Persönliche Einblicke in ihr Leben

So begründet die Luzerner Hackerin ihre Angriffe auf US-Firmen

Kann wohl nie mehr in die USA reisen. Die Luzernerin Tillie Kottmann. (Bild: Instagram)

Die US-Justiz geht konkret gegen die Luzerner Hackerin Tillie Kottmann vor. In Übersee drohen ihr bis zu 20 Jahre Haft. Nun spricht die Hackerin erstmals persönlich darüber, was sie antreibt – nämlich die Wut auf das System.

Die Luzerner Hackerin und Juso-Mitglied Tillie Kottmann ist Mitte März international bekannt geworden. Sie hatte sich von ihrer Wohnung im Bruchquartier aus Zugang zu rund 150’000 Überwachungskameras der US-Firma Verkada verschafft – unter anderem in Spitälern, Gefängnissen, Schulen und Polizeirevieren (zentralplus berichtete).

In der «Republik» spricht Kottmann nun persönlich und offen über ihr Handeln und ihre Einstellungen. Der Umstand, dass sie queer ist, sei entscheidend dafür gewesen, dass sie sich politisch radikalisiert habe. «Da erfährst du am eigenen Leib, dass rechte Menschen nicht wollen, dass du existierst. Und so hast du natürlich umso mehr Gründe, auf das System wütend zu sein», lässt sie sich zitieren. Aber auch das «böse Internet» habe zur Radikalisierung beigetragen.

Hass auf Rechte...

Gegenüber rechten US-Medien, die sie interviewten und nach ihrem Motiv fragen wollten habe sie gesagt: «Be gay, do crime», erzählt sie der Republik (sei homosexuell und kriminell). Und der amerikanischen Zeitung «News Week» teilte sie mit: «Wenn ihr unbedingt ein Statement wollt, dann folgendes: Ich fände es schön, wenn euer rechtsextremer Autor Andy Ngo mal wieder eine Milchshake-Dusche abkriegen würde.»

Auf Fotos der «Republik» ist Tillie Kottmann an ihrem Pult mit einer rosaroten Tastatur und Maus zu sehen. «Ich habe die Daten auf meiner Website und meinem Twitter-Kanal publiziert oder direkt mit Journalisten zusammengearbeitet, und das hat die Straf­verfolgungs­behörden wohl provoziert: Da greift jemand unser System an – und steht auch noch dazu», sagt sie gegenüber dem Online-Magazin.

... und das System

Journalisten konnten dank Kottmann hochauflösend in US-Gefängnisse blicken, Spitalpatienten beim Atmen zuhören, einen Blick in die Fabriken von Tesla erhaschen oder einem Vater zusehen, der in seinem privaten Haus mit den Kindern spielt.

«Die Artikel in den Medien auch über meine Aktionen sind häufig positiv, und das ist sicherlich ein Problem für die Amerikaner oder das kapitalistische System», zitiert die «Republik» Tillie Kottmann weiter. Dies sei der Fall, da ihresgleichen oft Missstände aufzeigen oder einen Einblick gäben, wie diese Computer­systeme überhaupt funktionieren.

«Wir werden mit jedem Tag von diesen Systemen abhängiger, wir werden jeden Tag mehr überwacht, und wir wissen praktisch nichts über das Innenleben der Systeme. Was sich darin verbirgt. Wie die Algorithmen programmiert werden. Was mit unseren Daten passiert, wer alles mitliest und mitschaut. Oder dass ärmere Länder keine Möglichkeit haben, gewisse Dinge ebenfalls zu produzieren, weil man die Bausätze nicht kennt. Ich kämpfe für Open Source. Und für Transparenz.»

Die Systeme zu hacken, war einfach

Gerade der Fall der US-Sicherheitsfirma Verkada habe offenbart, «wie krass selbstüberwacht» die Menschen mittlerweile seien und wie schlecht die Dinge geschützt sind. «Ausser einer hohen Risiko­toleranz brauchte man keine besonderen Kenntnisse, um in diese Systeme zu gelangen», hält Kottmann fest. Oder anders gesagt: Eine junge Frau kann von ihrem Sofa im Luzerner Bruch-Quartier aus relativ gemütlich und einfach persönlichste Daten abgreifen und in die privatesten Räume vieler Menschen auf dem ganzen Planeten eindringen.

Die Geschichte zeige folglich, wie es im Internet zu- und hergeht und vor welchen Problemen unsere Gesellschaft steht, analysiert Hernâni Marques vom Chaos Computer Club Schweiz die Situation in der «Republik». Kottmann selbst hält zum Schluss fest: «Letztlich wollen wir den Kapitalismus überwinden. Und bis dahin zumindest für ein bisschen mehr Transparenz sorgen. Ich denke, das ist uns gelungen.»

Tillie Kottmann identifiziert sich als non-binär. Das bedeutet, dass sie sich weder als Mann noch als Frau fühlt. Auf Instagramm erklärte sie, dass sie derzeit mit dem Namen Tillie experimentiere, weshalb wir im Text diesen Namen und das weibliche Geschlecht verwendet haben.

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3 Kommentare
  • Profilfoto von Dunning-Kruger
    Dunning-Kruger, 22.04.2021, 10:53 Uhr

    Die utopischen Vorstellungen einer non-binären-Splittergruppe kollidieren nun mal ungebremst mit den Vorlieben, den tradierten Lebensgewohnheiten und den Partikularinteressen der Mehrheitsgesellschaft – das wird auch in hunderten von Jahren nicht anders sein. Wie friedfertig und prosperierend wären wohl die gesellschaftlichen Verhältnisse, wenn diese Mehrheitsgesellschaft ebenso die Handlungs-Prämisse «be hetero, do crime» fassen würde? Vorschlag: Öfters Kant statt Marx/Hegel zu Rate ziehen.

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  • Profilfoto von Setzen, sechs!
    Setzen, sechs!, 22.04.2021, 09:54 Uhr

    Wenn das eigene, subjektive Rechtsverständnis «go wild» spielt und die vermeintlich moralisch (politisch sublimierte und als rechtens empfundene ) legitime Basis für Verbrechen aller Art liefert, nimmt es exakt diese Gestalt an und wird Gefahr für die Freiheit aller. Daher auch die Rechtsetzung, die diesem Phänomen begegnen muss.

    «Be gay, do crime» – kurzum: Solch eine infantile Haltung ist hochgradig soziopathologisch, gesellschaftszersetzend (das brauchen sonst immer die Sozialisten) und gehört durch Fachleuty behandelt. Übrigens: In jedem System, welche das «überlegene Gesellschaftssystem» des Sozialismus als Vorstufe des Kommunismus real anwendet, wäre Frau Tillie mit solch einem Lifestyle und solchen Äusserungen bereits mehrfach auf Nimmerwiedersehen im Umerziehungslager verschwunden. Und nein, der Rechtsstaat kann dann nicht mehr im Revisionsverfahren angerufen werden.

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  • Profilfoto von Daniel Steiner
    Daniel Steiner, 21.04.2021, 18:03 Uhr

    Nur was im sozialistischen China und Russland angeht ist natürlich absolut ok.

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