Gastronom in Emmenbrücker Restaurant abgestochen

Die Lust auf Zigaretten endet in einer Messerattacke

Der Zigarettenautomat wollte nicht funktionieren – und löste damit eine verhängnisvolle Kettenreaktion aus. (Bild: Adobe Stock)

Ein junger Mann möchte in einem Restaurant in Emmenbrücke Zigaretten kaufen, doch der Automat funktioniert nicht. Es kommt zu einer Auseinandersetzung mit dem Geschäftsführer, wobei er mit einem Messer zusticht. Am Luzerner Kriminalgericht musste er sich nun wegen versuchten Mordes verantworten.

«Rauchen kann tödlich sein», heisst es jeweils auf den Zigarettenpackungen. Ein Gastronom aus Emmenbrücke musste das erst kürzlich am eigenen Leibe erfahren. Jedoch nicht aus den Gründen, die man zunächst annehmen würde.

Stein des Anstosses: ein defekter Zigarettenautomat

Eigentlich sollte er an diesem Dienstag gar nicht arbeiten. Erst kurz zuvor hatte er sich seinen Arm bei einem Velounfall gebrochen. Doch um seinen Geschäftspartner und Schwager zu unterstützen, war er am an diesem Frühlingstag vor zwei Jahren in seinem Lokal in Emmenbrücke. Dort bemerkte er einen jungen Mann, der etwas ratlos vor dem Zigarettenautomaten herumstand.

Der junge Mann erklärt auf seine Nachfrage, er habe mit einer 10-Franken-Note Zigaretten kaufen wollen. Doch der Automat hätte die gewünschte Packung nicht ausgespuckt. Der Geschäftsführer probierte es mit etwas Kleingeld gleich selbst. Bei ihm klappte es ohne Probleme. «Ich habe dann gedacht, er wollte mich reinlegen. Bei mir funktionierte das Gerät ja.» Es folgt ein Gerangel um die Packung. Auch die Polizei, die zufällig vorbeifährt, wird involviert. Sie bittet den jungen Mann, das Lokal zu verlassen.

«Die psychischen Schäden des Opfers werden für immer bleiben. Und das wegen 7.80 Franken.»

Staatsanwältin

Am nächsten Tag steht der junge Mann wieder vor dem Restaurant. Er macht durch das Fenster ein Foto – laut eigenen Angaben, um damit später zur Polizei zu gehen. Das passt dem Gastronomen überhaupt nicht. Er verlässt das Lokal und geht auf den inzwischen 22-Jährigen zu. Dann geht es ganz schnell: Der Raucher hat bereits ein Messer gezückt und rammt es seinem Opfer in den Bauch. Die Folge: eine 10 Zentimeter tiefe, lebensbedrohliche Stichwunde. Er musste im Kantonsspital notoperiert werden. Wegen starker, anhaltender Schmerzen musste er zwei Wochen später erneut hospitalisiert werden.

Mordversuch wegen 7.80 Franken

So zumindest der überlieferte Teil des Ablaufs. Doch vor dem Luzerner Gericht werden Ende März zwei deutlich verschiedene Tatbilder gezeichnet. Die Staatsanwaltschaft und der Anwalt des Privatklägers attestieren dem Beschuldigten Skrupellosigkeit und dass er das Opfer vorsätzlich ermorden wollte.

Bereits am Vortag soll er beim Verlassen des Lokals in gebrochenem Deutsch gedroht haben: «Wir sehen uns. Ich bringe Messer. Ich mache dich tot.» Wie angekündigt sei er am nächsten Tag ins gleiche Restaurant gegangen und schoss das Foto, um zu provozieren. Als das Opfer dann herauskam, stach er «unvermittelt» zu. Später soll er gegenüber eines Polizisten bei der Sichtkontrolle vom Opfer als «Dreckskurden» gesprochen haben und dass er den «Abschaum töten» wolle, hiess es seitens der Anklage.

Für die Staatsanwaltschaft ist klar, das Verschulden wiegt sehr schwer. Bis heute zeige er keine Reue und habe sich auch nicht beim Opfer entschuldigt. Die Staatsanwaltschaft fordert deshalb eine unbedingte Freiheitsstrafe von acht Jahren, eine unbedingte Geldstrafe von 75 Tagessätzen à 30 Franken und einen 15-jährigen Landesverweis für den jungen Somalier. «Die psychischen Schäden des Opfers werden für immer bleiben. Und das wegen 7.80 Franken.» Das Opfer verlangt zusätzlich noch eine Genugtuung von 14'000 Franken.

Verteidigung: «Notwehr-Exzess»

Ein gänzlich anderes Bild zeichnet jedoch die Verteidigung. Für sie handle es sich beim Messerstich um einen «Notwehr-Exzess». Auslöser sei eine massive Aggression des Opfers und anderer Beteiligten gewesen.

So habe das Opfer am Vortag den damals 20-Jährigen beim Zigarettenautomaten geschlagen und ihn danach aus dem Restaurant gezerrt. Nicht ohne gegen die Staatsanwältin zu sticheln, erwähnt die Verteidigung: «Für jemanden mit einem Gehalt von über 100'000 Franken mag das eine Bagatelle sein. Für einen Beschuldigten, der mit ganz wenig Geld leben muss, ist 7.80 Franken aber nicht wenig.»

«Er hatte in seinem bisherigen Leben noch nie eine Chance.»

Verteidigung

Der junge Mann fühlte sich zutiefst ungerecht behandelt. Am nächsten Tag sei er deshalb erneut zum Restaurant gegangen, um ein Foto für eine Anzeige zu machen. Danach seien zwei Bekannte des Opfers auf ihn zugekommen, hätten ihn gepackt und in eine Ecke gedrängt. Deshalb habe er sein Sackmesser gezogen und es hin und her geschwenkt, um die beiden Personen zu vertreiben.

Das Opfer kam danach angerannt und habe dem Beschuldigten erneut einen Hieb verpasst, weshalb der Mann das Messer nach vorne gestossen hat. Für die Verteidigung befand sich der Angeklagte klar in einer Notwehr-Situation – auch wenn er die Grenzen der rechtmässigen Notwehr überschritten habe.

Beschuldigter leidet an psychischen Problemen

Weiter macht die Verteidigung mildernde Umstände geltend. Gemäss einem psychiatrischen Gutachten leide der 22-Jährige an Depressionen, einer posttraumatischen Belastungsstörung und einer akzentuierten Persönlichkeitsstörung. Im Gefängnis wird er deshalb therapiert und nimmt mehrere Medikamente. Mit einer Massnahme für junge Erwachsene könne der junge Mann auf die richtige Spur kommen: «Er hatte in seinem bisherigen Leben noch nie eine Chance.»

Er plädiert deshalb auf eine versuchte eventualvorsätzliche Tötung, begangen im Notwehr-Exzess. Die Freiheitsstrafe soll deshalb maximal 42 Monate in Anrechnung der bisherigen Haft betragen. Auf den Landesverweis soll nach Meinung des Verteidigers verzichtet werden.

Bereits mit 13 Jahren sei sein Klient von Unbekannten entführt worden, die ihn für eine Schwarmmiliz zwangsrekrutieren wollten. «Würde man ihn nach Somalia zurückführen, hätte er mit höchster Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen, dass er gefoltert, unmenschlich behandelt oder gar getötet würde.» Auch auf die Geldstrafe sei zu verzichten.

Kriminalgericht spricht Landesverweis aus

Letztlich scheint die Version der Staatsanwaltschaft das Kriminalgericht mehr überzeugt zu haben. Das Gericht spricht den Angeklagten der versuchten vorsätzlichen Tötung und der Sachbeschädigung schuldig. Denn im vorzeitigen Strafvollzug hat der Angeklagte seine Zelle im Grosshof Kriens verwüstet, wodurch ein Sachschaden von rund 2'000 Franken entstand.

Aufgrund seines psychologischen Gutachtens wird ihm jedoch eine leicht verminderte Schuldfähigkeit zugestanden. Er wird deshalb zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt, unter Anrechnung der fast zwei Jahre, die er bereits in Haft verbrachte. Diese wird jedoch zugunsten einer Massnahme für junge Erwachsenen aufgeschoben. Während rund vier Jahren wird er in einer speziellen Anstalt therapeutisch behandelt.

Nach der Freiheitsstrafe soll er für 12 Jahre des Landes verwiesen werden. In Ländern wie Somalia kann die Rückführung jedoch je nach Situation aufgeschoben werden. Die entsprechende Beurteilung obliegt zu gegebener Zeit der Vollzugsbehörde.

Messerattacke kommt ihn teuer zu stehen

Hinzu kommt eine saftige Geldstrafe: Einerseits muss der Beschuldigte dem Privatkläger 10'000 Franken als Genugtuung und 3'800 Franken für eine Parteientschädigung zahlen. Hinzu kommen fast 30'000 Franken an Verfahrenskosten.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Die Parteien haben die Möglichkeit, Berufung einzulegen. Sollten sie dies innert 10-Tages-Frist nicht tun, wird der Entscheid rechtskräftig.

Verwendete Quellen
  • Urteil 2O6 20 155 vom Kriminalgericht vom 31. März 2022
  • Anklageschrift SA1 20 4485 17 vom 7. September 2020
  • Verhandlung vor Kriminalgericht am 31. März 2022
  • Telefonat mit Kriminalgerichtspräsidentin Petra Venetz
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