Architektur-Inkubator

Das Ilinois Institute of Technologie IIT versammelt die grösste Anzahl an Bauten nach Plänen von Mies van der Rohe. Der Meisterarchitekt kam vor dem Zweiten Weltkrieg aus Berlin nach Chicago, um diese Schule mitzubegründen und zu leiten.

Lange profitierte die Architekturschule vom Erbe, dennoch stagnierten die Zahlen der Studierenden. Erst, als Pritzkerpreisträger Rem Koolhaas die Anlage mit einem Studentenzentrum erweiterte, verdoppelte sich deren Zahl auf einen Schlag.

Spitzenplatz in der Architekturausbildung

Es gibt in jeder Stadt eine Architektur, die einen Wendepunkt im Bauen anzeigt. In Chicago ist es aktuell das McCormick Tribune Campus Center, das Rem Koolhaas mit seinem Büro OMA 2003 auf dem Campus des IIT errichtete. Mit diesem Bau hat er nicht nur die Schule an einen Spitzenplatz in der Architekturausbildung zurückgeholt, er hat auch das Architekturschaffen in Chicago geprägt.

Viele Bauten der nachfolgenden Jahre sind unter dem Einfluss dieses Kleinbaus entstanden, so das Gary Comer Youth Center von John Ronan von 2006 oder das Columbia College Chicago Production Media Center von Jeanne Gang von 2010. Sogar im von Helmut Jahn auf dem Gelände des IIT 2002 fertiggestellten Studentenwohnhaus ist der Einfluss gut zu erkennen.

Nahtloser Übergang

Mit dem Eingriff hat Rem Koolhaas aber nicht nur Chicagos Architekturelite inspiriert, er hat auch den Campus von einem Dogma befreit. Ein Weiterbauen innerhalb des Schulgeländes ist seither möglich. Sein Neubau dockt an eine Mies-Ikone an. Ohne die Substanz des originalen Baudenkmals zu zerstören, fügt Koolhaas seine Erweiterung nahtlos an die Kantine an.

Er interpretiert dessen klare Stahl-Glas-Rasterfassade auf spielerische Weise, führt andere Geometrien ein und füllt die Felder mit verschiedensten Materialien. Farbige Gläser folgen auf verchromte Metallbleche, veredelte Wandoberflächen grenzen an die roh belassenen Decken.

Doch nicht nur die Architektur von Mies hat das OMA-Gebäude geprägt, sondern auch die durch das Gebäude führende Hochbahn. Koolhaas hat die Fahrbahn in einen Metallmantel gehüllt und damit den Zwischenraum komprimiert, was zu Absenkungen im Gebäudeinnern führt. Dadurch entsteht im Gebäude eine Landschaft, die sich durch Niveau- und Oberflächenwahl in unterschiedliche Räume gliedert. Im Unterschied zu den statischen, sakralen Raumstimmungen der Mies-Bauten sind hier sanft fliessende und offene Räume entstanden.

Freie Improvisation

Die Kritik am Eingriff ist bis heute wach geblieben. Als ich erstmals Bilder des Neubaus sah, interpretierte ich die Röhre, die um die Gleise gelegt wurde, als Haltestelle. Vor Ort zeigte sich, dass Koolhaas mit der Ummantelung vor allem die Sicht auf den Campus nimmt. Die Haltestelle ist am bisherigen Ort geblieben.

Was als simple Lärmschutzmassnahme interpretiert werden kann, könnte aber auch als Fingerzeig des Stararchitekten verstanden werden! Denn Mies hätte bestimmt kein Verständnis für diese Architektur aufgebracht. Wie Thomas Dyja berichtet, soll Mies dem Jazzmusiker Jimmy McPartland geraten haben: «Be careful with improvisation!».

Für den Kritiker Edward Keegan gleicht das Zusammentreffen der Gebäude einer von Mies organisierten noblen Party, an der Koolhaas, einem Studienanfänger gleich, betrunken und rebellierend erscheint. Ich erkenne hingegen im Gebäude eine freie Improvisation nach den Gestaltungsgrundsätzen der Moderne.