanny Amrhein, Besitzerin des «Göbeli»-Kiosks an der Baarerstrasse 108, überlegt einen Moment, dann beschreibt sie die Strasse als «vielseitig, laut und lärmig». «Dieser Verkehr …», fügt sie an und seufzt. Begeisterung wäre anders. Aber sie hat auch einiges erlebt an dieser vielbefahrenen Strasse.

Der Überfall

«Er kam durch die offene Türe, packte meinen Mann an der Schulter und schüttelte ihn. Der Räuber hatte eine Sturmmaske an. Ich sagte zu meinem Mann, er soll ihm das Geld geben. Dann war er wieder weg.» Fast emotionslos erzählt Hanny Amrhein die Geschichte vom Raubüberfall auf den Kiosk, den sie seit 14 Jahren zusammen mit ihrem Mann führt.

Der Überfall sei das Ereignis gewesen, das sie an der Baarerstrasse am meisten geprägt habe, erklärt Amrhein. «Aber das ist schon lange her», sagt sie und zuckt mit den Schultern. Und es sei sowieso nicht mehr dasselbe wie früher, als die Autos noch vor dem Kiosk parkieren konnten. «Da lief das Geschäft noch.»

Hanny und Philipp Amrhein, die Besitzer des «Göbeli»-Kiosks.

Hanny und Philipp Amrhein, die Besitzer des «Göbeli»-Kiosks.

(Bild: zentralplus/bas)

Läuft man der Baarerstrasse entlang, merkt man schnell: Sie beherbergt ein buntes Wirrwarr an sozialen Schichten. Und was man auch sucht, an der Baarerstrasse findet man es. Hotels, ein Kebab-Restaurant, Bäckereien, Schuhläden, Schulhäuser, Arztpraxen und eben auch Kioske.

Der Mann mit den Visionen

Ein wenig weiter vorne, im ehemaligen Schauraum eines Schuhgeschäfts, hat sich vor kurzem Albert Osmani niedergelassen. Er führt seit drei Jahren das «House of Wines» an der Baarerstrasse 69. Ganz im Gegensatz zu den Amrheins ist er begeistert von der Lage. Was daran so speziell ist, erklärt er im Video.

Darum ist Osmani froh um den guten Standort seines Geschäfts. Er spricht von einem «Glücksfall». «Ich habe zwar nur einen kleinen Laden, aber es sind bereits grosse Freundschaften entstanden», sagt Osmani lächelnd. In seiner Nachbarschaft würden viele bei ihm den Wein kaufen. Und nicht ohne Stolz sagt er: «Ich bin ein wenig zum EVZ-Stammlokal mutiert.»

Bald ein Streetfestival?

Aber nicht alles ist rosig; ihn störe, dass die Baarerstrasse so stark industriell geprägt sei, erklärt Osmani. Deshalb hat sich der junge Weinhändler Gedanken gemacht, wie er dieser Entwicklung entgegenwirken könnte: Zusammen mit anderen Geschäften an der Baarerstrasse möchte er Wochenend-Events organisieren. «So etwas wie ein Baarerstrasse-Festival», erklärt Osmani.

Das sei zwar noch etwas vage und nicht fix, aber zusammen mit Auto Pierre Sudan, dem Kebab-Laden, dem italienischen Restaurant und einer Bäckerei habe man bereits Ideen ausgetauscht. Ob und was zu Stande kommt, ist noch unklar.

Ferraris und Sex

Nur wenige Schritte von Osmani entfernt ist Auto Pierre Sudan einquartiert. Ein Geschäft, das auch im «House of Wines» einkauft. Aber nicht nur der Freundschaft zu Osmani und den vielen Ferraris und Maseratis wegen sind wir auf das Geschäft aufmerksam geworden: Denn im selben Gebäude, in dem auch Auto Pierre Sudan seine teuren Schlitten ausstellt, geht es offenbar auch unzüchtig zu und her. Wie unsere Recherchen ergaben, wurden in diesem Haus letzthin drei Prostituierte ohne Aufenthaltsbewilligung erwischt (zentralplus berichtete).

So ein privates Etablissement wollen wir mit eigenen Augen sehen. Entschlossen, einfach mal zu läuten, stehen wir dann vor den Briefkästen des besagten Hauses und werden etwas ratlos: Irgendwie passt keines der Namensschilder auf den von uns ermittelten Betreiber, obwohl uns die Polzei diesen damals bestätigt hat. Diese Spur scheint im Sand zu verlaufen und bestätigt frühere zentralplus-Recherchen zum Thema. Schade, aber das Haus hat ja noch anderes zu bieten.

Früher, ja früher…

Toni Ulmann ist Werkstattchef bei Auto Pierre Sudan.

Toni Ulmann ist Werkstattchef bei Auto Pierre Sudan.

(Bild: zentralplus/bas)

Seit über 40 Jahren arbeitet Toni Ulmann, langjähriger Werkstattchef von Pierre Sudan, an der Baarerstrasse. Zuerst bei Auto Kaiser, dann wurde er «vom neuen Chef übernommen», wie Ulmann erklärt. «Früher gab es noch die Garage Iten und die Garage Huber», sagt Ulmann. Da hätten sie einander Werkzeug geliehen und am Abend habe man zusammen ein Feierabend-Bier getrunken. «Heute kennt man ja keinen mehr hier», sagt Ulmann und zuckt mit den Schultern. 

Was alles läuft im Haus Nummer 63, will er aber nicht kommentieren. Für ihn sind an der Baarerstrasse ganz andere Geschichten relevant: «Über die Baarerstrasse kann man nicht sprechen, ohne die Geschichte vom alten ‹Bantli› zu erzählen», findet Ulmann. Damals, als der Baarerhof noch ebendiesem alten Bantli gehört habe, da hätte man den Lokalkolorit noch richtig gespürt. «Das war eine Beiz für Büezer, mit der besten Metzgete in der Stadt.» Der alte Bantli, der sei ein «uriger Siech» gewesen, der die Leute auch mal rausgeschmissen habe, wenn die Stammtischgespräche in Handgreiflichkeiten übergingen.

«Aber das mit dem Bantli, das ist eine tragische Geschichte», sagt Ulmann. Der habe nämlich einen Herzinfarkt gehabt und sei dann mit seinem Mercedes in den Gartenhag bei Auto Kaiser gefahren. «Und am nächsten Tag war er tot.» Und jetzt sei eben dieser Pizzaschuppen im Baarerhof. «Das ist ja keine Beiz», mault Ulmann.

Millionäre und ihre Autos

Früher, das war, als man beim Nachbar noch Birnen vom Baum essen konnte während der Arbeit, erklärt Ulmann. Jetzt ist sein Arbeitsplatz zwei Etagen unter der Erde. In der Garage um ihn herum wimmelt es von teuren Autos. Und extravaganten Kunden. Viel erzählen könne er zu denen nicht. Diskretion ist das Stichwort. «Aber einer, der ist schon länger tot, zu dem kann ich was sagen.»

«Der ist komplett ausgetickt und hat uns alle Schande gesagt.»
Toni Ulmann

«Der Typ ist komplett ausgetickt und hat uns alle Schande gesagt.» Er habe ein Autoradio durch die Werkstatt geworfen und geflucht. Und das nur, weil das Radio auf dem Sitz seines Autos gelegen habe und vom Gewicht einen Abdruck auf dem warmen Leder hinterlassen habe, schmunzelt Ulmann. «Wegen einem Abdruck auf seinem Leder», und amüsiert sich noch immer ob der Anekdote.

Mit Millionären kennt sich Ulmann mittlerweile aus. Und längst nicht alle seien so wie der Kunde mit dem Autoradio, sagt Ulmann. Sein früherer Chef, der Kaiser ‹Wiseli›, von Auto Kaiser, der sei auch Millionär gewesen. Und der habe sogar seine Schuhsohlen selber nachgerillt, hier in der Werkstatt.

Plötzlich sprudelt eine Geschichte nach der anderen aus Ulmann. Und irgendwie kommt er nicht mehr von den früheren Zeiten los, wo alles noch eine Spur persönlicher war und die Baarerstrasse weniger einem «Betonschlauch» glich. Vielleicht wird ja alles wieder besser, wenn die Zukunftsvisionen Osmanis eines Tages Realität werden sollten.

Die Frau mit den langen Haaren

Auf der anderen Strassenseite, nur wenige Meter weiter vorne, stechen die geschwungenen pinken Lettern am Schaufenster des Coiffure-Salons von Marija Rukavina heraus. Die adrette Besitzerin des Ladens schwankt zwischen Ärger und Freude, wenn sie von der Baarerstrasse spricht. Vor ihrem Geschäft ist momentan eine grosse Baustelle: Die Passanten, die sie so dringend braucht, werden kurz vor ihrem Laden per Schild darauf hingewiesen, die Strassenseite zu wechseln. «Aber sonst wäre die Lage doch super, nicht?»

Weil sie so viel Laufkundschaft hat, erlebt Frau Rukavina immer wieder Aussergewöhnliches in ihrem Coiffure-Salon. Ein Erlebnis erzählt sie im Video gleich selbst:

Betrunken zum Bäcker des Vertrauens

Nur unweit vom Coiffure-Salon wird «der beste Kaffee in ganz Zug» gemacht, das verspricht zumindest eine Passantin. Beim grossen zentralplus-Kaffeetest war die Coffee Bakery nicht dabei. Darum wollen wir das nachholen. Costantino Cuccu führt die einzige Bäckerei an der Baarerstrasse, die am Wochenende die ganze Nacht geöffnet ist. Im unscheinbaren Café an der Ecke zur Gubelstrasse gibt es die ganze Nacht «Essen, das einfach im Handling ist», wie Cuccu mit einem Augenzwinkern verrät. «Also Pizza und so», präzisiert er.

Cuccu ist erst seit fünf Monaten an der Baarerstrasse, war in dieser Zeit aber bereits Zeuge einer kleinen Schlägerei vor seiner Türe. Aber sonst, so betont der Sarde, seien die Leute «wahnsinnig nett». Und das, obwohl sie in der Nacht etwas «anders» seien, wie er seine oft betrunkene Kundschaft fast liebevoll umschreibt. Cuccu ist neu, das Konzept und der Name blieben aber ziemlich beim Alten: Am Tag gibt es Kaffee, Süssigkeiten, Sandwiches und Pasta, in der Nacht Pizza und sonst Handliches für auf den Weg. Das Konzept scheint zu funktionieren, er zumindest ist zufrieden.

 

Die rote Linie kennzeichnet die Baarerstrasse, der Kreis den Bahnhof Zug.

Die rote Linie kennzeichnet die Baarerstrasse, der Kreis den Bahnhof Zug.

(Bild: google maps)

Den Kaffee haben wir dann übrigens doch nicht probiert. Nach dem langem Marsch von Baar nach Zug und den vielen Impressionen überkam uns der Hunger. Und wie für so vieles liess sich auch für dieses Bedürfnis eine Lösung an der Baarerstrasse finden.

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