Politologe Tobias Arnold zum 2. Wahlgang in Luzern

«Über Konkordanz lässt sich genüsslich streiten»

Politologe Tobias Arnold: Er rechnet mit grünen Gewinnen in der Stadt Luzern. (Bild: zvg)

Am 28. Juni besetzen die Luzernerinnen und Luzerner an der Urne die letzten zwei Sitze für den Stadtrat. Für die zwei Mandate bewerben sich nicht weniger als sieben Kandidatinnen und Kandidaten. Die Ausgangslage präsentiert sich deshalb äusserst spannend. Entscheidet am Ende sogar Corona die Wahlen?

Mit Franziska Bitzi (CVP), Manuela Jost (GLP), Judith Dörflinger (SP), Jona Studhalter (JG), Skandar Khan (Juso), Silvio Bonzanigo und Ruedi Schweizer (beide parteilos) kämpfen am 28. Juni sieben Kandidaten um einen der zwei verbleibenden Sitze im Luzerner Stadtrat. Die Ausgangslage ist so offen wie selten.

Kommt es nach dem Parlament nun auch in der Stadtregierung zu einem Linksrutsch? Welche Rolle spielt das grosse Kandidatenfeld und wie kann die Konkordanz gewährleistet werden? Für zentralplus wagt der Politologe Tobias Arnold vom Luzerner Forschungsinstitut «Interface» einen Ausblick und erklärt, weshalb die Ausgangslage komplett offen ist.

zentralplus: Tobias Arnold. Die Ausgangslage für den zweiten Wahlgang ist so offen wie selten zuvor. Sehen Sie das auch so?

Tobias Arnold: Auf jeden Fall. Auch ich verfolge die Entwicklungen mit grosser Spannung. Denn mit Blick auf das Resultat im ersten Wahlgang ist die Ausgangslage für den zweiten meines Erachtens alles andere als klar. Stand heute lässt sich nur mit Sicherheit sagen, dass auch die kommenden vier Jahre zwei Frauen im Stadtrat sitzen werden.

zentralplus: Das heisst, dass ausser Manuela Jost, Franziska Bitzi und Judith Dörflinger niemand eine Chance hat?

Arnold: Davon gehe ich aus.

zentralplus: Dann wird es also wichtig sein, dass die Parteien ihre Wähler möglichst an die Urne bringen?

Arnold: Grundsätzlich ja. Man muss aber aufpassen, dass man die Stimmbevölkerung nicht zu stark in eine GLP-Mitte, eine linke und eine rechtsbürgerliche Fraktion einteilt. Solche Überlegungen greifen meist zu kurz, weil es sehr viele parteiungebundene Wähler gibt. Genau sie werden aber auch in der Stadt Luzern das Zünglein an der Waage spielen.

Es reicht daher längst nicht aus, die eigene Parteibasis zu mobilisieren. Es sind Majorzwahlen und die Kandidierenden müssen als Person auch bei den parteiungebundenen Personen überzeugen.

«Erfahrungen zeigen, dass die Amtsinhaberinnen in der Regel mit einem Startvorsprung in eine Wahl gehen.»

zentralplus: Denken Sie, dass im laufenden Wahlkampf eine Seite diesbezüglich bessere Chancen hat als die andere? Zum Beispiel aufgrund aktueller Themen? Wird es auch im Stadtrat zu einem Linksrutsch kommen?

Arnold: Erfahrungen zeigen, dass die Amtsinhaberinnen in der Regel mit einem Startvorsprung in eine Wahl gehen, auch bei 2. Wahlgängen. Grund ist unter anderem, dass man diese Personen meistens besser kennt als ihre Herausforderinnen und ihre Position zu aktuellen Themen meist bekannt ist. Man muss aber im aktuellen Fall berücksichtigen, dass alleine die Aussicht auf einen Sitzgewinn eine starke Mobilisierung im linken Lager bewirken kann.

zentralplus: Das ist ein wichtiger Punkt: Weil das Resultat eher knapp ausfallen dürfte, haben die beiden linken Parteien jeweils einen ihrer Jungkandidaten auf die Liste gesetzt, damit auf dem Wahlzettel beide Linien besetzt sind. Die Idee ist, dass eher links-grüne Wählerinnen nicht noch eine der beiden anderen Kandidatinnen draufschreiben. Ein guter Schachzug?

Arnold: Damit geben die Linksparteien ein klares Signal an ihre Wählerschaft, wie man strategisch geschickt wählt: «Schreibe Dörflinger auf den Wahlzettel und auf der zweiten Linie darf ja nicht Jost oder Bitzi stehen!» Vielleicht hält dieser Schachzug die eine oder andere Linkswählerin tatsächlich davon ab, zusätzlich Jost auf den Wahlzettel zu schreiben. Ich würde die Wirkung aber nicht so gross einschätzen. Die Wähler, die strategisch wählen, machen das eh schon, egal ob eine zweite junge Person auf dem Wahlzettel steht oder nicht.

zentralplus: Manuela Jost gilt bei vielen als Wackelkandidatin. Dies hat wohl auch damit zu tun, dass sie im Gegensatz zu ihren Konkurrentinnen wegen der Positionierung ihrer Partei schwerer zu fassen ist.

Arnold: Genau. Manuela Jost befindet sich gewissermassen im Sandwich zwischen Franziska Bitzi, die für viele Bürgerliche rein wegen ihrer Parteizugehörigkeit erste Wahl sein dürfte, und Judith Dörflinger, die klare Nummer eins im links-grünen Lager. Aber auch hier mahne ich zur Vorsicht, zu stark in solchen Lagern zu denken. Ich gehe davon aus, dass bei vielen parteipolitisch weniger gebundenen Wählern auch das Duo Bitzi/Jost oder Dörflinger/Jost draufstehen wird. Entscheidend ist also, wie oft Manuela Jost alleine auf dem Wahlzettel steht. Denn jede zusätzliche Stimme für Bitzi oder Dörflinger schwächt im Endeffekt die amtierende Baudirektorin.

«Stramm bürgerlich orientierte Wähler dürften Jost die Stimme verweigern.»

zentralplus: Viele Linke freuen sich, dass Silvio Bonzanigo nochmals antritt. Sie haben die Hoffnung, dass der ehemalige SVP-Kandidat, der dieses Mal ohne Partei im Rücken ins Rennen steigt, vor allem Manuela Jost Stimmen abspenstig machen könnte. Besteht die Hoffnung zurecht?

Arnold: Da bin ich skeptisch. Zwar könnte eine rechtsbürgerliche Wählerin versucht sein, Bonzanigo und Bitzi zu wählen und so auf eine Stimme für Jost zu verzichten. Das ist aber häufig nur Theorie. Die GLP und mit ihr Manuela Jost zählt für viele Bürgerliche schon fast zur Linken. Stramm bürgerlich orientierte Wähler dürften deshalb Jost die Stimme sowieso verweigern, egal ob Bonzanigo kandidiert oder nicht.

Die Frage, die sie sich dabei aber stellen müssen, ist, ob sie Jost nicht trotzdem unterstützen wollen, damit der Stadtrat am Ende des Tages nicht in die Hände der links-grünen Parteien fällt. Darum spannen GLP und CVP ja auch zusammen und auch die FDP spricht sich klar für Manuela Jost aus.

zentralplus: Dennoch bleibt Manuela Jost nur ihre kleine GLP als verlässliche und geschlossene Basis.

Arnold: Die Kleinheit ihrer Partei ist sicher ein Nachteil für Jost. Aus den genannten Gründen wird sie aber sicher auch über die Parteigrenzen hinaus Stimmen machen. Die Frage ist, wie viele es sein werden.

zentralplus: Ihr gegenüber steht eine geschlossene Linke, die in Luzern mittlerweile rund 50 Prozent Wähleranteil aufweist. Steht Judith Dörflinger nicht schon fast in der Pole-Position, wenn sie auf eine so grosse Wählerschaft zählen kann?

Arnold: So einfach ist es nicht. Die Stadt Luzern hat zwar mittlerweile eine starke Linke. Aber diese rund 50 Prozent sind nicht alles stramme Linkswähler. Da gibt es auch Leute, die bei den Parlamentswahlen panaschiert haben und die durchaus auch eine GLP-Stadträtin wählen können. Hier sind wir wieder bei den Parteiungebundenen.

Das ist die grosse Chance für Manuela Jost. Wäre dies nicht so, sähe ich tatsächlich schwarz für sie, da ihr wie gesagt auch auf der rechten Seite Stimmen fehlen werden. Jost muss also insbesondere auf die ungebundenen Wählerinnen, die sich irgendwo mitte-links einordnen, zählen.

«Was nun konkordant ist und was nicht, darüber lässt sich ja immer genüsslich streiten.»

zentralplus: Das könnte wiederum eine Gefahr für Franziska Bitzi sein.

Arnold: Klar. Im Gegensatz zu Bonzanigo liegt Jost politisch viel näher bei Bitzi und das führt zwangsläufig dazu, dass die beiden Kandidatinnen gemeinsam um einen Teil der Wählerschaft buhlen.

zentralplus: Wenn viele die GLP zur Linken zählen, könnte man argumentieren, dass die Konkordanz nicht gewährleistet wäre, wenn Jost und Dörflinger gewählt würden. Die traditionellen rechtsbürgerlichen Parteien hätten mit Martin Merki von der FDP nur noch einen Sitz.

Arnold: Dieses Argument könnte tatsächlich dazu führen, dass einige anstatt Manuela Jost nur Franziska Bitzi wählen. Andererseits positioniert sich die GLP in vielen Fragen eindeutig als bürgerliche Partei, weshalb der Konkordanzgedanke auch bei einer Abwahl von Franziska Bitzi aufrecht erhalten werden könnte. Was nun konkordant ist und was nicht, darüber lässt sich ja immer genüsslich streiten.

zentralplus: Lassen Sie uns zum Schluss noch kurz über Corona reden. Könnte die aktuelle Situation einen Einfluss auf das Wahlresultat haben?

«Erfahrungen zeigen, dass bürgerliche Parteien in wirtschaftlich schwierigen Zeiten oft einen einfacheren Stand haben als Linksparteien.»

Arnold: Da sich in der Schweiz im Gegensatz zu anderen Ländern keine Partei speziell profilieren konnte, wird auch keine in speziellem Ausmass von der Krise profitieren. Einen Effekt könnte aber haben, dass sich einige Wähler insbesondere jetzt eine gewisse Konstanz wünschen.

Erfahrungen zeigen ausserdem, dass bürgerliche Parteien in wirtschaftlich schwierigen Zeiten oft einen einfacheren Stand haben als Linksparteien. Inwiefern dies auch bei dieser Krise der Fall sein wird, wird sich zeigen. Die aktuelle Situation sucht seinesgleichen und es ist daher sehr schwierig, zu sagen, wie sie sich langfristig auf die politische Landschaft in der Schweiz auswirkt.

zentralplus: Und welchen Effekt wird es haben, dass bisher kaum ein Wahlkampf stattgefunden hat?

Arnold: Auf die Schnelle lassen sich dazu kaum Aussagen machen. Da müsste man die Kampagnen etwas genauer anschauen.

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1 Kommentar
  • Profilfoto von Marie-Françoise Arouet
    Marie-Françoise Arouet, 10.06.2020, 13:46 Uhr

    Wie lange hat wohl „Politologe Tobias Arnold vom Luzerner Forschungsinstitut «Interface»“ das Fach „Politologie“, von dem ohnehin kein Mensch weiss, wozu es gut sein soll, studieren müssen, um zu einem Grad an Erkenntnis zu gelangen, der es ihm erlaubt, sich gleich in der Antwort auf die erste Frage diametral selber zu widersprechen, um in der Folge Binsen zu verbreiten, die ja den an der Wahl teilnehmenden Nicht-Politologinnen und den Organisationen dahinter längst sonnenklar sind, hätten sie sonst wohl nicht genau so gehandelt, wie sie es eben getan haben. Aaach, ich liebe Erbsenzählerfächer, deren Vertreter sich als Kaffeesatzleser aufblasen und so den Beweis erbringen, dass die Eulen der Minerva ihren Flug immer erst in der Dämmerung antreten.

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