Marcel Schwerzmann zum Stadt-Land-Graben

«Es ist ein Gerücht, dass Beat Züsli und ich nicht zusammen reden»

Regierungspräsident Marcel Schwerzmann will den Stadt-Land-Graben zuschütten. (Bild: zvg)

Der Luzerner Regierungspräsident Marcel Schwerzmann rückt in diesem Jahr den Stadt-Land-Graben in den Fokus. Im Interview erklärt der Krienser, wie er ihn zuschütten will, weshalb er den Widerstand gegen den Umzug der Museen ins Zeughaus für unnötig hält und wieso bald die Bevölkerung gefragt ist.

«Stadt und Land. Ein Kanton»: So lautet das Motto des diesjährigen Luzerner Regierungspräsidenten Marcel Schwerzmann. Der parteilose Krienser hat es sich – noch bevor die SVP ihre nationale Kampagne lancierte – zur Aufgabe gemacht, den Stadt-Land-Graben zuzuschütten. Zeit für ein erstes Zwischenfazit nach drei Monaten.

zentralplus: Marcel Schwerzmann, Sie wohnen in Kriens, das sich ja seit kurzem offiziell Stadt nennt. Würden Sie sich als Stadt- oder als Landmenschen bezeichnen?

Marcel Schwerzmann: Ich wohnte 25 Jahre in der Stadt Luzern und 25 Jahre in Kriens. Von daher bin ich eher ein städtisch geprägter Mensch.  

zentralplus: Sie haben das Thema «Stadt und Land. Ein Kanton» zum Motto Ihres Präsidialjahres gewählt. Wo konkret spüren Sie den Stadt-Land-Graben?

Schwerzmann: Man kann ihn nicht exakt verorten wie den Röstigraben. Unterschiede zwischen Stadt und Land hat es natürlich schon immer gegeben, das ist auch nicht falsch. Die Religion prägt die Menschen in der Stadt und auf der Landschaft wohl anders, aber das stört ja niemanden. Und es gibt ja auch viele Leute, die ziehen zwischen ländlichen und städtischen Gebieten hin und her. Sind Sie in der Stadt aufgewachsen?

zentralplus: Nein, auf dem Land.

Schwerzmann: Eben, genauso wie Sie leben heute viele Menschen in der Stadt, sind aber auf dem Land aufgewachsen. Umgekehrt ziehen Städter, oft wenn sie Familie haben, eher aufs Land. Es gibt also einen regen Austausch und Wandel. Man beachte nur die Zustimmung, welche die «Ehe für alle» letzten Sonntag auch auf der Landschaft erfuhr – von einem Graben keine Spur. Darauf hätte ich im Vorfeld kein Bier gewettet.

zentralplus: Und wo wird der Stadt-Land-Graben zum Problem?

Schwerzmann: Dort wo sich die unterschiedlichen Haltungen gegenseitig stören. Das klassische Beispiel ist der Verkehr, wie sich etwa beim Projekt Durchgangsbahnhof oder generell bei der Erreichbarkeit im ganzen Kantonsgebiet zeigt.

«Der Stadt-Land-Graben ist das falsche Thema, um Parteipolitik zu betreiben.»

zentralplus: Darauf kommen wir noch zu sprechen. Sie haben das Thema ja aufgegriffen, bevor die SVP ihre Kampagne dazu startete. Teilen Sie die Einschätzungen der Partei?

Schwerzmann: Nein, überhaupt nicht. Ich finde es das falsche Thema, um Parteipolitik zu betreiben. Und natürlich habe ich nicht gewusst, dass die SVP das aufgreift. Ich will das Verbindende statt das Trennende in den Mittelpunkt stellen und nach Lösungen suchen. Hier unterschieden wir uns generell in der Herangehensweise.

zentralplus: Sind die Gräben in letzter Zeit tiefer geworden?

Schwerzmann: Wenn man zum Beispiel die alte Religionsgrenze anschaut oder die harte Haltung, die früher politisch zwischen den «Schwarzen» und «Roten» herrschte, haben sich die Fronten eher aufgeweicht. In einzelnen Bereichen, in erster Linie Verkehr und Kultur, wird der Graben hingegen stärker betont. Wir dürfen jedoch nicht aufgrund relativ weniger, aber wichtiger Themen überbeissen und den Stadt-Land-Graben zur Grundsatzdebatte machen.

Jede Woche geben zwei Persönlichkeiten ihre Einschätzung zum Stadt-Land-Graben ab:

zentralplus: Dann sprechen wir doch über die einzelnen Themen, zum Beispiel den Durchgangsbahnhof, bei dem sich Stadt und Kanton in einigen Punkten nicht einig sind.

Schwerzmann: Bei dieser Frage geht es nicht um die Staatsebenen Stadt und Kanton. Die Frage stellt sich vielmehr zwischen einer Standortgemeinde und dem Kanton, der alle Gemeinden zu vertreten und zu berücksichtigen hat. Der Durchgangsbahnhof ist ein Verkehrsknoten für den ganzen Kanton. Also muss er so in den Standort eingebettet sein, dass er als Drehscheibe allen nützt.

zentralplus: Dem würde ja auch die Stadt zustimmen. Letztlich geht es ja – wie schon bei der Spange Nord – hauptsächlich um die Autos.

Schwerzmann: Ja, das ist sicher der springende Punkt. In der Stadt sind die Menschen weniger auf ein Auto angewiesen als auf der Landschaft. Die Stadt hat aber genauso ein Interesse daran, dass sie erreichbar bleibt – nicht nur mit dem Zug. Da müssen wir den richtigen Mix finden. Wichtig ist für uns, dass die Durchfahrt im ganzen Kanton Luzern möglich ist. Auch wer in Meggen wohnt, will mal ins Tropenhaus Wolhusen – und dafür muss man über die Seebrücke fahren können genauso wie über den Rösslikreisel in Wolhusen.

zentralplus: Kaum jemand will die Mobilität einschränken. Die Frage ist doch vielmehr: Muss man sie politisch steuern?

Schwerzmann: Das ist die grosse Frage, die wir jetzt ausdiskutieren müssen. Die Regierung arbeitet an einem neuen Mobilitätskonzept. Ich erwarte, dass sich alle konstruktiv in diesen Prozess eingeben. Denn wir müssen mehr mit- statt übereinander reden.

«Wir alle haben ein gemeinsames Interesse an einem tollen Museum und einem Gerichtsstandort, der unserem Rechtsstaat würdig ist.»

zentralplus: Was heisst das konkret: Gehen Sie jetzt öfters mit dem Luzerner Stadtpräsidenten Beat Züsli auf ein Bier?

Schwerzmann: Wir sind über die Kultur und die Bildung sehr stark miteinander in Kontakt. Es ist also ein Gerücht, dass Beat Züsli und ich nicht miteinander reden. Wir sehen uns im Durchschnitt jede Woche – eher öfters als weniger.

zentralplus: Zu reden gibt auch der Museums- und Gerichtsstandort. Der Kanton will die Museen ins Zeughaus zügeln, aus der Stadt Luzern regt sich Widerstand. Hat Sie das überrascht?

Schwerzmann: Ja, das überrascht mich. Wir alle haben ja ein gemeinsames Interesse an einem tollen Museum und einem Gerichtsstandort, der unserer Demokratie und unserem Rechtsstaat würdig ist.

zentralplus: Wieso beharrt der Kanton darauf, dass die Museen umziehen müssen, wenn doch so viele in der Stadt dagegen sind?

Schwerzmann: Der Kanton bewirtschaftet seine Immobilien sehr weitsichtig. Wie jeder private Immobilienbesitzer sucht er die jeweils geeignetste Verwendung. Aber sehen Sie: Es könnte auch in einer anderen Gemeinde vorkommen, dass sich Teile der Bevölkerung gegen ein Projekt wehren, das hat also nichts mit dem Stadt-Land-Graben zu tun, sondern das ist eine punktuelle Diskussion um eine Liegenschaft.

Der Museums-Standort – und das Verhältnis zwischen Kantons- und Stadtregierung – gab im September im Kantonsrat viel zu reden:

zentralplus: Sie zeigen kein Verständnis für den Widerstand, plädieren aber gleichzeitig dafür, Lösungen zu finden. Besteht denn seitens Kanton die Bereitschaft, von der bisherigen Haltung abzuweichen?

Schwerzmann: Wir sind gerade letzte Woche mit dem Stadtrat zusammengesessen, um über mögliche Standorte und Entwicklungen zu diskutieren. Ich will dem nicht vorgreifen. Aber ich bin guter Dinge, denn ich spüre, dass alle an einer Lösung interessiert sind.

zentralplus: Von aussen hat man nicht den Eindruck, dass sich bei den angesprochenen Grossprojekten eine Seite bewegt.

Schwerzmann: Eine gute Diskussion ist nicht zwingend eine, bei der man sich von Anfang an einig ist, sondern bei der am Ende ein gutes Resultat vorliegt. Nehmen wir den Durchgangsbahnhof: Zahlreiche Stellen diskutieren und analysieren, um die besten Antworten auf die doch sehr komplexen Fragen zu finden.

zentralplus: Manchmal scheint es, der Stadt-Land-Graben soll einfach kaschieren, dass man für konkrete Probleme keine Lösung hat.

Schwerzmann: Dem würde ich zustimmen. Wenn man keine Lösung hat, ist es einfach zu sagen, das ist halt der Stadt-Land-Graben. Aber die Testimonials, die wir wöchentlich aufschalten, zeigen mir: In Luzern wollen alle diesen Graben zuschütten. Deshalb gehen wir jetzt in die nächste Phase.

zentralplus: Die da wäre?

Schwerzmann: Wir laden die Bevölkerung dazu ein, Ideen für ein besseres Miteinander einzureichen. Was müssen wir machen und wie? Vielleicht sind das Aussagen zu einem konkreten Projekt, vielleicht Wünsche an die Regierung oder Anliegen zum Verhalten – wir sind sehr gespannt. Diese Mitwirkung werden wir über eine Medienmitteilung und Inserate starten.

«Es ist wie in einer Ehe: Man kann nicht einfach dem anderen die Schuld geben.»

zentralplus: Sie bezeichneten sich eingangs als Stadtmensch. Wann waren Sie zuletzt auf dem Land?

Schwerzmann: Ich war gerade erst geschäftlich auf Schloss Heidegg. Und privat war ich einkaufen in Sursee, übrigens ein sehr schöner Ort zum Einkaufen. Es ist also keineswegs so, dass ich als Stadtmensch nie auf der Landschaft wäre, im Gegenteil. Ich fahre oft Kanu auf dem Sempachersee und dem Hallwilersee. Halte mich aber auch regelmässig in den Seegemeinden auf.

zentralplus: Abschliessend: Wenn Sie in Luzern die Beziehung zwischen Stadt und Land beurteilen müssten: Sind das eher zwei zerstrittene Verwandte oder ein altes Ehepaar, das zwar zwischendurch stichelt, sich aber gut ergänzt?

Schwerzmann: (schmunzelt) Eher wie ein altes Ehepaar. Man braucht sich gegenseitig: Die Landbevölkerung nutzt die Infrastruktur in den Zentren, die Stadtbevölkerung die Natur auf dem Land. Darum ist es auch beim Stadt-Land-Graben wie bei einer Ehe: Man kann nicht einfach der anderen Seite die Schuld geben. Wir alle sind gefragt und aufgefordert, um die Beziehung zu verbessern.

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4 Kommentare
  • Profilfoto von Hannah Bärchtold
    Hannah Bärchtold, 04.10.2021, 10:24 Uhr

    Wer in Meggen wohnt und nach Wolhusen ins Tropenhaus will, muss dafür eben nicht unbedingt mit dem Auto durch die Stadt Luzern fahren – es gibt dafür ein hervorragend ausgebautes und staatlich subventioniertes ÖV-Netz mit Taktfahrplan. Dieses so gut wie möglich auszulasten, müsste doch auch im Interesse der Kantonsregierung sein.

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  • Profilfoto von Kasimir Pfyffer
    Kasimir Pfyffer, 03.10.2021, 19:02 Uhr

    Ein «tolles Museum» bzw. zwei tolle Museen haben wir schon heute am Kasernenplatz. Also lassen wir sie doch einfach dort. Der Gerichtsstandort interessiert allein die eitlen Richter, die mit ihrer Vögeligärtli-Zwängerei viele 100’000 an Steuergeldern verbrannt, die städtische Entwicklung blockiert und die Sanierung der ZHB um Jahre hinausgezögert haben. Ich sage es nochmals: Jeder normale Mensch ist froh, wenn er nicht vor Gericht muss. Von daher ist es schnurzegal, wo dieses Gericht steht. Eine funktionierende, unvoreigenommene kantonale Justiz wäre für uns BürgerInnen wesentlich wichtiger als dieses narzisstische Plärren der Richter und Verwaltungsangestellten nach einem neuen Standort.

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  • Profilfoto von Hegard
    Hegard, 03.10.2021, 07:55 Uhr

    Die Stadtverwaltung zügelt zum Seetalplatz.
    Was passiert mit diesen
    Gebäuden.Dort könnte man ja auch das Gericht unterbringen.Das Stadthaus zB ist ja visavie Kantonsgericht.

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    • Profilfoto von Marc Wieser
      Marc Wieser, 03.10.2021, 16:42 Uhr

      Da liegen Sie falsch. Die Kantonsverwaltung zieht in eine neues zentrales Verwaltungsgebäude in Luzern Nord (Seetalplatz). Die Stadtverwaltung bleibt im Stadthaus. Die Kantonsverwaltung ist heute auf verschiedene Gebäude in der Stadt verteilt (Buobenmatt, Hirschengraben, Bahnhofstrasse usw.)

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