Der Heimatbegriff befindet sich in ständiger Diskussion. Kritisch soll diese Diskussion sein, sagt das Team um das Theaterstück «äinigermasse dehäi». Wir haben mit der beteiligten Jodlerin Simone Felber gesprochen.
Un i ha Heimweh nach de Bärge
Nach de Schoggi und em Wii
Nach dä Wälder
Nach dä Seeä u nachem Schnee …
So singt Ritschi von Plüsch. Und wahrscheinlich finden sich viele Schweizerinnen in diesen Zeilen wieder. Es hört sich nach Heimat an.
«Erinnerungen an die Heimat, zurück in die Heimat, in die Heimat ausgeliefert, aus der Heimat geflohen.» Am häufigsten verwendet wird der Begriff aktuell jedoch, wenn von Migration die Rede ist. Und schnell landet man damit bei Nationen, beim Vaterland.
Doch Heimat ist nicht Vaterland, sagt Simone Felber, 29 Jahre alt. Professionelle Jodlerin.
Sie arbeitet aktuell gemeinsam mit Lukas Gernet und dem Luzerner Theaterkollektiv «Fetter Vetter & Oma Hommage» am Stück «äinigermasse dehäi» (zentralplus berichtete). Das Kollektiv kündigt dabei einen «kritischen Heimatdiskurs» an.
Auseinandernehmen statt Definieren
«Kritischer Heimatdiskurs», das hört sich erstmal sehr gut an. Doch auf den zweiten Blick erschöpft sich dieser in einem kreativen, linken Umfeld, in dem sich auch das Kollektiv ohne Zweifel bewegt, oft bloss in einer Abgrenzung vom nationalistischen, rechten Heimatbegriff, und einem Hinterfragen der Heimatfilmidylle. Das beobachtet auch Simone Felber und nimmt es als Reaktion wahr, die im ersten Moment reflexartig passiere.
Eine tatsächliche Auseinandersetzung mit Heimat finde bei Menschen, die eine Migrationsgeschichte haben, viel häufiger und intensiver statt. «Ich, die hier geboren und aufgewachsen bin, musste mich nie mit Heimatidentität auseinandersetzen und habe es deshalb auch kaum getan. Was Heimat sein soll, das wird uns serviert.»
«Vaterland hat eine Flagge, eine Uniform und eine Regierung. Heimat hat das nicht.»
Heimat stehe in der Schweiz oft als Begriff im Raum, der sehr traditionell besetzt ist. Einer, der gewissen politischen Kreisen überlassen und der von diesen instrumentalisiert wurde und wird. Es werde daraus ein Begriff gemacht, bei dem es um Boden und Land geht – um nationale Identität und Abgrenzung. «Doch Heimat muss nicht Vaterland sein, wer den Begriff benutzt, keine Patriotin», sagt Felber. «Vaterland hat immer auch eine Flagge, eine Uniform und eine Regierung. Heimat hat das nicht.»
Wie sich «Heimat» zusammensetzt
Heimat sei vielmehr individuelle Erfahrung und die ganz persönliche kulturelle Identität, findet Simone Felber. Die Auseinandersetzung des Teams habe deshalb hauptsächlich darin bestanden, den eigenen Heimatbegriff auseinandernehmen, zu sezieren und aufzudröseln. Das Bild für Heimat, das Simone Felber in diesem Prozess für sich fand, ist das Puzzle. «Eines, an das immer wieder Teile gesetzt werden, ergänzt werden, bei dem Stücke verloren gehen, vielleicht von Anfang an in der Schachtel fehlten oder vom Staubsauger eingesaugt werden.» Ein Puzzle, das niemals fertig werde.
Jodel sei ein grosser Teil von ihrem Puzzle. Die Berge natürlich auch. So habe sie die gleiche Heimat wie eine Bäuerin im Bisistal oder eine Managerin in der Stadt Zürich, doch würden viele Teile ihres individuellen Heimatpuzzles wohl auch nicht zusammenpassen.
Ich sage «Jodel», du sagst «Kuh»
In der Recherche und in den ersten Proben habe das Team gemerkt, dass, sobald Simone Felber den Mund aufmache, um zu Jodeln, die Assoziationskette beim Publikum losgeht. Und das in einer äusserst homogenen Art und Weise: Die Leute denken an Schweizer Berge, an Tracht, an Schwingen, an Kühe auf der Alp. Automatisch wird ein ganzer Katalog an Klischees abgespult. Dies mit dem Heimatthema zu doppeln sei performativ einfach zu viel gewesen. Deshalb habe sich das Team im Prozess dazu entschieden, etwas vom Heimatinhalt abzurücken.
Das Jodeln soll soweit wie möglich von der Assoziationskette gelöst werden, wünscht sich Felber. Dass man nicht gleich im Brauchtumsdiskurs ist, und schon fast bei der geistigen Landesverteidigung. «Ich hoffe, dass wenn irgendwann jemand Jodel sagt, nicht mehr alle an Konservatives denken. Dass wir das aufbrechen und überwinden können», sagt Felber. Selbstverständlich sei irgendwo jede Musikrichtung mit einer politischen Haltung oder Neigung verbunden. Volksmusik und Country, Rock oder Klassik. Doch beim Jodeln sei es extrem.
«Jodeln ist einfach nur eine Gesangstechnik.»
Man sieht das Jodeln als Schweizer Kulturgut. Und beim Kulturgut geht es wiederum schnell um Identität, um Bewahrung von Tradition und Heimat. «Doch Jodeln ist am Ende einfach nur eine Gesangstechnik», sagt Simone Felber. Zudem sei es nicht im Geringsten nur den Schweizerinnen eigen. Würde jemand dieselben Klänge in Georgien anstimmen, wäre dort ganz klar: Das ist Krimantschuli. Auch auf der japanischen Insel Hokkaido wird gejodelt und an ungezählten weiteren Orten der Welt ebenfalls.
Jodeln in neuem Umfeld
Erstmals gejodelt hat Simone Felber im Gymnasium. Volksmusik kannte sie aus dem Radio ihrer Grosseltern – Musikwelle 531. Wachse jemand in einer Jodlerfamilie auf, sei da natürlich ein ganzer Rucksack an Tradition dabei. Dieser könne jedoch auch gefährlich sein, findet Felber, wenn darin eine Sammlung von Werten und politischer Stempel mit eingepackt wurde. Werte und Traditionen von der Musik zu trennen, kann dann viel schwieriger sein, als wenn man später «nur» die technischen Aspekte einer Musikrichtung oder einer Gesangstechnik lerne. Man habe wahrscheinlich weniger Berührungsängste und sei experimentierfreudiger.
Simone Felber arbeitet seit ihrem Studium an der Musikhochschule Luzern in unterschiedlichen Formationen und bei diversen Projekten der neuen Volksmusik mit. So singt sie eigens komponierte Jodellieder in «hedi drescht» gemeinsam mit Lukas Gernet am Piano, leitet in Nidwalden den feministischen Jodelchor «Echo vom Eierstock» oder singt in «famm» mit drei weiteren Luzerner Sängerinnen altes Schweizer Liedgut unzensiert, aber kommentiert. Und auch mit ihrem Urprojekt «Simone Felbers iheimisch» ist sie gemeinsam mit ihrem Partner, dem Schwyzerörgeli-Spieler Adrian Würsch und mit Pirmin Huber am Kontrabass unterwegs. Das alles äusserst erfolgreich.
Heimat festhalten wollen
Als Felber jedoch während ihres Studiums das Jodeln als Variantfach belegen wollte, wurde dies von der Studienkoordination abgelehnt. Fünf Jahre studierte sie klassischen Gesang und erst im letzten Semester wurde ihr das Variantfach bewilligt.
«Ich bin auf sehr viel Widerstand gestossen mit dem Jodeln im akademischen Umfeld», sagt sie. Welche Widerstände die Leiterin der Abteilung Neue Volkskmusik Nadja Räss schon abgebaut hat, könne sie sich nur vorstellen. Man spüre immer wieder die Arroganz der klassischen Musik anderen Stilrichtungen gegenüber.
«Jodler kann man mit gutem Jodeln überzeugen.»
Auch in ihrem privaten Umfeld seien die Meinungen zum Jodeln oft schon gemacht gewesen. Im volkstümlich traditionellen Umfeld habe sie als «Quereinsteigerin» jedoch keine Zurückweisung erfahren. «Oft höre ich, man sei vor unserem oder vor meinem Auftritt kritisch gewesen, dann aber sehr positiv überrascht worden – Jodler kann man mit gutem Jodeln überzeugen.» Da sei das Drumherum – Lebensweise, politische Einstellung, Herkunft – meist irrelevant.
Dass die sogenannte Neue Volksmusik sich ganz klar von der traditionellen Volksmusik abgrenzt, scheint trotzdem sehr wichtig zu sein. Von beiden Seiten. «Ich glaube, es ist die Angst davor, dass Heimat und Tradition verloren gehen. Weil sich etwas verändert.» Eine Angst, die auch sie kenne. Sich dieser bewusst zu sein und sich über seinen eigenen Heimatbegriff Gedanken zu machen, könne da helfen. Wie auch bei vielen anderen Ängsten um die eigene «Heimat».
- Gespräch mit Simone Felber
- Medienmitteilung des Kollektivs Fetter Vetter & Oma Hommage
- Recherche zum Heimatbegriff