Erstes Luzerner Wissensfestival räumt Preise ab

Ein Zeichen gegen Fakenews und Intellektuellen-Bashing

«Lüge oder Wahrheit?» – Christoph Fellmann, Co-Projektleiter des Wissensfestivals «aha», will dem Realitätsverlust etwas entgegensetzen.

(Bild: jal)

«Wie entscheidet die Dating-Plattform, wen ich treffe?» Diese und 23 weitere Fragen beantworten internationale Wissenschaftler bald in Luzern. Das Wissensfestival «aha», das im Januar erstmals stattfindet, will die Welt der Forschung vom Elfenbeinturm in den Südpol transferieren. Nur eines dürfen Besucher dabei nicht: mitreden.

Wer Festival hört, denkt an mitreissende Konzerte, eine berührende Vorstellung, an ein Bier unter freiem Sommerhimmel oder eine berauschende Nacht. An Dinge, die man so schnell nicht vergisst. Selten aber an Fakten, Forschung oder Vorträge von Wissenschaftlern.

Genau diesen Gegensatz zwischen Emotionalem und Vernunft will das neue Wissensfestival «aha» verbinden (siehe Box). Wie bei einem Openair gibt es zu essen, zu trinken, Bühnen, einen Late-Spot mit DJ. «Es soll ein Happening sein für neugierige Köpfe, nicht nur spassbeladen und keineswegs ein abgehobener Fachkongress», sagt Co-Projektleiter Christoph Fellmann. Der Autor und Theatermacher ist gemeinsam mit Journalistin Ana Matijašević für die Organisation verantwortlich.

Auf dem Programm stehen nicht Quantenphysik, Philologie oder betriebswirtschaftliche Konzepte. Sondern Themen aus der Mitte des Lebens. Ein Kuratorium aus ganz unterschiedlichen Leuten hat Fragen gesammelt. 150 kamen zusammen. Sie wurden wieder in die Runde gegeben, bewertet und für die besten 24 ein Forscher gesucht, der sie beantworten könnte.

«Was erlebte man bei einer Uraufführung von William Shakespeare im Jahr 1599?» – «Wie ungleich sind Vermögen und Einkommen tatsächlich verteilt?» – «Wie viel Migration braucht Europa?» – «Wie entscheidet die Dating-Plattform, wen ich treffe?» – «Wie schlimm ist das Insektensterben?» Ein Kaleidoskop der Forschungswelt.

Diskussion, nein danke!

Das Wissensfestival trifft offenbar einen Nerv der Zeit. Es hat im Frühling von der Albert Koechlin Stiftung einen namhaften Förderbeitrag erhalten. Zuvor bereits wurde es mit dem Zentralschweizer Förderpreis des Migros-Kulturprozents ausgezeichnet (zentralplus berichtete).

«Das Nachdenken und Forschen über die Welt ist existenziell für eine Gesellschaft.»

Christoph Fellmann, Co-Festivalleiter

Die Jury würdigte unter anderem die Bedeutung des Festivals in Zeichen von «Fakenews». Ja, man verfolge einen aufklärerischen Ansatz, sagt Co-Festivalleiter Christoph Fellmann. Er und sein Team wollen dem «Realitätsverlust», den Fakenews provozieren, etwas entgegensetzen. Dass ein solches Festival tatsächlich etwas gegen manipulative Falschinformationen bewirken kann, will er aber nicht behaupten. Es gehe eher darum, ein Zeichen zu setzen. «Mich persönlich nervt besonders die Wissenschafts- und Intellektuellenfeindlichkeit», sagt der 48-Jährige. Dass viele daran zweifeln, was Experten sagen; und sie als Elite zu verunglimpfen versuchen. Denn für Fellmann ist klar: «Das Nachdenken und Forschen über die Welt ist existenziell für eine Gesellschaft.»

Und deshalb soll es im Südpol in erster Linie darum gehen, den «gescheiten Menschen zuzuhören und nicht überall noch den eigenen Senf dazuzugeben». Der erste Arbeitstitel des Festivals lautete: «Shut up and listen!» Er zeigt: Meinungen sind nicht gefragt. «Die Voten nach Podien zeigen oft, dass es gar nicht um weitere Fragen geht, sondern einfach darum, sich zu profilieren. Das wollen wir nicht», begründet er. Wer noch etwas wissen wolle, könne die Forscher nachher an der Bar anhauen.

Ebenso unerwünscht sind Schlaftabletten. «Wir haben den Forschern gesagt: Wer nicht gerne auftritt oder vor Publikum spricht, soll lieber absagen», sagt Christoph Fellmann, der sich mit einem Augenzwinkern selber als «Anti-Wissenschaftler» bezeichnet, weil er weder ein Studium noch eine Ausbildung abgeschlossen und sich an der Universität nie wohlgefühlt habe. Dass auch mal ein Referat langweilig wird, lasse sich aber nicht verhindern – wie bei Musik- oder Filmfestivals auch nicht jeder Künstler oder Streifen zu überzeugen vermag.

Volksnähe statt Elfenbeinturm

Dass Wissen nicht zwangsläufig trocken, sondern durchaus sehr populär sein kann, zeigt die Nacht der Museen, die in zahlreichen Städten jeweils Tausende Besucher anlockt. Zuversichtlich stimmt Christoph Fellmann auch die Vortragsreihe «Neubad Lectures», die auf grosses Interesse stösst.

Voraussichtlich werden zwei Wissenschaftler aus Luzern referieren, darüber hinaus Forscher aus der restlichen Schweiz, Deutschland, England, Kanada und den USA. Rund zwei Drittel des Programms sei deutschsprachig, so Fellmann. In der Forschungswelt stiessen die beiden Projektleiter auf offene Ohren. «Eine solche Plattform scheint auch bei Wissenschaftlern ein Bedürfnis zu sein», sagt Fellmann.

30 Franken Eintritt, bis 800 Gäste

Das Wissensfestival «aha» findet am 25. und 26. Januar 2019 im Südpol in Kriens statt. Es warten über 20 Vorträge à jeweils 45 Minuten. Der Eintritt kostet 30 Franken für einen Tag, 50 Franken für beide. Die Verantwortlichen erwarten zwischen 600 und 800 Besucher.

Mehr Informationen gibt es hier.

Wie auf den Musikbühnen ist auch im Forschungsbetrieb die Frauenquote ein Thema. «Wir haben es nicht geschafft, die Hälfte der Referate mit Frauen zu besetzen», sagt Fellmann. Nicht nur, weil vielerorts mehr Männer forschen, sondern auch, weil diese viel schneller zusagen. Das siebenköpfige Kuratorium des Festivals ist im Übrigen mit fünf Frauen besetzt.

Ein Sachbuch performen?

Das Wissensfestival geht im Januar erstmals über die Bühne und soll danach jedes Jahr stattfinden, wenn die Finanzierung das zulässt. Die Albert Koechlin Stiftung und Migros Kulturprozent steuern als Anschubfinanzierung dieses Jahr mit 45’000 Franken einen beträchtlichen Anteil bei «Nächstes Jahr brauchen wir eine Trägerschaft oder einen grossen Sponsor, um das Festival zu stemmen», sagt Fellmann.

An Ideen hingegen mangelt es keinesfalls. Fellmann, vor allem im Theaterbereich tätig, würde gerne die Grenze zwischen Fakt und Fiktion ausloten. Etwa mit Schauspielern, die Referate von Wissenschaftlern performen. Oder einer gescripteten Podiumsdiskussion, wo alle Seiten mit den besten Argumenten eine ideale Debatte erzeugen. Oder mit einer Theatergruppe, die ein Sachbuch spielt. «Mich interessiert, das Kulturformat Festival mal anders zu füllen.»

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