Rezension «zentral!» im Kunstmuseum Luzern

So geht Kunst in der Zentralschweiz!

Andreas Weber röntgt den Inhalt von 125 Paketen. (Bild: Marlis Huber)

Die Gestalt von unsichtbaren Kräften und Röntgenaufnahmen, die von Behutsamkeit und Respekt zeugen. Die Ausstellung «zentral!» im Kunstmuseum Luzern ist eröffnet. Sie ist vieles in einem: ein Kosmos mit vielen Geschichten, eine Talentschmiede, eine farbige Plattform mit Ausstrahlung. Und heute Samstag ist sie sogar gratis für alle.

Vieles ist zu sehen an der neu eröffneten Ausstellung «zentral!»: eine textile, knallige Decke von Corinne Odermatt oder die reduzierte Bildsprache von Sereina Steinemann. Auch die seismografische Fragilität von Irene Weingartner sowie robuste Hütten im Bauhausstil, gezimmert von der Künstlerin Patricia Bucher. An den wunderbar abstrakten Landschaften in Öl von Marie-Theres Amici kann man sich kaum sattsehen.

Mit der alljährlichen Ausstellung «zentral!» zeigt das Luzerner Kunstmuseum aktuelle Arbeiten von Kunstschaffenden mit Zentralschweizer Bezug. Aus insgesamt 177 eingegangenen Arbeiten wählte die Jury 27 Werke mit Ausstrahlung weit über die Region aus.

Röntgenaufnahmen mit Respekt

Auch die 125 kleinformatigen Röntgenaufnahmen, hergestellt und arrangiert von Andreas Weber, vermögen einen in den Bann zu ziehen. Anlass für dieses Gemeinschaftswerk waren einerseits die Gründung von Visarte vor 125 Jahren und andererseits die Erfindung des Röntgenapparats im gleichen Jahr. Das wandhohe Werk besteht aus 125 einzelnen Bildern. Jedes wurde von einer anderen Künstlerin gemacht und dann Andreas Weber zugestellt.

Die Kuratorin Alexandra Blättler zeigt auf das verschlossene Paket auf dem Boden: «Statt die eingetroffenen Pakete zu öffnen und das Werk zu entnehmen, liess der Künstler die Schachteln verschlossen und machte den Inhalt nur durch eine Röntgenaufnahme sichtbar. Diese Schachtel hier erinnert aber zusätzlich an den unerwarteten Tod des Künstlers Stefan Banz. Wir wissen nicht, was drin ist, denn Weber hat sie als einzige nicht mal geröntgt.» Ob dieses Gemeinschaftswerk von einem behutsamen, vorsichtigen und respektvollen Umgang mit dem Anderen, mit dem Fremden zeugt?

Heuschrecke an der Fassade des KKL und Reminiszenzen an die Kunst

Wir sind bereits mittendrin. Dabei beginnt die Ausstellung eigentlich draussen an der Fassade des Kunsthauses. Dort nämlich hängt das grosse Bild mit der Heuschrecke. Der Luzerner Künstler Christian Kathriner erinnert damit an die schlimmen Weissagungen aus der Offenbarung des Johannes. Nebst Seuchen und  Naturkatastrophen, so steht es dort geschrieben, sollen die Menschen einst auch von einer Heuschreckenplage heimgesucht werden. Alles Weitere ist bekannt, also gehen wir lieber wieder zurück ins Museum und betreten endlich den ersten Ausstellungsraum.

Dort sehen wir einen Mauerbrocken, mit Seilen fix arretiert, im Raum hängen. Dieses Mauerfragment hat der Künstler Simon Kindle nicht zufällig ausgewählt. Wie die Kuratorin Alexandra Blättler weiss, entstammt es nämlich aus dem ehemaligen Gallati-Haus an der Bernstrasse. Unter dem Namen «Tat-Ort Bernstasse» wurde dieses Haus von Kunstschaffenden über mehrere Jahre zwischengenutzt, bis es letztes Jahr abgebrochen wurde. Der farbig bemalte Brocken ist zudem ein kleiner Rest des Wandbilds, welches die Fassade des Hauses zierte und vom Luzerner Maler Leopold Häfliger erschaffen wurde. Das Werk von Simon Kindle kann somit als dreifache Reminiszenz an die Kunst gelesen werden.

Jurypreis und Preis der Kunstgesellschaft

Der Jurypreis von 10‘000 Franken geht dieses Jahr an das Künstlerduo Marianne Halter und Mario Marchisella. Sie haben in ihrer Videoarbeit mit dem Titel «Debutantenball» eine Fahrschule in Japan gefilmt. Durch den reduzierten Bildausschnitt und die verzogene Ebene haftet dieser bewegten Arbeit etwas Irreales und Absurdes an. Der Preis der Kunstgesellschaft wiederum erhält der 32-jährige Ramon Hungerbühler. Er spielt mit einem Augenzwinkern mit der Geschichte der Malerei, mit Pop-Art-Comic und manchmal auch mit Abstraktion. Der Preisträger darf somit das nächste Jahr im Rahmen der Ausstellung Solo einen ganzen Raum bespielen.

Ausstellung Solo gibt unsichtbaren Kräften eine Gestalt

Im letzten Raum befinden wir uns in der aktuellen Ausstellung Solo, die von der jungen Künstlerin Mathola Wittmer gestaltet wurde. Entstanden sind 35 eindringliche, performative Videoarbeiten. Wittmer ist eine Künstlerin, die den unsichtbaren, zwischenmenschlichen Kräften Gestalt verleiht. So knüpft sie auch mit dem Tisch in der Mitte des Raums thematisch an ihre letztjährige Pulloverkollektion an. Denn unter dem Tisch herrscht ein regelrechtes fest ineinander verzurrtes Durcheinander, von dem loszukommen nicht ganz einfach zu sein dürfte.

Gut möglich, dass Wittmer für ihre körperlich intimen, reduzierten Arbeiten künstlerische Inspiration bei Erwin Wurm oder Marina Abramović fand. Ganz der Performance verpflichtet wird Mathola Wittmer zusammen mit ihrem Team zudem an zwei Tagen im ganzen Kunstmuseum mit ihren Liveperformances die Besucher überraschen und dabei die Grenzen von Kunst und Wirklichkeit infrage stellen.

Die Daten für geführte Rundgänge mit der Kuratorin, den beteiligten Kunstschaffenden sowie für öffentliche Führungen sind unter http://www.kunstmuseumluzern.ch  einzusehen.

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