Jedes dritte Schwein im Land lebt in Luzern. Auch wenn die hiesigen Behörden mehr Tierschutzverstösse ahnden als die meisten anderen, ist der Kanton kein Musterschüler. zentralplus stösst die Tür auf zu Ställen, in denen grösstes Leid herrscht.
Als die Kontrolleure den Schweinestall betreten, stehen sie im Dunkeln. Ein Morgen im November 2022, Mitarbeiter des Veterinärdiensts sind auf diesem Hof im Kanton Luzern zur Kontrolle erschienen. Unangemeldet. Und zusammen mit der Veterinärpolizei.
Über 2000 Schweine werden auf dem Grossbetrieb gehalten, alleine fast 500 leben in diesem Stall, in dem das Licht nicht brennt. Das notieren die Kontrolleure als Verstoss gegen das Tierschutzgesetz. Diesem zufolge müssen Schweine mindestens acht Stunden am Stück täglich Licht haben. Im Stall aber wird das Licht nur angemacht, wenn der Bauer zur Fütterung kommt.
Bauer lässt verletztes Schwein nicht erlösen – es kann noch Geld bringen
Im Gang finden die Beamten ein Schwein, das nicht mehr aufstehen kann. Das Tier habe sich am Morgen beim Verladen zur Schlachtung etwas gebrochen, sagt der Inhaber der Schweinemast zu den Behördenvertretern. Dem Schwein geht es schlecht, es leidet.
«Der Beschuldigte hat aus rein monetären Motiven pflichtwidrig zu lange mit einer tiergerechten Versorgung oder der Euthanasie (…) zugewartet.»
Aus dem Strafbefehl im Verfahren SA3 23 554 31
Die Kontrolleure sagen dem Bauern, er solle sofort einen Tierarzt aufbieten, der das Schwein erlöst. Doch der Mann weigert sich. Das Tier, so der Bauer, sei schlachtreif und könne verwertet werden. Das ginge nicht mehr, wenn es Medikamente bekommt. Also lässt der Mann das Tier von zwei Mitarbeitern zur Notschlachtung transportieren. Unter grossen Schmerzen. Und in einem Auto, das nicht für den Tiertransport ausgerüstet ist; dem Laderampe und Schutzgitter fehlen.
Strafverfolger büssen Bauern mit 10'000 Franken
«Der Beschuldigte hat aus rein monetären Motiven pflichtwidrig zu lange mit einer tiergerechten Versorgung oder der Euthanasie (…) zugewartet», wird es später in einem Strafbefehl der Luzerner Staatsanwaltschaft heissen. Diese verurteilt den Grossbauern im März dieses Jahres wegen sechs Verstössen gegen das Tierschutzgesetz. 10'000 Franken Busse muss der Mann zahlen. Zudem legt ihm der Staat 30 Tagessätze bedingte Geldstrafe auf. Auf 3000 Franken veranschlagt die Staatsanwaltschaft den Tagessatz, der sich am Vermögen eines Beschuldigten bemisst.
zentralplus hatte Einsicht in den Strafbefehl vom 7. März. Und in alle anderen Strafbefehle und Urteile, welche die Luzerner Staatsanwaltschaft zwischen Januar 2022 und Oktober 2023 dem Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen übermittelt hat. Alles in allem fast 500 Dokumente, die zeigen, wie es um das Tierwohl im Kanton Luzern bestellt ist. Oder besser: Wie oft ans Licht kommt, wenn sich Tierhalter darum foutieren.
Immer wieder Nutztiere betroffen
Unter den Fällen sind Bagatellen wie Hundebisse. Kuriositäten wie ein Bauer, der sein Vieh verbotenerweise auf einer Waldlichtung grasen liess (30 Tagessätze bedingt und 800 Franken Busse wegen diesem und weiterer Delikte). Aber auch traurige, teilweise verstörende Fälle. So verurteilte die Staatsanwaltschaft im November 2022 einen möglicherweise geistig verwirrten Mann, der ein Kaninchen in einem Plastiksack drei Meter in die Luft warf und es auf den Boden fallen liess. Und zwischen Oktober 2020 und 2021 verging sich ein Mann in einem Luzerner Stall mehrmals sexuell an Kälbern und Pferden, wofür ihn die Staatsanwaltschaft im Sommer 2022 zu einem halben Jahr Gefängnis bedingt verurteilte.
Immer wieder waren Nutztiere von Tierschutzverstössen betroffen, darunter oft Schweine, wie es sie in Luzern mehr als irgendwo sonst in der Schweiz gibt. Per 1. Januar 2021 lebten laut Lustat Statistik Luzern 428'132 Schweine im Kanton Luzern. Das waren 31,3 Prozent des gesamten Schweinebestandes der Schweiz. Oder, anders gesagt: Jedes dritte Schwein im Land lebt in einem Luzerner Stall.
Luzern führt überdurchschnittlich viele Verfahren
In einem stiessen Veterinärpolizei und eine amtliche Tierärztin im Oktober 2022 auf ein halb verdurstetes Schwein. Es war laut dem Strafbefehl «hochgradig lahm», konnte seine Hinterbeine nicht belasten und nicht aufstehen, um zu trinken.
Der Inhaber des Hofs mit über 150 Schweinen war den Behörden immer wieder aufgefallen. Seit 2012 hatten diese laut dem Strafbefehl mehrmals «teils schwerwiegende Mängel» auf dem Betrieb beanstandet.
An diesem Oktobertag 2022 stellen die Kontrolleure fest, dass 57 von 170 Schweinen auf dem Hof keinen «Zugang zu Beschäftigungsmaterial» hatten, obwohl sich Tiere «jederzeit mit Stroh, Raufutter oder andrem gleichwertigen Material beschäftigen können müssen». Per Strafbefehl verurteilt die Staatsanwaltschaft den Bauern zu 50 Tagessätzen unbedingter Geldstrafe à 70 Franken und zu 400 Franken Busse.
«Angesichts der knapp zwei Millionen Nutztiere, die im Kanton Luzern gehalten werden, fällt die Anzahl abgeschlossener Strafverfahren weiterhin sehr tief aus.»
Sibel Konyo, Stiftung für das Tier im Recht
Der Strafbefehl gegen den Bauern stammt von diesem Januar – und ist einer von 119 Strafbefehlen, welche die Staatsanwaltschaft Luzern bis zum 1. Oktober wegen Verstössen gegen das Tierschutzgesetz erlassen hat. 2021 und 2022 waren es 136 und 139 Strafbefehle im Jahr, die Zahlen bleiben also mehr oder weniger stabil. Und: Verglichen mit anderen Kantonen sind die Luzerner sie seit Jahren konstant hoch.
Die Stiftung für das Tier im Recht hielt vergangenes Jahr in einer Analyse zur Strafverfolgung von Tierschutzfällen fest: Gemessen an der Bevölkerungsanzahl verfolgt der Kanton Luzern überdurchschnittlich viele Fälle von Tierschutzverstössen. 3,88 Strafentscheide haben die Luzerner Strafverfolger pro 10'000 Einwohnerinnen gefällt; schweizweit lag der Durchschnitt bei 2,5 Entscheiden.
Aber: viele Verfahren sind nicht gleich viele Verfahren
Luzern, ein Musterschüler? «Das wäre zu hoch gegriffen», sagt Sibel Konyo von der Stiftung für das Tier im Recht und Mitautorin der erwähnten Analyse. Die Zahlen dürfe man nicht nur mit den anderen Kantonen vergleichen, man müsse sie auch mit Blick auf die Gesamtzahl Tiere in einem Kanton bewerten. Konyo: «Angesichts der knapp zwei Millionen Nutztiere, die im Kanton Luzern gehalten werden, fällt die Anzahl abgeschlossener Strafverfahren weiterhin sehr tief aus. Entsprechend ist von einer hohen Anzahl nicht verfolgter und geahndeter Tierschutzdelikte auszugehen.» Viele Verstösse, so Konyo, dürften sich hinter verschlossenen Haus- und Stalltüren ereignen – und daher unentdeckt bleiben.
«Die Nutztierhaltenden im Kanton Luzern halten sich grossmehrheitlich an die Vorgaben der Tierschutzgesetzgebung.»
Martin Brügger, Luzerner Kantonstierarzt
Zudem kritisiert die Stiftung für das Tier im Recht die vergleichsweise milden Strafen für Tierschutzdelikte. Obwohl das Gesetz für Übertretungen Bussen bis 20'000 Franken zulasse, hätten die Luzerner Behörden Konyo zufolge 2021 im Mittel Bussen von 300 Franken verhängt. Bei den Geldstrafen, die bis zu 180 Tagessätze reichen können, seien es 30 Tagessätze im Mittel gewesen. Deshalb wäre es laut Konyo «überaus positiv», wenn das Veterinäramt als zuständige Stelle für die Tierschutzkontrolle im Kanton Parteirechte im Strafverfahren hätte. «Dies würde es der Behörde ermöglichen, Beschwerde gegen unzureichende Tierschutzstrafentscheide zu führen. Leider verfügen bisher aber nur das Veterinäramt Zürich, St. Gallen sowie Bern über eine entsprechende Rechtsmittellegitimation», so Konyo.
Kantonstierarzt stellt Bauern gutes Zeugnis aus
Darauf angesprochen, sagt der Luzerner Kantonstierarzt Martin Brügger, es liege nicht in der Kompetenz des Veterinärdiensts, auf diese Forderung etwas zu entgegnen. Allerdings sagt er, es sei wichtig, dass der Veterinärdienst genügend Personal hat: «Gerade unangemeldete Kontrollen generieren einen grösseren Aufwand als angemeldete Kontrollen. Des Weiteren sind nicht alle kontrollierten Personen über diese Kontrollen erfreut, was für die Kontrollpersonen bei ihrer Arbeit sehr herausfordernd sein kann.»
Die geltenden Gesetze würden einen hohen Anteil unangemeldeter Betriebskontrollen verlangen. Das sei ein «gutes Instrument», um effizient gegen Tierschutzverstösse vorzugehen, sagt der Kantonstierarzt, der den Luzerner Bauern ein gutes Zeugnis ausstellt: «Die Nutztierhaltenden im Kanton Luzern halten sich grossmehrheitlich an die Vorgaben der Tierschutzgesetzgebung. Wir weisen zudem darauf hin, dass bei den geahndeten Verstössen gegen das Tierschutzgesetz nebst den Nutztierhaltenden auch Heim- und Wildtierhaltende in vergleichbaren Masse betroffen sind.»
Schlange verschwindet, Polizei bringt sie zurück
Darunter auch solche, die exotische Tiere halten – wobei es in mindestens einem Fall wohl vor allem bei einem Schock geblieben sein dürfte: Im September 2022 meldeten Passanten, sie hätten eine Schlange gesehen. Die Halterin der Königspython hatte das Terrarium nicht richtig verschlossen, die Schlange, die vor allem in Afrika vorkommt, konnte entkommen und war einen Tag lang im Freien. Die Folge: eine unterkühlte Schlange, ein Polizeieinsatz und 300 Franken Busse für die Halterin.
- Strafbefehle SA3 23 554 31, SA2 21 11554 22, SA 2 18 9554 26, SA3 21 5844 32, SA3 23 447 31 und SA3 22 7054 35 der Luzerner Staatsanwaltschaft
- Mitteilung von Lustat Statistik Luzern
- Schriftlicher Austausch mit der Medienstelle der Luzerner Staatsanwaltschaft
- Schriftlicher Austausch mit Sibel Konyo
- Schriftlicher Austausch mit Martin Brügger