Journalisten lesen «Hate Poetry»

Purer Hass im Südpol

Die Journalisten von «Hate Poetry» machen sich aus einer der traurigsten Seiten ihres Berufs einen Spass. Deniz Yücel, Moahamed Amjahid, Yassin Musharbash und Mely Kiyak (v. links). (Bild: jav)

In Deutschland sind sie der Renner: Die «Hate Poetry» Veranstaltungen, aus welchen man völlig erschöpft wieder nach Hause geht. zentral+ konnte sich das in Luzern nicht entgehen lassen. Wir verbrachten einen Abend, bei dem man Tränen lachte und «kotzen» wollte.

Es gibt die Momente, in welchen einem das Lachen im Halse stecken bleibt. Dieses Gefühl kann getoppt werden. Passiert bei «Hate Poetry» im Kulturzentrum Südpol in Luzern.

Das Konzept geht so: Journalisten lesen aus ihren schönsten, derbsten, vulgärsten Leserbriefen und treten damit gegeneinander an. In Deutschland gab es schon zahlreiche Veranstaltungen und die Bekanntheit von «Hate Poetry» steigt stetig an. Fünf Journalisten vom «Tagesspiegel», der «Welt», der «Zeit» und dem «Spiegel» waren nun erstmals in der Schweiz auch im Südpol mit dabei. Und dabei brachten sie sogar das Schweizer Publikum dazu, Kommentare in die Vorstellung reinzurufen — und das ohne Aufforderung. Der Südpol kochte.

Achtung mit ausländischen Namen!

Gerade Journalisten mit ausländisch klingenden Namen schlägt mittels Leserpost oft blanker Hass entgegen. Klischees, Vorurteile gegen Ausländer, Muslime, Sexistisches, mitunter obszöne Briefe – Texte voller Beschimpfungen, Beleidigungen oder eben einfach nur guter, alter Hass.

«Gehen sie bitte zurück in ihre Heimat, dann wird ihnen auch nie etwas zustossen.»
Auszug aus einem Leserbrief an den Journalisten Moahamed Amjahid

Ein paar Auszüge

Zur Einstimmung einige hübsche, logische und weniger logische Zitate aus den vorgetragenen Leserbriefen und -mails:

Dieses Radiofeature ist mir zu differenziert. Jetzt müssen wir beim Thema Salafismus auch differenzieren? Nein danke. Ich bleibe lieber bei meiner Überzeugung, dass alle Mohamedaner gefährlich sind und die Demokratie gefährden. Deshalb schlage ich vor: Einen Referendum und alle Muslime weg.

Er berichtet aus Pakistan und tut so, als wäre das ein Land mit wunderbaren Menschen. Aber das ist es nicht.

Wären die Deutschen tatsächlich so zurückgeblieben, dann wäre Herr Musharabarash gar nicht hier, weil man seine Eltern gar nicht gebraucht hätte.

Zahlreiche Grammatikalische Fehler und mühevoll aufgeschriebene Verschwörungstheorien, schlecht formulierte Beleidigungen, ungewöhnlich kreative Beleidigungen, Belehrungen und unheimliche Flirtversuche wechseln sich ab. Durch die schlagfertigen Journalisten wird das ganze fröhlich inszeniert mit viel Deko, Musik, Alkohol, Tabak, Schockolade und Konfetti.

Hier eine kurze Zusammenstellung prägnanter Stellen (Die wirklich prägnanten sind der Zensur, beziehungsweise dem guten Geschmack zum Opfer gefallen).

Die Prägnanten:

Kazim, du Karzinom. Musharbash, du Muschi. Du bepimmelter ***. Lieber Herr Hurensohn. Linker Gehirnwixer. Was biste für eine Linke Ratte, Junge. Du Kackvogel, du Parasit. Raus aus diesem Land. Du Passdeutsche. Ich würde ihnen den Schniedelwutz abschneiden.

Die Rausschmeisser:

Fahren sie zur Hölle, oder zurück nach Palästina. Geh endlich sterben – du Faschistens**. Gehen sie bitte zurück in ihre Heimat, dann wird ihnen auch nie etwas zustossen.

Der Blut- und Bodenbürger:

Die Bürger werden aufwachen. Dann richtet wieder das Volk, und dann gnade euch Gott.

Statt am Stammtisch im Maileingang

Liest man diese Worte schwarz auf weiss, sind sie ganz schön hart. Während man sich früher am Stammtisch den Frust von der Seele geredet, geschimpft und sich für rassistische und sexistische Beleidigungen gegenseitig auf die Schultern geklopft hat, ist heute das World Wide Web ein treues Sprachrohr.

Die brodelnde Wut ist mit ein paar Klicks bereits beim Autoren. Und durch die Kommentarspalten und die Sozialen Medien hat sich die Flut dieser spontanen und oft unreflektierten Reaktionen vergrössert.

«Wir machen aus Scheisse Gold und aus rassistischem Dreck eine Party.»
Yassin Musharbash, Journalist bei der «Zeit»

Bei der Veranstaltung vorgelesen, mischen sich die Worte der Leserbriefschreiber mit den amüsierten und überraschten Kommentaren der betroffenen Journalisten. Und diese verstehen sich ausgezeichnet darin, jene als Dilettanten und Rassisten zu überführen. Wenn sie es nicht bereits selber tun.

Aber nicht nur über die Leserbriefschreiber wird sich bei Hate Poetry lustig gemacht, alle kriegen ihr Fett weg. Christen, Hindus, Muslime, Türken, Deutsche, Inder. Und jetzt in der Schweiz, natürlich auch die Schweizer.

 

 

Auf der Bühne wird fast vier Stunden lang gesoffen, geraucht, gegrölt, es fliegen Konfetti und auch mal ein Glas. Ein Minarett wird illegalerweise errichtet und auch das Publikum kommt immer mehr in Fahrt. Man lacht den ganzen Abend, aber lustig ist es eigentlich nicht. Es ist tragisch, dass da fünf Menschen sitzen, die solche Worte an den Kopf geknallt bekommen. Dafür, dass sie ihren Job machen, recherchieren und schreiben. Oder eigentlich dafür, dass sie das mit ausländischen Namen tun: Deniz Yücel, Mely Kiyak, Hasnain Kazim, Yassin Musharbash, Moahamed Amjahid und Moderatorin Doris Akrap.

Es sei nicht lustig, wenn man solch hasserfüllte und teilweise bedrohenden Briefe und E-Mails alleine im Büro erhalte. Aber mit diesen Abenden sei es möglich, die Leute und ihre Hassbriefe gemeinsam aus- und wegzulachen, sagt Yassin Musharbash am Ende der Veranstaltung und schliesst mit: «Wir machen aus Scheisse Gold und aus rassistischem Dreck eine Party.»

Deine Ideefür das Community-Voting

Die Redaktion sichtet die Ideen regelmässig und erstellt daraus monatliche Votings. Mehr zu unseren Regeln, wenn du dich an unseren Redaktionstisch setzt.

Deine Meinung ist gefragt
Deine E-Mailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert. Bitte beachte unsere Netiquette.
Zeichenanzahl: 0 / 1500.


0 Kommentare
    Apple Store IconGoogle Play Store Icon